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Dem Fahrdienstleiter Michael P. wird fahrlässige Tötung vorgeworfen.

© Peter Kneffel/dpa

Zugunglück von Bad Aibling: Fahrdienstleiter räumt "schwere Schuld" ein

Zum Prozessauftakt um das Zugunglück mit zwölf Toten legt der 40-jährige Angeklagte ein Geständnis ab. Er hatte im Dienst auf seinem Handy gespielt.

Es ist ein kleinerer schlanker Mann, der von den Polizeibeamten am Morgen in den Saal B 33 des Landgerichts Traunstein geführt wird. Schwarzer Anorak, Jeans, gepflegter Vollbart, dunkles Haar. Ein unscheinbarer Mann – Michael P., 40 Jahre alt, Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn. P. hat die Zugkatastrophe von Bad Aibling im Februar verursacht, bei der zwölf Menschen ums Leben kamen und 89 teils schwer verletzt wurden. Es war eines der größten Zugunglücke in der Geschichte der Bundesrepublik.

Bis kurz vor dem Zusammenprall der beiden Regionalzüge auf der eingleisigen Strecke Holzkirchen–Rosenheim hatte P. im Dienst auf dem Handy gespielt, er hatte beide Züge fahren lassen, hatte dann bei einem Notruf auf die falsche Taste gedrückt. Jetzt steht er vor Gericht, die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung. Bis zu fünf Jahre Haft sieht das Gesetz dafür vor.

Sehr exakt genau berichtet der Staatsanwalt Jürgen Branz in seiner Anklage von dem Geschehen am frühen Morgen des 9. Februar – bis um genau 6.47 Uhr, als die beiden Züge aufeinandergeprallten und sich ineinander verkeilten. Schon um 5.11 Uhr startete P. auf seinem Smartphone mit dem Online-Computerspiel „Dungeon Hunter 5“.

Am 9. Februar 2016 rasten bei Bad Aibling zwei Regionalzüge ineinander. Zwölf Menschen wurden getötet, 89 verletzt.
Am 9. Februar 2016 rasten bei Bad Aibling zwei Regionalzüge ineinander. Zwölf Menschen wurden getötet, 89 verletzt.

© Peter Kneffel/AFP

Bis 6.40 Uhr spielte er aktiv, während er im Bahnkreuzungsplan nachschaute und beim Lesen um eine Zeile verrutschte. Um 6.43 Uhr gab er dem Zug in Bad Aibling mit dem „Sondersignal Zs1“ freie Fahrt Richtung Kolbermoor. Dass der Zug aus der Gegenrichtung auch kam, sei ihm „in diesem Zeitpunkt nicht mehr bewusst“ gewesen. Seinen Fehler erkannte er um 6.46 Uhr und setzte einen Notruf ab, danach noch einen zweiten. Diese kamen aber nicht an, weil er laut Anklage „auf dem Tischfunkgerät jeweils die falsche Taste drückte“.

Die Namen der Toten und Verletzten

Es ist sehr still in dem Saal, als der Staatsanwalt die Namen und Geburtsdaten der zwölf Getöteten vorliest. In fast grausam wirkender Genauigkeit folgen die 89 Verletzten mitsamt den genauen Verletzungen: offene Unterschenkelfraktur, Beckenbruch, Schleudertrauma. Das Wort hat gleich darauf Michael P. Er steht auf zu „persönlichen Worten an die Opfer und die Angehörigen“. Er habe „schwere Schuld“ auf sich geladen, sagt er. Er wisse, „dass ich das nicht mehr rückgängig machen kann“. P. redet mit leiser Stimme und einem starken bayerischen Akzent. Er sei „mit den Gedanken bei den Angehörigen“ und hoffe, „dass sie das alles aufarbeiten können“. Es ist eine kurze Erklärung. Das Wort „Entschuldigung“ taucht darin nicht auf, wie der Angehörigen-Anwalt Friedrich Schweikert in einer Sitzungspause anmerkt. „Ich habe es nicht gehört, die Betroffenen haben es auch nicht gehört.“

P.s Verteidigerin Ulrike Thole legt in seinem Namen ein Geständnis ab. Die Dienstverfehlungen räumt er ein, ebenso das Smartphone-Spielen. Die Benutzung dieser elektronischen Medien während der Arbeit ist laut einer Dienstvorschrift der Bahn ausdrücklich untersagt.

Technisches Versagen ausgeschlossen

Es war ein Fehler während der Arbeit, ein falsches, verbotenes Verhalten – mit desaströsen Folgen. In diesem Spannungsfeld steht der Prozess. „Der Mann ist gestraft genug“, sagt ein Zuschauer, der in derselben Gemeinde wohnt wie Michael P., einem 3000-Einwohner-Ort in der Nähe des Chiemsees. In der Pause äußert sich ein 23-Jähriger, der an jenem Tag weit vorne im Zug saß und schwer verletzt wurde: „Ich kann ihm nicht richtig böse sein. Ich will nur, dass ich durch den Prozess endlich mit der ganzen Sache klar kommen kann“. Viele der Verletzten leiden bis heute an den psychischen Folgen des Geschehens.

Nach dem Unglück war immer wieder über ein technisches Versagen und eine mögliche Mitschuld der Deutschen Bahn diskutiert worden. Die Ermittler haben dazu aber nichts entdecken können. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall eindeutig: „Der Unfall ist ausschließlich auf die pflichtwidrige Handlungsweise des Angeschuldigten zurückzuführen. Die Überprüfung des gesamten Systems ergab keinen Hinweis auf eine anderweitige Unfallursache“. Doch wird in dem Verfahren noch genauer darauf eingegangen werden, ob das Unglück durch weitere technische Sicherheitsmöglichkeiten hätte verhindert werden können.

Für die Beweisaufnahme sind sechs Verhandlungstage angesetzt, das Urteil wird Anfang Dezember erwartet.

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