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Zoos in Corona-Zeiten: Was tun, wenn die Affen sich langweilen?

Corona gefährdet die Tierparks. Aber viele lassen sich etwas einfallen. Und manche Orang-Utans begrüßen ihre Pflegerinnen neuerdings mit Luftkuss.

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Letzte Woche schlug der Zoo von Neuwied Alarm. Ein Minus von 700.000 Euro, es drohte die Insolvenz. „Einen Löwen kann man halt nicht mit ins Homeoffice nehmen“, sagt Mirko Thiel, der Direktor des privatwirtschaftlich betriebenen Tierparks. Er rechnet vor: Auf 8000 Euro belaufen sich die täglichen Kosten und die Versorgung der 1800 Tiere. Bei null Ticketeinnahmen wegen der erneuten Schließung steht der Zoo vor der Pleite.

Auch jetzt „benötigt der Löwe seine tägliche Portion Fleisch, der Tapir sein Luzerneheu und jeder Seehund frisst drei bis vier Kilogramm Fisch pro Tag“, so Thiel in seinem Hilferuf. Auch Licht und Wärme kosten, allein das Exotarium benötigt eine Durchschnittstemperatur von 21 Grad. Die 32.000 Euro Corona-Futterhilfen vom Land Rheinland-Pfalz waren schnell aufgebraucht, und von den beantragten Novemberhilfen in Höhe von 99.000 Euro wurde bisher nur ein Abschlag überwiesen, 10.000 Euro. Das reicht nicht mal für eineinhalb Tage.

Am Sonntag folgte eine erste Entwarnung. Dank einer wahren Spendenwelle und Gutscheinkäufen ist binnen weniger Tage genug Geld zusammengekommen, um die nächste Zeit zu überstehen. Alarmschlagen hilft. Die Tiere müssen nicht hungern, auch ohne den geforderten staatlichen Rettungsschirm. Erstmal jedenfalls nicht.

Keine oder kaum Einnahmen, gleichbleibend hohe Ausgaben, das wird für viele Zoos immer mehr zum Problem. Denn zum einen verbietet sich die komplette Schließung – wohin dann bitte mit den Tieren? Alle Zoos kämpfen mit den Folgen der Lockdowns, keiner hat derzeit große Aufnahmekapazitäten. Und im ersten Lockdown führte schon die bloße Erwähnung des Worst-Case-Szenarios mit Schlachtung und Einschläfern der Tiere zum öffentlichen Aufschrei, als die Zoodirektorin von Neumünster solche Notfallpläne als Menetekel an die Wand malte.

Nicht mal Kurzarbeit ist möglich. Pflegepersonal und Veterinäre werden vor Ort gebraucht, und sie haben eher mehr als weniger zu tun. Denn so manches Tier langweilt sich jetzt. Der Königspython ist es egal, ob sie Publikum hat, aber den Schimpansen fehlt die daily soap, so Mirko Thiel am Telefon. Spätestens bei den Affen ist es ja nur eine Frage der Perspektive, wer im Zoo wen beäugt.

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Natürlich achten wir bei den Tieren, die besonders viele neue Reize brauchen, darauf, dass sie gut beschäftigt sind, etwa mit den Futterkästen bei den Menschenaffen“, bestätigt Philine Hachmeister, Pressesprecherin der Berliner Zoos. Das Aquarium ist geschlossen, aber die Außenanlagen von Zoo und Tierpark gehören zu den wenigen in Deutschland, die derzeit überhaupt geöffnet sind. Sonst erlauben nur das Saarland und Sachsen-Anhalt unter Auflagen geöffnete Zoos.

Das sogenannte Enrichment sei generell ein wichtiger Bestandteil der Tierpflege, so Hachmeister. Spielerische Futteraufnahme und das "medical training", damit der Elefant für die Nägelkontrolle freiwillig seinen Fuß hebt – all das gehört ohnehin zum tierpflegerisch gebotenen Unterhaltungsprogramm.

Zwar betont Philine Hachmeister, dass der Kontrast im Verhalten beim ersten Lockdown größer war. Jetzt haben sich die Tiere an die Menschenleere in den Häusern gewöhnt, wo sie sich im Winter überwiegend aufhalten.

Und auch Tiere sind Gewohnheitstiere. Aber neugierig bleiben viele allemal: Die Papageien brauchen ihre tägliche Ansprache, die Seelöwen ihren Wasserzirkus. Also halten sie vermehrt Ausschau: So mancher Orang-Utan quittiert das Auftauchen eines Pflegers oder einer Pflegerin jetzt schon mal mit einem Luftkuss. Und überall in der Welt haben Zoos sich etwas einfallen lassen.

 Menschenaffen wie Orang-Utans langweilen sich im Vergleich zu Schlangen oder Seetieren in besucherlosen Zoos deutlich schneller.
Menschenaffen wie Orang-Utans langweilen sich im Vergleich zu Schlangen oder Seetieren in besucherlosen Zoos deutlich schneller.

© Rolf Vennenbernd/dpa

Im Dezember gab der junge Kölner Pianist Thelonious Herrmann kleine Konzerte in seinem Heimatzoo. Mantelpaviane und Humboldt-Pinguine sollen andächtig gelauscht haben, die Seelöwen klatschten laut Medienberichten in ihre Flossen. Wobei die Kurzweil auch auf die eigene Spezies zielt: Herrmann engagiert sich mit seiner Aktion vor allem für Spenden.

#Please Remember Humans: In Tokio konnte man mit den Röhrenaalen facetimen

In Tokio hatten sich die Röhrenaale im Frühjahr besorgniserregend tief in ihren Sandboden zurückgezogen, statt mit ihren schlanken, halb herausgestreckten Körpern wie Schilfgras zu wedeln. Das Zoo-Team platzierte Tablets vor dem Aquarium und bat die Menschen unter dem Hasthag #PleaseRememberHumans, sie per Facetime zu besuchen.

Im Pacific Science Center in Seattle lasen die Mitarbeiter den Ratten Geschichten vor. Der San Antonio Zoo in Texas stellte zeitweise auf Drive-Thru-Besuche um. Besser Automobile zum Beäugen als gar nichts - und Geld kam auch in die Kasse. Und in Kansas City durften die Pinguine Bubble, Maggie und Berkley einen Ausflug ins Museum unternehmen. Monets Seerosenteich mochten sie sichtlich lieber als Caravaggio – das Video von ihrem Kunsttempel-Besuch ging viral.

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Okay, das meiste ist Projektion, wir Menschen möchten einfach zu gerne, dass wir den Tieren fehlen. Also alles nur PR-Gags? Warum nicht. Die Zoos brauchen Aufmerksamkeit in ihrer speziellen Krisenlage.

In der Natur verhält es sich ja eher umgekehrt, und der Fauna geht es besser im Lockdown. Rehe trauen sich auf die Straße, Füchse tollen durch Zehlendorfer Gärten, Schwäne schaukeln auf den Kanälen in Venedig, Bären trotten auf die Lichtungen des Yosemite-Nationalparks – die Bilder von den tierischen Krisengewinnlern gehörten zu den Muntermachern in letzter Zeit.

Wobei es auch Krisenopfer gibt. Den Kopfläusen zum Beispiel ist wegen der Abstandsregeln buchstäblich der Weg abgeschnitten. Laut AOK wurden 2020 bis September 30 Prozent weniger Antiläusemittel verschrieben als im Vorjahreszeitraum.

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Im Zoo hingegen droht der Rückzug so mancher Tiere: Bei aller Neugier, vielleicht werden sie ja wieder scheu und mögen es nicht, wenn die Zweibeiner in Massen zurückkehren? Die Mitarbeiter des oberfränkischen Wildparks Waldhaus Mehlmeisel stellten deshalb eigens eine Playlist zusammen, setzten Heavy Metal und Violinkonzerte gegen die Totenstille ein. Auch Aufnahmen von Besucherführungen wurden dem Rotwild und den Luchsen vorgespielt.

Ein Meereszoo in England musste schließen. Die Pinguine zogen nach Wales um

Die Berliner Tierhäuser kommen ohne digitale Bespielung aus. Auch ist nicht bekannt, ob die Tiere in den Außengehegen sich über die Masken-Gesichter der Besucher wundern. Die Maskenpflicht im Freien gilt übrigens auch dem Schutz der Tiere. Nicht nur weil mögliche Sars-Träger wie der Larvenroller oder die Fledermaus zu den Zoobewohnern gehören, sondern weil Covid-19 auch für Wild- und Raubkatzen, ja sogar für Hauskatzen gefährlich werden kann. Im New Yorker Bronx-Zoo infizierten sich mehrere Löwen, im Dezember erwischte es vier Artgenossen in Barcelona. Bislang gab es zum Glück nur mildere Verläufe.

Was die Zukunft der hiesigen Zootiere betrifft, ist der Verband der Zoologischen Gärten (VdZ) „vorsichtig optimistisch“, so Pressesprecher Sebastian Scholze. „Toi, toi, toi, wir sehen im Moment nicht, dass Zoos geschlossen werden müssen.“ Der Verband hat 56 Mitglieder, fast alle großen Zoos der über 600 deutschen Tierparks sind hier organisiert.

Und Berlins Zoo-Sprecherin Hachmeister freut sich, dass allein ab 8. Dezember für den Zoo 670 und für den Tierpark 265 Patenschaften abgeschlossen oder verlängert wurden. Eine Rekordzahl. Wegen der finanziellen Engpässe appelliert VdZ-Geschäftsführer Volker Homes gleichwohl an den Staat: Hilfsprogramme seien „gelebter Tierschutz“ – zumal viele Zoos Artenschutz in freier Wildbahn unterstützen.

Ein kleinerer Zoo in England musste coronabedingt allerdings schließen, der Living Coasts Zoo in Torquay an der britischen Westküste. 20 Jahre gab es ihn, jährlich kamen bis zu 100 000 Besucher. Inzwischen haben alle Wassertiere und Seevögel ein neues Zuhause gefunden. Die zwölf Makkaroni-Pinguine leben jetzt bei ihren Artgenossen auf der Folly Farm in Wales. Sie mussten nur kurz in Quarantäne.

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