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Panorama: Zahnhärter nur auf Rezept?

Mediziner: Keine Gefahr durch maßvolle Fluor-Aufnahme

Von Adelheid Müller-Lissner

Eine neue Gesetzesvorlage aus Belgien sorgt für Aufsehen. Oder stopft die zahnschonende Substanz nur das Sommerloch? Die Überraschung jedenfalls war groß, als gemeldet wurde, dass Belgiens Ministerin für Verbraucherschutz, öffentliche Gesundheit und Umwelt ein Verbot des freien Verkaufs fluoridhaltiger Tabletten, Kapseln und Kaugummis beabsichtige. Sie sollen nur noch auf Rezept gekauft werden können. Ministerin Magda Aelvoet entschied sich damit für einen Alleingang: In der neuen EU-Richtlinie, die im nächsten Jahr in Kraft treten soll, findet sich der Mineralstoff auf der Positivliste der zulässigen Nahrungszusatzstoffe.

Seit Jahrzehnten propagieren Zahnmediziner den Einsatz der Spurenelemente: Sie stärken den Zahnschmelz gegen die Angriffe der Bakterien, indem sie deren Säurelöslichkeit herabsetzen, vor allem aber die Bindung von Kalzium fördern. Tatsächlich haben „Karius und Baktus“, die Kinderschrecken, im Zeitalter der Zahnpasten, Mundwässer, Tabletten und Gele mit Fluoridzusatz erkennbar an Bedeutung verloren.

Die Befürchtungen der belgischen Ministerin, der Mineralstoff könne im Gegenzug den Knochen oder den Nerven schaden, stützten sich nicht auf neue Studien, wie der Zahnmediziner Stefan Zimmer betont. Der Oberarzt an der Abteilung für Zahnerhaltung und Präventivzahnmedizin der Charite‚ erklärte dem Tagesspiegel: „Es gibt dazu nur alte Daten aus Gegenden der USA, in denen das Trinkwasser extrem viel Fluorid enthielt und 20 bis 80 Milligramm pro Tag aufgenommen wurden.“ Zu ersten Zeichen einer leichten Knochenfluorose komme es erst nach langjähriger Einnahme von mehr als 10 Milligramm pro Tag. Zum Vergleich: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für Erwachsene eine Tagesdosis von 3,5 Milligramm. Das Risiko für eine sogenannte Dentalfluorose, bei der der Zahnschmelz weiße Flecken zeigt, ist individuell unterschiedlich. Und Fluoride verbessern eindeutig die Mineralisation von Zähnen und Knochen.

Theoretisch könnte man Karies auch durch Mundhygiene und den Verzicht auf zahnschädigendes Naschen vermeiden. „Realistisch gesehen ist bevölkerungsweite Vorbeugung ohne Fluoride aber kaum möglich“, weiß Zimmer. „Nur wenn Sie es dabei erheblich zu weit treiben, können krankhafte Knochenverdichtungen und Einengungen von Nerven die Folge sein.“

Zimmer verweist aber auch darauf, dass die Quellen für den Mineralstoff zugenommen haben: Zwar versetzen wir nicht wie unsere Schweizer Nachbarn das Trinkwasser mit Fluorid, doch immerhin das Speisesalz (Marktanteil von Fluoridsalz im Jahr 2001: 51 Prozent). Außerdem hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch an – mehr oder weniger fluoridhaltigem – Mineralwasser in den letzten zehn Jahren in Deutschland verdoppelt. Nicht nur dieses Fluorid-Plus, auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse führten zu neuen Empfehlungen. So sehen Zahnmediziner inzwischen die Gabe von Fluortabletten kritisch: Hinunterschlucken bringe wenig, „die Hauptwirkung entfaltet sich beim Kauen direkt an den Zähnen".

Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde empfiehlt statt Pillen das frühe Putzen: Ab dem Durchbruch der ersten Zähnchen einmal täglich mit fluoridierter Kinderzahnpasta. Fruchtgeschmack wird nicht empfohlen – er verführt zum Runterschlucken. Die Einnahme von Vitamin D, das bisher oft per Kombi-Tablette („D-Fluoretten") mit Fluorid gegeben wurde, bleibt aber sinnvoll. „Viele Kinderärzte sind auf unsere neuen Empfehlungen noch nicht eingestiegen“, sagt Zimmer. Zu ihnen gehört, bei höherem Karies-Risiko, auch der Einsatz spezieller Gels und Lacke. Fluoride bleiben laut Bundeszahnärztekammer ein „wichtiger Eckpfeiler zahnmedizinischer Prävention".

„Wir haben ein Interesse daran, dass die Fluoridaufnahme kontrollierbarer wird“, sagt Zimmer. Möglicherweise ist das auch das Hauptanliegen der belgischen Ministerin. Ob man deshalb zuckerlose, mit Fluorid versetzte Kaugummis für die Zahnreinigung zwischendurch nur auf Rezept bekommen sollte, ist aber fraglich.

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