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Panorama: Zwischen Hölle und Himmel

Die Folgen des Hurrikans „Katrina“ könnten New Orleans’ älteste schwarze Kirchengemeinde retten

Die Gemeinde schwebt zwischen Todesahnung und Auferstehung, knapp sechs Monate nach Hurrikan „Katrina“. Die Beerdigung an diesem sonnigen Februartag wirkt wie eine Parabel: Drinnen in der St. Augustine-Kirche, dem ältesten ununterbrochen genutzten Gotteshaus von New Orleans, liegt Velma Dolliole aufgebahrt, 78 Jahre, würdig und ernst, mit Goldbrille auf der Nase. Draußen fahren Stretchlimousinen vor, strahlend weiß, als sollten sie die Freuden des ewigen Lebens ahnen lassen. Manche Beerdigungsgäste sind so festlich bunt gekleidet und schnattern so fröhlich durcheinander, als ginge es zu einem Tanzvergnügen. 16 Kinder hat Velma Dolliole zur Welt gebracht. 57 Enkel künden davon, dass das irdische Leben fruchtbar weitergeht. Im Fall der 1841 gegründeten Kirchengemeinde, der ältesten schwarzer Katholiken in den USA, ist das nicht ganz so sicher: Überalterung und zu viele Schulden, sagt die Erzdiözese und will sie mit einer jüngeren Nachbargemeinde zusammenlegen.

Links hinter Dollioles Sarg hängt eine Kirchenfahne, wie man sie zur Osterzeit in vielen Kirchen Europas sieht – denkt man jedenfalls auf den ersten Blick. Doch sie zeigt weder das Opferlamm noch das „PX“, das den Frieden Christi verheißt. Dieses grüne Banner erinnert an die Jazz-Messe vom 7. August 2005 im Namen Satchmos. An jedem ersten August-Sonntag feiern die schwarzen Katholiken von St. Augustine den Geburtstag der Jazz-Legende „Satchmo“ Louis Armstrong. An der Längsseite des schlichten, rechtwinkligen Holzbaus mit dem einfachen Spitzdach auf dem Turmhelm lehnt ein aus Ketten geschmiedetes, fünf mal drei Meter hohes Kreuz – ein Mahnmal für die schwarzen Sklaven in Amerikas Süden. Das Leiden, das Überdauern und die Freude an der urwüchsigen Musik formen die Identität der Menschen hier.

„Wir sind noch nicht erledigt“, sagt Pater Jerome LeDoux, ein schlanker 76-Jähriger mit weißem Krausehaar. Seine Augen und die Lachfalten um sie herum versprühen so viel Lebenserfahrung und Zuversicht, dass sie plötzlich ein Lächeln in die Gesichter fast aller Umstehenden zaubern. „Wir schaffen es, wir glauben daran – nur die Erzdiözese noch nicht so ganz“, sagt er. Den Hurrikan „Katrina“ hat die Gemeinde fast unversehrt überlebt, die umstehenden Häuser zeigen nur Windschäden. Das Viertel Treme gleich nördlich des French Quarter liegt auf altem Siedlungsgebiet, dem um rettende zwei, drei Meter höheren Schwemmland auf dem Prallufer eines der vielen Mississippi-Mäander. Warum soll es nach dieser Rettung mit dem Gemeindeleben zu Ende sein? Nein, das mag Pater Jerome nicht glauben. Er ist bekannt für seine sozialen Aktivitäten, die Armenspeisung und die Treffen anonymer Drogenabhängiger.

Kurz nach dem Hurrikan kamen doch auch so viele rettende Hände. Studenten der Tulane-Universität schafften herbei, was fehlte: Essen, Trinkwasser, Seife, Toilettenpapier, Reinigungsmittel. Jeder durfte den Eigenbedarf für eine Woche mitnehmen. Jeromes Friseur aus der überfluteten Claiborne-Avenue verlegte seinen Salon, als er die wunderbaren Spiegel im Gemeindesaal sah und hörte, dass es hier Strom gebe, kurzerhand nach St. Augustine. So wurde die Kirche in Zeiten der Not zum Zentrum der Selbstversorgung.

Und doch blieb Alltag lange ein Fremdwort. „Eigentlich bis heute“, sagt Pater Jerome. „Früher fühlte sich Werktag wie Werktag an und Sonntag wie Sonntag, da musste ich gar nicht auf den Kalender schauen.“ Seit „Katrina“ zuschlug, stürzt viel Ungewohntes auf ihn ein. Wochenlang blieben die anonymen Drogenabhängigen weg. Er hat sich gefreut, als die wieder auftauchten – „ein Stück Normalität“. Beerdigungen gebe es jetzt mehr als früher, drei bis vier pro Woche. Der Hurrikan habe körperliche und seelische Probleme, die lange schwelten, ins Unerträgliche gesteigert und „viele Menschen über den Abgrund gedrückt“.

„Katrina“ hatte auch positive Folgen: „Wir haben viel mehr Gottesdienstbesucher als vorher, obwohl noch lange nicht alle Gemeindemitglieder zurück sind.“ Die durchschnittliche Sonntagskollekte von neuerdings 3000 Dollar reiche sogar, um ganz langsam mit dem Schuldenabbau zu beginnen. „Wenn der Himmel jetzt noch ein oder zwei großherzige Gönner schickt ...“, sagt Pater Jerome, halb flehend, halb voller Gottvertrauen, dann könne das vielleich auch die Erzdiözese umstimmen. „Wir könnten eine Stiftung gründen, um dieses historische Denkmal und die Jazz-Gottesdienste, die so viele Touristen anziehen, zu retten.“

Und wenn nicht? Wenn viele Schwarze nicht zurückkommen, wie so viele Studien prognostizieren, und zentrale Orte wie St. Augustine untergehen: Verliert New Orleans dann seinen Charakter? „No chance!“ Pater Jerome lacht aus vollem Hals. „Natürlich kommen nicht alle Schwarzen zurück. Aber alle Alteingesessenen haben New Orleans im Blut, in den Knochen, im ganzen Körper.“ Den Satz, für den Bürgermeister Ray Nagin so kritisiert wurde – New Orleans müsse eine „chocolate city“ bleiben – dreht der Pfarrer um: „Es gibt auch weiße Schokolade, es gibt Schokoladen in allen Farben, und sie alle schmecken süß.“

„Die Beerdigung wartet“, verabschiedet er sich mit einem festen Händedruck. Seine Augen lächeln weise und gütig, als freue er sich richtig darauf.

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