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World Wide WEG: Badewannenblues

Vom Leben auf dem Uni-Campus in Washington hatte sie genug. Deshalb ist Wlada in eine eigene Wohnung gezogen. Das brachte aber auch nicht die gewünschte Verbesserung

Von: Wlada Kolosowa

An: werbinich@tagesspiegel.de

Betreff: Badewannenblues

Ich habe Weihnachten überlebt. Ich habe Silvester überlebt. Und sogar meinen Geburtstag. Die sentimentalsten Tage des Jahres habe ich ganz ohne überstanden. Aber jetzt, gerade als ich mich in Sicherheit wähnte, bricht es aus – das Heimweh.

Ich hätte in den Winterferien nach Hause fliegen können. Aber dann hat die Abenteuerlust mein Tochterpflichtgefühl besiegt. Das Flugticketgeld wurde in einen Roadtrip durch Florida investiert. Wäre außerdem schade gewesen, ausgerechnet über die Feiertage abzuhauen und das Supersize-Weihnachten zu verpassen, auf das man von Deutschland aus halb angewidert, halb bewundernd schielt. Und ganz nebenbei war ich zu sehr damit beschäftigt, erwachsen zu werden. Zum zweiten Mal in meinem Leben.

Zusammen mit zwei deutschen Freunden habe ich nämlich beschlossen, den sicheren Hafen Campus zu verlassen und auszuziehen. Ich dachte, mit etwas Übung müsste alles besser flutschen, aber der zweite Umzug war haargenau so ätzend wie der erste. Nicht unerwähnt bleiben soll der dicke Mietvertrag, der unter anderem darauf hinweist, dass das Baden in dem – nicht existenten – Hausschwimmbad auf eigene Gefahr erfolgt. Nachdem wir unterschrieben hatten, wurden uns Anfang Januar die Schlüssel in die Selbstständigkeit überreicht.

Diese Selbstständigkeit ist zugegebenermaßen keine echte, da sie nur einen Katzensprung vom Mutterschiff Campus entfernt ist. Mieterzusammensetzung: 50 Prozent Professoren im Ruhestand, 50 Prozent Studenten, davon die meisten Freshmen – also genau die freiheitstrunkenen 18-Jährigen im ersten Uni-Jahr, deren Ausschweifungen wir mit unserer Campusflucht entkommen wollten. Gleich am ersten Tag hat uns jemand seinen Mageninhalt als Gastgeschenk vor die Tür gelegt. Da erklärte sich mir endlich der Sinn grimmiger Portiers, die in den USA zu jedem Mietwohnungskomplex gehören.

Die neue Unabhängigkeit fühlt sich trotzdem an wie eine Rehabilitationsmaßnahme: Zum ersten Mal ohne Rundumsorglospaket Wohnheim lerne ich, Rechnungen zu bezahlen. Und mich für eine der 120 Cornflakessorten im Supermarkt zu entscheiden. Auf das Gruppenduschen verzichte ich hingegen gern! Zum ersten Mal in Amerika sitze ich in einer – meiner! – Badewanne.

Und was tue ich? Ich suppe im Selbstmitleid. Vielleicht habe ich schon lang den Heimweh-Virus gebrütet und ihn nur durch Aktivität unterdrückt? Und kaum, dass das Leben ein bisschen angehalten hat, bricht das Virus aus. Anstatt die Restferien zu genießen, züchte ich nun Schwimmhäute, bis die Badewannenbrühe lauwarm wird. Es fühlt sich ein bisschen an, als würde ich in eigenen Tränen baden. Ich habe kurz probiert, ob das Wasser salzig schmeckt. Aber nein, nur leicht bitter. Seife wahrscheinlich.

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