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Zu Hause arbeiten: Schweinehund im Arbeitszimmer

Es klingt nach großer Freiheit: seinem Beruf zu Hause nachzugehen. Von wegen. Nur Tricks und Disziplin retten vor Verschlampung im eigenen Arbeitszimmer.

Es ist 18 Uhr, und ich habe noch kein einziges Wort gesprochen. Meine Kehle ist belegt, und wenn ich an mir hinunterblicke, sehe ich ausgewaschene Jogginghosen und nackte Füße in Fellpuschen. Wobei ich mich weder in stationärer Behandlung noch in einem Schweigekloster befinde. Ein ganz normaler Tag in meiner Erwerbsbiografie geht zu Ende. Ich arbeite zu Hause.

Leute wie ich sind eigentlich die Zukunft der Arbeit. Flexibel und ortsunabhängig, früher hießen wir Freiberufler, heute digitale Boheme. Aber auch für viele Angestellte ist das Leben ohne festen Firmensitz inzwischen Alltag. Im amerikanischen Elektronikkonzern Best Buy etwa. Was zählt, ist „getting the job done“. Ob die Leute das im Büro oder im Badezimmer machen, ist den Chefs egal.

Ach, du hast es gut, höre ich oft von Kollegen. Du kannst auf dem Balkon arbeiten, und wenn du müde bist, legst du dich ein Ründchen aufs Sofa. Wir hingegen sitzen den ganzen Tag im Großraumbüro, trinken dünnen Filterkaffee, und wenn wir am Kopierer stehen, textet uns sicher Kollegin X zu. Was soll ich sagen? Für mich klingt das wie das Paradies.

Zu Hause zu arbeiten – das ist erst einmal eine Stille, die einen komisch im Kopf werden lässt. Zuerst spricht man nur mit sich selbst („Wie würdest du in den Text einsteigen?“). Dann spricht man mit jedem, den man erwischt („Danke, ich möchte an keinem Telefongewinnspiel teilnehmen. Wie würden Sie in den Text einsteigen?“). Irgendwann geht es einem wie dem Mann in Isolationshaft aus der „Schachnovelle“, der beginnt, im Geist gegen sich selbst zu spielen.

Und dann die Wohnung. Spuren von Arbeit, wohin man schaut. Auf dem Küchentisch stapeln sich Aktenordner, auf dem Sofa steht der aufgeklappte Laptop. Bücher neben der Badewanne, auf dem Nachttisch ein Text zum Korrekturlesen. Dabei arbeite ich noch nicht mal auf dem Bett wie die Kollegin vom Feuilleton, die nur im Liegen schreiben kann.

Arbeit ist Kraft mal Weg, sagt die Physik. Was aber, wenn der Weg null ist, weil man bei der Arbeit wohnt? Eine Freundin, die als Grafikdesignerin zu Hause arbeitet, geht deshalb jeden Morgen um halb neun aus dem Haus und dreht eine Runde um den Block. Wenn sie sich dann im Schlafzimmer an ihren Schreibtisch setzt, hat sie das Gefühl, zur Arbeit gegangen zu sein. Um 18 Uhr das gleiche Spiel, wobei sie während der Rushhour noch eine halbe Stunde Bus fährt. Danach kann sie es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.

Eine Kollegin, die in ihrer Maisonettewohnung in Tiergarten als Korrespondentin für eine ausländische Zeitung arbeitet, schließt ihr Tagwerk immer so ab: Sie verschließt die Tür zu ihrem Arbeitszimmer und zieht den Schlüssel ab. Dann geht sie nebenan ins Wohnzimmer mit den wandhohen Fenstern, gießt sich ein Glas Wein ein und guckt auf die Schiffe, die unten auf der Spree vorbeituckern. Mich erinnert das ein bisschen an den Mörder aus Edgar Allan Poes Geschichte „Das verräterische Herz“, der die Leiche unter den Dielen versteckt und die Dielen vernagelt. Trotzdem hört er immer noch das Herz des Getöteten pochen. Was ich damit sagen will: Arbeit verschwindet leider nicht aus der Wohnung, wenn man sie wegschließt.

Meine Wohnung ist Isolation und Versuchung zugleich. Das Nutellaglas sagt: Iss mich. Das Fenster sagt: Putz mich. Die Zehennägel sagen: Pediküre uns. Ein Sketch der amerikanischen Komikerin Ellen DeGeneres handelt davon, wie sie einmal zu Hause schreiben wollte. Ihr Blick fällt auf den verstaubten Schreibtisch, sie will einen Lappen holen, doch da sitzt ihre Katze, die so süß ist, dass sie sie erst noch streicheln muss. 45 Minuten später guckt sie an die Wand und beschließt, sie gelb zu streichen. Wer länger zu Hause gearbeitet hat, weiß zudem von einer Verschiebung in der Wahrnehmung von Distanzen zu berichten. Dinge, die einem nahe sind (Abwasch, ungeordnete Socken), werden als Priorität empfunden. Dinge, die weiter weg sind (Chef, Redaktion) als extrem unwichtig.

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Früher arbeiteten die zu Hause, die es mussten. Frauen, die Spitzendeckchen klöppelten, damit ihre Kinder nicht verhungerten. Lehrer, die Hausaufgaben korrigierten. Studenten, die als Nebenjob Umschläge etikettierten. Das Ganze hieß Heimarbeit und war genauso schrecklich, wie es klingt. Dann, Ende der 80er Jahre muss das gewesen sein, kam das Schlagwort Telearbeit auf. Die Idee war, dass die Menschen auf dem Weg zur Arbeit nicht mehr täglich stundenlang im Stau stehen sollten. Sondern, dass man die Arbeit von zu Hause aus per Telefon und Fax erledigen könnte. Mich hat das damals unendlich deprimiert. Ich habe mir leere graue Siedlungen mit Einfamilienhäusern vorgestellt, und in jedem Haus saß jemand an einem Faxgerät.

Heute spricht keiner mehr von Telearbeit. Der Politologe Markus Albers, der in seinem Buch „Heute komme ich später rein“ über das Ende der Büroarbeit geschrieben hat, nennt die, die täglich ins Büro gehen, „Resident People“. Ihre Zahl nehme stetig ab, vor allem in den globalen Unternehmen. Der Rest, so Albers, arbeite als „Mobile People“ oder „Super-Mobile People“ unabhängig von der Firmenzentrale.

Eine schöne Vorstellung, nur wenn ich als Folge dieser Entwicklung zu Hause arbeite, bin ich weder mobil noch supermobil. Ich bin nämlich immobil, was unter anderem mit dem Pyjama zu tun hat, in dem ich von morgens bis abends am Schreibtisch sitze. Meine Korrespondentenkollegin aus Tiergarten hat auch hier einen Weg gefunden. Sie zieht jeden Morgen einen schwarzen Hosenanzug und hochhackige Schuhe an. Bevor sie vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer wechselt, legt sie sich noch eine Perlenkette um den Hals. So kann sie der Privatheit ihrer Wohnung die notwendige Professionalität abtrotzen.

Warum gehst du nicht raus?, fragen mich Leute, wenn ich wieder einmal mein Leid klage. Aber wohin? Das Café bietet sich an, die Kaffeehausliteraten und die Laptop-Schnösel aus dem Sankt Oberholz haben es vorgemacht. Doch dort zu schreiben, ist wie in Puschen zu arbeiten. Und Arbeit, die in Puschen erledigt wurde, sieht meistens auch so aus, als wäre sie in Puschen erledigt worden. Eine Studie des Instituts für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin über die Berliner Kreativwirtschaft gibt mir übrigens recht. Von 2000 Befragten würden 77 Prozent niemals im Café arbeiten.

Eine Zeit lang war ich in der Bibliothek. Das war fast noch schlimmer als zu Hause. Um einen herum lauter schick angezogene Leute, die dicke Jurawälzer und das ganze Leben vor sich haben. Und jeder Jurawälzer, der um einen herum aufgeklappt wird, ist wie ein Statement: Im Gegensatz zu dir werde ich einmal in der Teppichetage arbeiten!

Irgendwann habe ich mir einen Platz in einem Büro gemietet. Wie die Mehrzahl der Kreativen übrigens, auch das hat die TU-Studie herausgefunden. Das Büro war eine Zweckgemeinschaft, es hatte weiße Wände und bläuliche Auslegware, an den Decken blinkten Neonröhren. Es gab ein Kopiergerät, an dem sich die Leute die Zeit stahlen, und über den E-Mail-Verteiler kamen alle paar Minuten Mails über Besprechungen und verlorene Handys, die in Milliarden von Büros weltweit wertvolle Arbeitsenergie binden. Was soll ich sagen? Es war großartig.

Inzwischen bin ich umgezogen und arbeite wieder zu Hause. Wenn ich mich in meinem Bürostuhl umdrehe, sehe ich ungebügelte Wäsche, wenn ich aufstehe, stolpere ich über Kinderspielzeug. Frauen wird das oft als ideale Lebensform angepriesen. Weil man für die Kinder da sein und trotzdem arbeiten kann. Ich halte das für das schlimmste Argument von allen. Denn es macht das Zuhause-Arbeiten zu dem, als das es sich anfühlt: zu einer modernen Version des Hausfrauendaseins.

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