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David Cornwell, alias John Le Carré (Archivbild von 2011)

© Reuters/Suzanne Plunkett

Zum Tod von David Cornwell: Wie John le Carré die alte Uni in Freiburg von einem Anschlag verschonte

Eine persönliche Erinnerung an die Entstehung des Romans „Die Libelle“ und einen Briten, der in bestem Schwyzerdütsch Witze erzählte.

Ruhm muss nicht arrogant machen. Und Reichtum zwingt niemanden, unnahbar zu werden. Auch eine Weltberühmtheit mit dickem Konto kann einfach Mensch sein. Und bleiben. Für diese Lehre bin ich John Le Carré, der eigentlich David Cornwell hieß, unendlich dankbar.

Er war ein Freund der Familie seit 1960, als er ein unscheinbarer Diplomat (und junger Geheimdienstler) an der britischen Botschaft in Bonn war - und Walther, der Bruder meines Vaters seine Laufbahn im Auswärtigen Amt begann. Als Junggesellen haben sie einige Flaschen Wein gemeinsam geleert. Die sehr spezielle damalige Atmosphäre in der provisorischen Bundeshauptstadt hat Le Carré später im Roman „Eine kleine Stadt in Deutschland“ verewigt.

Er blieb dieser sympathische Bekannte, wenn er alle paar Jahre in Freiburg vorbeischaute, auch als er längst zum internationalen Bestsellerautor aufgestiegen war: ein unprätentiöser, charmanter und witziger Brite, der um seine Ausstrahlung wusste, aber kein großes Aufheben von sich machte.

Ein Spezialist für Lockvögel

Auf unvergessliche Weise konnte er Schweizer Witze erzählen, in authentischem Schwyzerdütsch. Er hatte in Bern studiert. Ein garantierter Lacherfolg war der über die Polizisten, die Strafzettel an Falschparker verteilen und auf die Frage, warum ein bestimmtes Auto kein Knöllchen bekommt, lakonisch antworten: „Das ischt dr Lockvogl“.

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Um Lockvögel ging es auch in seinen Spionageromanen. Autoren, auch das lernte ich über ihn, haben Macht. Sie können zerstören und begnadigen wie ein Staatspräsident. Persönlich durfte ich das erleben, als David Anfang der 1980er Jahre nach Freiburg kam, um Schauplätze für den Roman „Die Libelle“ (Original: The Little Drummer Girl) zu erkunden, der vom nahöstlichen Verwirrspiel zwischen palästinensischen Terroristen und dem israelischen Mossad handelt.

Ein großes Herz

Er brauchte einen Hörsaal der Universität, der in die Luft fliegt. Als wir durch das Univiertel schlenderten und ich ihm die verschiedenen Kollegiengebäude zeigte, angefangen vom KG IV, in dem früher einmal die Universitätsbibliothek untergebracht war, bis sie wegen der vielen Neuerscheinungen in einen größeren Neubau umziehen musste, tat es ihm leid um die historische Architektur aus rötlichem Sandstein. Er verschonte das KG IV und wählte statt dessen das etwas jüngere Kollegiengebäude III.

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Besonders ins Herz geschlossen hatte David den jüngsten Bruder aus der Generation meines Vaters, Helmuth, der wegen einer schweren Hirnhautentzündung als Baby eine geistige Behinderung hatte. Um Helmuth eine Freude zu bereiten, reiste er zu dessen rundem Geburtstag aus England an und hielt die Gratulationsrede.

Der Halbbruder in Washington

Jahre später wurden all diese Erinnerungen aus Kindheit und Studentenzeit wieder wach, als ich Davids Halbbruder Rupert in Washington kennenlernte. Rupert Cornwell war USA-Korrespondent für den "Independent", ich für den Tagesspiegel. Wir wohnten nur wenige Häuser entfernt voneinander in der Patterson Street NW  - benannt nach einem amerikanischen Journalisten und Verleger.

Auf dem Sideboard bei ihm standen Bilder von David, alias John Le Carré. Auch Rupert war ein großartiger Erzähler. Wir haben einige Weinflaschen zusammen geleert und dabei viel über die USA, aber ebenso über Davids erstaunlichen Lebensweg gesprochen.

Von dem Kind, das ab dem Alter von fünf Jahren ohne Mutter aufwuchs und mit einem Vater in der kriminellen Halbwelt. Von dem jungen Mann, der im Militärdienst im besetzten Österreich in die Welt der Geheimdienste eintrat, aber diese Karriere 1964 aufgeben musste, als der britische Doppelspion Kim Philby den Sowjets die Cover vieler britischer Agenten verriet. Und der mit diesem Rüstzeug zum Meister des Spionageromans aufstieg.

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