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Panorama: Zum Schweigen gebracht

In der Türkei wurde eine Frau ermordet, die im Fernsehen über ihre Zwangsheirat sprach

Nermin Ardic packte aus. In Kummerkasten-Talkshows des türkischen Fernsehens berichtete die 32-jährige Türkin, wie sie von ihrer Familie zuerst verprügelt und dann zwangsverheiratet wurde. Es ist ein Schicksal, das in der Türkei viele tausend Frauen erleiden. Entsprechend groß war das Interesse der Zuschauer, und so trat Ardic immer wieder im Fernsehen auf, zuletzt vor einigen Tagen im Privatsender „Star“.

Doch diesen Auftritt bezahlte sie mit ihrem Leben. „Du hast uns bloßgestellt“, herrschte sie ihr Vater Ersin nach der Fernsehshow an. Dann zog er seine Pistole und tötete sie mit mehreren Schüssen. Anschließend stellte er sich der Polizei. „Star“ nahm die Sendung inzwischen aus dem Programm. Es ist nicht das erste Mal, dass eine Frau in der Türkei von ihrer eigenen Verwandtschaft umgebracht wird, weil sie im Fernsehen von Misshandlungen erzählt hat. Erst vor einigen Monaten machte der Fall der 40-jährigen Birgül Isik Schlagzeilen. Isik wurde schon als junges Mädchen mit einem Mann verheiratet, der sie ständig schlug und erniedrigte.

Sie floh aus der Osttürkei nach Istanbul und schüttete vor den Fernsehzuschauern ihr Herz aus. Als sie nach der Show in ihre Heimat zurückkehrte, wartete ihr 14-jähriger Sohn schon am Busbahnhof auf sie und schoss sie nieder. Seine Mutter habe der Familie Schande gebracht, sagte der Junge. Birgül starb wenig später im Krankenhaus. Dass sich Birgül davongestohlen hatte, plötzlich in der Fernsehshow „Stimme der Frau“ im Privatsender Kanal D auftauchte und von den täglichen Schlägen ihres Ehemannes erzählte, war für ihren Mann und ihre Söhne im osttürkischen Elazig schon schändlich genug. Dass sie im Fernsehen auch noch das bei türkischen Landfrauen übliche Kopftuch ablegte, machte das Maß voll. „Stimme der Frau“ wurde ebenso abgesetzt wie andere Frauensendungen, nach denen es Gewalttaten gegeben hatte.

Fast zwei von drei Frauen in der Türkei werden in ihrer Familie Opfer von Gewalt. Mehrere hunderttausend Mädchen dürfen nicht zur Schule gehen, erhalten keine Berufsausbildung und werden früh verheiratet, oft gegen ihren Willen. Besonders in den armen Ostprovinzen der Türkei machen archaische Regeln der „Familienehre“ eine Selbstbestimmung der Frauen unmöglich. Immer wieder werden Frauen von ihren eigenen Verwandten getötet, weil sie angeblich die „Ehre“ der Familie beschmutzt haben. Oftmals genügt dafür schon ein Gerücht, dass eine Frau mit fremden Männern gesprochen haben soll.

Im April waren bei einem anderen Familienstreit, der teilweise vor den Kameras ausgetragen wurde, zwei Menschen getötet worden. Nach den Gewalttaten ging es in der öffentlichen Diskussion in der Türkei aber nicht so sehr um die tägliche Gewalt im Land, sondern um die angeblich aufstachelnde Wirkung der Fernsehsendungen.

„Diese Art von Shows aus dem Programm zu nehmen, ist keine Lösung“, sagte die Soziologin Nilüfer Narli: Schließlich seien nicht die Medien das Problem, sondern die Gewalt gegen Frauen.

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