zum Hauptinhalt
Lindy Ave holte Bronze über 100 Meter. Die Mecklenburgerin tritt an in der Klasse T38 für Athleten mit leichter Spastik

© Ennio Leanza/KEYSTONE/dpa

Paralympics und Gleichstellung: Warum nicht ein Weltsportfest für alle?

Die Trennung von Olympischen und Paralympischen Spielen sollte enden. Das wäre zwar schlecht für einzelne Sportarten und -klassen, aber gut für alle. Ein Kommentar.

Es ist Halbzeit bei den Paralympischen Spielen in Tokio, Deutschland liegt im Medaillenspiegel ziemlich weit hinten, aber die Disziplinen, in denen es berechtigte Hoffnung auf Bronze-Silber-Gold gibt, stehen erst noch an. So gesehen gibt es einen Gleichklang zu Olympia. Es ist auch sonst einiges ähnlich: Die Paralympischen Spiele werden vom Fernsehen übertragen, Internet, Radio, Zeitungen melden täglich Aktuelles von den Wettbewerben, und bei Twitter werden Berichte über Para-Sport geliked und retweetet. Aber werden sie auch gelesen?

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Frage führt zu dem, was nicht so ähnlich ist. Dem anlässlich der Paralympics paralympisch sehr korrekten und gleichstellenden Umgang mit den behinderten Sportlerinnen und Sportlern steht eine immer noch latent ausgrenzende Grundeinstellung in der Gesellschaft gegenüber. Die äußert sich im Privaten durch Fremdeln, durch wenige freundschaftliche Kontakte über die Behinderungsgrenze hinweg, durch Unsicherheiten in der Kommunikation.

Sie äußert sich auch wirtschaftlich, wenn für das Einstellen von Menschen mit Behinderungen staatliche Subventionen fließen müssen. Und sie äußert sich politisch, wenn Themen, die mit Behinderungen zu tun haben, den Menschen mit Behinderungen überlassen werden, als sei ihre Integration allein für sie von Interesse und nicht auch Anliegen einer Gesellschaft an sich, die es sich nicht leisten will, acht Millionen Menschen zu übergehen.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Genderstern und sozialer Wandel: Geschlechtergerechtigkeit hängt nicht an einer Nachsilbe.]

Man kann diese einfach so hingenommene Kontaktstörung umso erstaunlicher finden, als die identitäts- und genderpolitischen Eruptionen der jüngsten Zeit doch höchste Sensibilität für Gleichstellungs- und Diskriminierungsfragen mit sich gebracht haben sollten. Warum scheint es die für Menschen mit Behinderungen nicht im selben Maß zu geben?

Den allerwenigsten Menschen, die hierzulande eine attestierte Behinderung haben, ist die angeboren. Behinderung ist ein Lebensrisiko. Die allermeisten Menschen – nahezu 90 Prozent – haben ihre Behinderung infolge einer Krankheit. Sie kann auch mit einem Unfall kommen, einer misslungenen Operation, einer falschen Therapie. Manchmal wirkt es so, als sei diese Möglichkeitsperspektive selbst das Trennende: dass die noch nicht Betroffenen nicht an ihre Verletzlichkeit und mögliche lebenslange Folgen erinnert werden wollen.

Wie der zweite Gang, wenn alle schon satt sind

Dazu passt auch die Auslagerung von Weltspielen für Menschen mit Behinderung in eine Sonderveranstaltung, zwei Wochen nach dem Olympischen Finale, was sie aber zu einem zweiten Gang macht, der serviert wird, wenn alle satt sind. Warum nicht stattdessen den Zusammenschluss suchen und statt zwei Veranstaltungen ein großes Sportfest für alle planen, das dann vielleicht drei oder vier Wochen statt zwei Mal zwei Wochen die Welt zu fesseln sucht. Man stelle sich vor: Erst 100 Meter Frauen, dann 100 Meter Paras, dann 100 Meter Männer.

Interessanterweise wird die Trennung der Ereignisse auch von manchen Para-Sportlern akzeptiert und gutgeheißen. Auf ihrer Seite wurde durch die Feinstjustierung der Grade der Beeinträchtigung ein komplexes Klassifizierungsreglement ersonnen, das für möglichst viele Para- Teilnehmer eine Chance auf eine Medaille ermöglicht. Das ist aus der Innensicht der Para-Welt ein guter Ansatz, es erschwert aber ein Zusammengehen mit dem Nicht-Para-Sport.

Die Frage, die sich bei einer Zusammenlegung stellen würde, wäre also: Welche Disziplinen, welche Klassifizierungen lässt man weg? Und dieses Weglassen würde sich nicht allein auf Para-Disziplinen beschränken. Könnte das eine Debatte wert sein? Oder ist der Ansatz falsch, weil das Leben mit Behinderung einen Raum für sich braucht und will? Im Sinne einer Welt ohne Vorurteile könnte es medaillenwürdig sein, gerade die Grenze zwischen behindert und nicht-behindert einzureißen. Weil nicht in Stein gemeißelt ist, auf welcher Seite ein Mensch steht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false