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Zölibat: Sündenfall Liebe

In Freiburg konferieren die deutschen Bischöfe. Es geht um die Missbrauchsfälle, aber nicht um den Zölibat. Dabei halten Kirchenkritiker das Verbot der Ehe für einen Teil des Problems. Von dem Drama eines Priesters, der sich verliebt hat.

Sie hat ihm gleich gefallen. Ihre offene Art. Und wie schön sie war, groß und schlank. Vor drei Jahren hat er sie getroffen. Ihre Mutter war gestorben, sie sprachen über die Beerdigung. Einen Monat später hat er sie noch mal angerufen, wollte wissen, wie es ihr geht. Sie haben sich getroffen, Wein getrunken, sie waren zusammen im Kino und irgendwann blieb es nicht bei der freundschaftlichen Umarmung zum Abschied. Sie haben sich geküsst. Sie haben sich ineinander verliebt. Der Super-Gau. Das war in seinem Leben nicht vorgesehen.

Lars Winter ist katholischer Priester. Er hat versprochen, keusch zu leben. Er darf keine Freundin haben, er darf nicht heiraten. 13 Jahre hat er durchgehalten. Jetzt wacht er morgens um vier Uhr auf, verschwitzt und mit pochendem Herzen. Er kann an nichts anderes denken und findet keine Ruhe, auch nicht im Gebet. Er muss sich entscheiden: Kirche oder Frau?

An einem sonnigen Wintervormittag steht Lars Winter, der eigentlich anders heißt, in seiner Pfarrwohnung. Er ist 45 Jahre alt und lässt Kaffee aus der Espresso-Maschine laufen. Seine Junggesellenbehausung ist aufgeräumt, auf den Möbeln liegt kein Staub, in der Küche steht kein ungespültes Geschirr. Wo sich bei anderen Menschen CDs stapeln oder Zeitungen, steht hier eine Muttergottes mit Jesuskind auf dem Beistelltisch im Wohnzimmer. Als Lesestoff auf der Toilette liegt eine Ausgabe der Heiligen Schrift.

Mit 16 stand für Lars Winter fest, dass er Priester werden wollte. Kein einfacher Weg für einen Hauptschüler. Er musste das Abitur mit Griechisch und Latein nachholen. „Der Zölibat hat mich nie abgeschreckt“, sagt er.

Der Priester ist im Verständnis der katholischen Kirche der „Bote Gottes“. Er steht in der direkten Nachfolge Jesu Christi und der Apostel und ist sozusagen selbst ein Stellvertreter Jesu Christi auf Erden. Im Zentrum seiner Arbeit steht die Vermittlung von etwas Heiligem, das über die Welt hinausweist. Diese Aufgabe verlangt die „radikale Hingabe“ des Priesters an Jesus Christus. So steht es in dem Schreiben der deutschen Bischöfe über den priesterlichen Dienst von 1970, das immer noch gültig ist. 1992 ergänzten die Bischöfe: Der Priester soll „Zeit, Herz, Leben ungeteilt frei halten für das offenbarende und rettende Wort des Herrn, damit es ihn selbst erreicht, damit er es selbst lebe, um es mit seiner Existenz zu verdeutlichen und so weiterzusagen“. Der Papst und die Bischöfe glauben, dass das nur ohne Frau und Kinder geht, ohne Intimität mit einem anderen Menschen und überhaupt ohne Sexualität.

Doch die Bischöfe haben ein Problem. Nach tausenden Fällen von sexuellem Missbrauch in den USA und Irland gibt es jetzt auch einen Skandal in Deutschland: Missbrauch an katholischen Schulen. Damit wird sich diese Woche auch die Deutsche Bischofskonferenz in Freiburg auseinandersetzen müssen. Es geht um Konsequenzen, zum Beispiel darum, ob die Kirche eine Ombudsstelle für Missbrauchsopfer einrichtet oder enger mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten soll. Um den Zölibat wird es wohl nicht gehen. Seit 900 Jahren ist er ein Grundpfeiler der katholischen Kirche.

„Im Priesterseminar haben sie uns ständig die Ohren vollgequakt, dass wir unsere Sexualität in unser Leben integrieren sollen“, sagt Lars Winter. „Aber können Sie mir sagen, wie man das machen soll, die Sexualität sündenfrei ins Leben integrieren? Wenn man nicht mal onanieren darf?“ Winter lacht mit seiner tiefen, vollen Stimme und greift sich eine Zigarette. Wie das gehen soll, hat ihm keiner gesagt. Das Schreiben der Bischöfe zum Priesteramt gibt darüber keine Auskunft. Auch von den Mitbrüdern hat keiner gesagt, wie er das macht.

Er sei immer wieder mal verliebt gewesen, aber zuvor blieb es platonisch. Sabine ist die erste Frau, von der er sich ernst genommen fühlt. Vielleicht ist es deshalb mit ihr anders als bei den Verliebtheiten zuvor. Sie ist auch die erste Frau, mit der er geschlafen hat. „Sex ist nicht so wichtig für mich“, sagt Winter. Eigentlich hatte er Angst davor. Dass es so schön sein könnte, zu schön, um wieder davon loszukommen. „Verliebtsein“, sagt Lars Winter, „das ist ein durch und durch angenehmes Gefühl.“

Kirchenkritiker wie Eugen Drewermann sagen, der Zölibat sei unmenschlich. Auch der Priester sei nur ein normaler Mensch, und zum Menschsein gehöre Sexualität wie Essen und Schlafen. Und wer weiß schon, welche Freundinnen Jesus hatte? Die meisten seiner Jünger jedenfalls hatten Frau und Kinder.

Das Gesetz der Ehelosigkeit reicht ins 12. Jahrhundert zurück. Die Bischöfe wollten damit unter anderem verhindern, dass Kirchenbesitz vererbt wird und für die Kirche verloren geht. Von Anfang an gab es Priester, Bischöfe und Päpste, die sich nicht daran gehalten haben. Doch im 20. Jahrhundert ist der Zölibat so sehr ins Gerede gekommen wie nie zuvor. Ist er schuld daran, dass sich in Westeuropa nur noch wenige für diesen Beruf entscheiden? Im Moment gibt es 10 500 katholische Priester in Deutschland, 1998 waren es noch 13 000. Schätzungen zufolge legen 40 Priester im Jahr ihr Amt nieder, weil sie heiraten oder zu ihrem Partner stehen wollen.

Kirchenkritiker sagen, der Zölibat sei auch mitschuld daran, dass in katholischen Einrichtungen Kinder missbraucht wurden, weil der Zwang zur Ehelosigkeit besonders für Männer attraktiv sei, die sexuell gestört sind.

„Am sexuellen Missbrauch ist der Zölibat unschuldig“, sagt Lars Winter. Pädophilie ist eine Krankheit, die habe nichts mit Ehe oder Ehelosigkeit zu tun. „Außerdem: Der Zölibat macht Sinn. Rein praktisch gesehen“, sagt Lars Winter. Wenn er Frau und Kinder hätte, würde er schauen, dass er nicht jeden Sonntag arbeiten müsste, dass er nicht jeden Abend einen Termin hätte. „Ich leide auch nicht am Zölibat oder an meiner Kirche – die liebe ich so, wie sie ist“, sagt er. Er leide an der eigenen Unzulänglichkeit.

Nebenan läuten die Kirchenglocken zwölf Uhr. Er könne leider nichts zu essen anbieten, entschuldigt sich der große, schlaksige Mann. Er macht noch zwei Kaffee und kramt in einer Schublade nach einer Dose mit Weihnachtsschokolade. Er hatte keine Zeit zum Einkaufen, weil er vorhin erst von der Freundin zurückgekommen sei. Sabine wohnt in der Nachbarstadt. Sonntags nach dem Gottesdienst fährt er hin und bleibt bis Dienstag.

„Am schlimmsten ist die Geheimniskrämerei“, sagt Lars Winter. Wenn sie das Haus verlassen, sind alle Sinne angespannt, permanent scannen die Augen Gesichter ab, ob sie ihm bekannt vorkommen. Deshalb gehen sie praktisch gar nicht mehr aus. Und dann sind ihnen beim Wandern in Österreich Gemeindemitglieder über den Weg gelaufen. Seitdem können sie auch anderswo nicht mehr entspannt sein. Sich ständig verstecken zu müssen, mache die Liebe kaputt, sagt Winter.

Nicht mal ein Foto von ihr kann er bei sich aufstellen. Auf seinem Schreibtisch steht das Hochzeitsfoto seiner Eltern. Von der Mutter hat er gelernt, dass man Unangenehmes aushält. Zum Beispiel eine Ehe. Dass man dazu steht, was man einmal entschieden hat.

Einmal im Monat geht Winter beichten. Sein Beichtvater rät ihm jedes Mal, mit Sabine Schluss zu machen. Aber er schafft es nicht. Er kann nicht Nein sagen. Er ist trainiert, Verständnis zu haben, Mut zu machen, Menschen aufzubauen. Jemanden verletzen, das könne er nicht. Aber in den vergangenen Wochen ist es mit Sabine immer schwieriger geworden. Immer öfter streiten sie sich, sie ist eifersüchtig auf die Kirche und will, dass er sich entscheidet. Vor lauter Schuldgefühlen könne er auch nicht mehr mit ihr schlafen. Für ihn sei das nicht so schlimm, so toll sei das mit dem Sex doch nicht, sagt Lars Winter.

Während der 45-jährige Mann mit dem jungenhaften Gesicht über seine Zerrissenheit, sein Ringen um eine Entscheidung spricht, wirkt er hilflos, beinahe kindisch. Er zieht die Schultern hoch, verzieht das Gesicht, als sei ihm jemand auf den Fuß getreten, windet sich. Ja, er sei da unreif in dieser Beziehung, sagt er. Er wisse nur, dass er die innere Zerrissenheit nicht mehr lange erträgt. Dann zündet er sich eine neue Zigarette an.

Dabei hat er gar nicht so sehr Angst vor seinen Vorgesetzten. „Der Bischof? Ich glaube nicht, dass den das interessiert“, sagt Lars Winter. „Was soll der auch machen? Mich rauswerfen, weil ich eine Freundin habe? Da müsste er das halbe Bistum rauswerfen.“ Auch von seinem direkten Chef muss er nichts befürchten. Der hat selbst eine Freundin. Als er sich ihm offenbarte, hat der nur lapidar angemerkt: „Wenn das Amt nicht leidet, ist mir das egal.“ Auch der vorherige Chef hat bei dem Thema nur gelächelt. „Sie können heute alles machen“, sagt Winter, „sie können eine Freundin haben, Kinder kriegen, sie können ein paar Jahre aussteigen und wilde Kapriolen mit Männern und Frauen drehen und wieder zurückkehren, das alles wird nicht mehr sanktioniert – aus Angst, der ganze Laden fliegt auseinander.“

In den bischöflichen Ausführungen über das Priesteramt heißt es dazu: „Wenn auch die Heiligkeit des Priesters gefordert ist, so gefährdet doch ihr Fehlen die Wirksamkeit des priesterlichen Dienstes nicht grundsätzlich.“ Das „Charisma Gottes“ wird dem Priester bei seiner Weihe gewährt, ein für alle Mal, auch wenn er sich als „Sünder“ herausstellt. Die Sünde darf nur nicht öffentlich werden. „Aber selbst wenn sich alle anderen im Doppelleben einrichten würden, ist das kein Argument, es genauso zu machen“, sagt Winter. „Am Ende muss ich dem Herrgott Rechenschaft ablegen, da gibt’s keine mildernden Umstände.“

Die Turmuhr schlägt erneut. Lars Winter kann gar nicht mehr aufhören zu reden. Da ist die Angst, von jetzt 4000 Euro brutto im Monat bei Hartz IV zu landen. In die gesetzliche Rentenkasse hat er auch nie eingezahlt. Er kann sich keinen schöneren Beruf vorstellen, spricht von der „Sucht“, vorne am Altar zu stehen und zu predigen, vom Vertrauen der Menschen, das er missbrauche, wenn er selbst zu sich und zur Kirche unehrlich sei.

Wäre etwas gewonnen, wenn ihm die Gemeinde verziehe? So wie jene im fränkischen Hammelburg, die Woche für Woche dafür demonstriert, dass der Pflichtzölibat abgeschafft wird. Dann könnte sie auch ihren Pfarrer wiederbekommen. Der wurde im Herbst von seinem Amt suspendiert, nachdem die Beziehung zu seiner Freundin aufgeflogen war.

Dabei ist den deutschen Bischöfen durchaus bewusst, wie schwer es ist, ehelos zu leben. 1992 stellten sie fest: „Der Zölibat bedeutet Verzicht auf Geborgenheit, Anerkennung und Liebe, der dem Ehelosen zu schaffen macht, und das um so mehr, als die Anonymität der Gesellschaft zunimmt und der einzelne kein selbstverständliches Zuhause hat. Ehelosigkeit wird, wenn man es recht besieht, ausgelitten.“ Doch das Leiden sei nichts Schlechtes , sondern ein „positives Ziel“. Das Leiden rücke den Ehelosen „in die Nähe zu all jenen Menschen, die an der Last ihres Lebens schwer tragen, die niemals die Erfahrung der Liebe machen durften“. Und so wie Jesus Christus selbst „mit lautem Schreien und unter Tränen“ Gebete und Bitten vor Gott gebracht habe und so wie er „durch Leiden den Gehorsam gelernt“ habe, „so sind auch wir Priester eingeladen, die Last und das Kreuz mitzutragen“.

Draußen wird es allmählich dunkel. Lars Winter kann nicht mehr leben mit dem Zwiespalt, der katholischen Kirche in allen Punkten gehorsam sein zu wollen und doch dagegen zu handeln. „Ich bin nicht mehr authentisch und mache mich angreifbar“, sagt er.

Aber alle raten ihm, Priester zu bleiben. Sein verheirateter Bruder ebenso wie jene Geistlichen, die wegen einer Frau oder eines Mannes ausgestiegen sind. Beim Abschied sagt Lars Winter: „Die menschliche Liebe ist schön, aber davon wird man nicht satt.“ Es klingt, als hätte er sich entschieden.

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