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Wohnen: Talentschmiede

Die ECAL, die Ecole Cantonale d'Art de Lausanne, ist eine der besten Designschulen Europas – dank praxisbezogenen Projekten, einer überdurchschnittlichen Öffentlichkeitsarbeit und der Nähe zur Wirtschaft.

London, Paris, Mailand. Solche Metropolen bereist Alexis Georgacopoulos, Direktor der Lausanner Kunsthochschule ECAL, mit seinen Studenten nicht ausnahmsweise für Studienzwecke, sondern regelmäßig. „Das ist wichtig für die Kontaktpflege“, sagt er. So zeigten die Industrial-Design-Studenten im September während der Pariser Designwoche Vasen, die in Zusammenarbeit mit dem Kristallhersteller Baccarat entstanden sind. Wenige Tage später eröffnete in der Londoner Galerie Libby Sellers die Ausstellung „Hot Tools“. Hier ging es um experimentelle Glasobjekte, die in Zusammenarbeit mit Ronan Bouroullec und dem Schweizer Glasbläser Matteo Gonet entstanden sind. Die Ausstellung war bereits im Frühjahr an der Möbelmesse in Mailand zu sehen. Wichtige Branchenmagazine wie „Monocle“ berichteten darüber. Eine solche Öffentlichkeitsarbeit, welche die ECAL mit Ausstellungen im Ausland pflegt, ist exemplarisch für die Schule, die in den letzten 15 Jahren einen bedeutenden Aufschwung erlebt hat. Sie zählt heute zu den wichtigsten Designschulen Europas. Zu verdanken ist dies dem ehemaligen Direktor Pierre Keller, der vergangenes Jahr zurückgetreten ist. 1995 trat der wirblige, heute 67-jährige Westschweizer an, um die verschlafene Kunstschule in einen Hotspot zu verwandeln. Dazu gehörte auch ein neues Schulgebäude. Seit 2005 befindet sich die ECAL in einer vom Schweizer Architekten Bernard Tschumi umgebauten, ehemaligen Strumpffabrik in Renens – einem Vorort von Lausanne. Eine Bibliothek, die schuleigene Galerie ELAC, offene Arbeitsbereiche, 3D-Drucker und ein Filmstudio bewirken, dass es den Studenten an nichts fehlt. Auch Film, Grafik oder Fotografie kann man hier studieren. Allerdings hat Keller vor allem die Designausbildung gefördert: Designer haben mit der Industrie zu tun, und sie sind die Stars der heutigen Gestaltung. Keller, ein Netzwerker und an der ECAL ausgebildeter Grafiker, der lange in New York lebte, beschloss, die Designstars nach Lausanne zu holen. Jasper Morrison, Humberto und Fernando Campana oder Edward Barber und Jay Osgerby, die mittlerweile weltbekannten englischen Designer der diesjährigen olympischen Fackel, reisen seither für Workshops in die Westschweiz. So hat sich über die Jahre ein enges Netz zwischen Studierenden, Dozenten und Gastdozenten gebildet. Neben prominenten Gästen und Ausstellungen im Ausland setzt die Schule auch auf die Nähe der Wirtschaft. Der MAS (Master of Advanced Studies) Luxe, ein weltweit einzigartiger Lehrgang, ist auf die Luxusindustrie spezialisiert. Studenten entwickeln hier mit Firmen wie Audemars Piguet, Christofle, Hublot oder Nespresso Produkte. Wer den MAS Luxe absolviert, verfügt über beste Kontakte in der Uhren- oder Schmuckindustrie. Was in der Schweiz ja auch durchaus Sinn macht. Der 34-jährige Nicolas Le Moigne, der ab diesem Herbstsemester den MAS Luxe leitet und als selbstständiger Designer tätig ist, besitzt diese Kontakte. Schon während der Schulzeit hat er den Dispenser „Arrosoir“ entworfen, der heute von der italienischen Firma Viceversa vertrieben wird und sich über 500000 Mal verkauft hat. Schraubt man ihn über eine PET-Flasche, verwandelt sich diese in eine Gießkanne. „Mir hat es gut getan, als Student eigene Projekte zu verfolgen. Ich hätte mich ohne diese Erfahrung wohl nicht so schnell selbstständig gemacht“, sagt Le Moigne, der kürzlich für die Möbellinie Atelier Pfister (siehe Seite 40) ein Sideboard entworfen hat. „Gerade an einer Schule wie der ECAL, wo man die Stars sozusagen auf dem Teller serviert bekommt, braucht es vielleicht etwas mehr Disziplin, selbst etwas zu tun.“ Er gehört wie viele andere ehemalige ECAL-Studenten zu den heutigen „Aushängeschildern“ der Schule. Sie bilden nun den wichtigsten, weil international am besten vernetzten Nachwuchs im Schweizer Design. Dutzende Ateliers wurden in Lausanne in den vergangenen Jahren gegründet. Ob die Designtrios Big Game, Trio A-C-E oder die Produktdesigner Tomas Kral und Adrien Rovero – sie alle arbeiten in der Stadt am Genfer See und haben alle bereits den Eidgenössischen Preis für Design, die wichtigste Schweizer Auszeichnung für Gestaltung, gewonnen. Der erst 31-jährige Rovero ist sogar schon museumsreif: Bis zum 28. Oktober zeigt das Lausanner Designmuseum „Mudac“ die Ausstellung „Landscape“ mit Entwürfen des unkonventionellen Gestalters. Unter anderem hat er für die italienische Firma Campeggi ein Sofa entworfen, das sich zum Tisch umwandeln lässt. Alexis Georgacopoulos kennt Rovero und die anderen Nachwuchstalente gut – schließlich hat der heutige Direktor selbst an der ECAL studiert. Ob er mit 60 immer noch auf dem Direktorenstuhl sitzen wird? „Keine Angst, ich werde früher gehen“. Doch wo sind eigentlich die Studentinnen? Es ist kein Geheimnis, dass es sich bei den ECAL-Stars meist um Herren handelt. Georgacopoulos relativiert: Die erst 24 Jahre alte Industriedesignerin Laetitia Florin hat vergangenes Jahr für ihre Diplomarbeit die Objekte „Bidum“ entworfen, handgefertigte, bewegliche Gefäße aus Federstahl, die man füllen kann, die aber auch wunderbar als „nutzlose“ Kunstobjekte funktionieren. Ligne Roset war begeistert und hat „Bidum“ in die Kollektion aufgenommen.

Claudia Schmid

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