zum Hauptinhalt
Fühlt sich modern an. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten die Armen im Stadtteil Powisle, heute zieht es junge Leute wegen der zahlreichen Bistros wie an der umgebauten Bahnstation hierher.

© picture alliance / Robert Newald

Polen: 48 Stunden junges Warschau

„Wir leben hier in unserer liberalen Blase“, sagt die Barkeeperin. In Polens Hauptstadt tanzen PiS-Anhänger und Hipster zusammen - zumindest an manchen Orten.

Von Laura Hofmann

11 Uhr

Das Wochenende in der polnischen Hauptstadt mit Croissant beginnen? Unbedingt! Früher nannte man Warschau das „Paris des Ostens“. Am besten im französischen Café „Charlotte“ auf dem Plac Zbawiciela, zu Deutsch: Platz des Erlösers, mitten im Zentrum Warschaus. Mit etwas Glück bekommt man draußen einen Bistrostuhl, dann muss man sich nur noch für drei der hausgemachten Marmeladen entscheiden und kann die Atmosphäre aufnehmen. Drum herum reden junge Menschen mal polnisch, mal französisch, mal deutsch. Das Café ist ein Treffpunkt für Kosmopoliten. Der Blick schweift über sozialistische Nachkriegsklötze, prunkvolle Vorkriegsbauten und die zwei Spitztürme der Erlöser-Kirche. Die wollte die Stadt während der Rekonstruktion nach dem Zweiten Weltkrieg beinahe abreißen. Zum Glück setzte sich dieser Vorschlag nicht durch.

13 Uhr

Das sozialistische Warschau sieht oft grau aus. Diesem Einheitsbrei entkommen Besucher im Stadtteil Powisle unterhalb der Weichselklippe, zu Fuß eine gute halbe Stunde vom Erlöserplatz entfernt. Das Dach der futuristisch anmutenden Universitätsbibliothek (Dobra 56/66) ist ein grünes Paradies: Auf knapp 1,5 Hektar Fläche hat die Landschaftsarchitektin Irena Bajerska einen botanischen Garten angelegt. Dadurch wirkt das 1999 eingeweihte Gebäude, als würde es grünen und blühen. Stahl, Glas und Solarpanels, Efeuranken und Blumenbeete. Was unvereinbar klingt, wächst hier zusammen.

Früher war das Viertel drum herum abgerockt, bis zum Zweiten Weltkrieg war es das Armenhaus der Hauptstadt, heute zieht Powisle mit zahlreichen Bistros, Galerien und Kneipen viele junge Warschauer an. Wenn man auf dem Bibliotheksdach entlangspaziert, von oben auf die Weichsel schaut oder durch die Deckenfenster die lernenden Studenten beobachtet, bereut man, das Erasmus-Semester nicht in Warschau verbracht zu haben. Für eine Pause in einem der Liegestühle im ebenfalls zur Uni gehörenden Park ist es nie zu spät. Der ist, wie der Dachgarten, offen für alle Besucher. Kinder spielen auf der Wiese, Studentinnen sitzen im Schneidersitz im Gras und lesen.

Der Garten der Unibibliothek lädt zum Verweilen ein.
Der Garten der Unibibliothek lädt zum Verweilen ein.

© Laura Hofmann

15 Uhr

Zur „Mood Scent Bar“ in der Tamka-Straße läuft man von der Bibliothek nur zehn Minuten. Ein Parfum-Laden, aber kein gewöhnlicher (Tamka 33). Victor Kochetov behauptet, für jeden Charakter den richtigen Duft bereitzuhalten – und das auf nicht mehr als acht Quadratmetern. Der 34-Jährige unterscheidet dabei nicht zwischen Männer- und Frauendüften, er möchte „Individuen“ ansprechen. Das Interieur ist puristisch elegant, an der olivfarbenen Wand reihen sich zierliche Flakons aneinander.

Als Kochetov den Laden vor fünf Jahren eröffnete, gab es in der Nähe außer seinem Geschäft kaum eine andere Möglichkeit, ein Konsumbedürfnis zu befriedigen. Jetzt habe sich die Gegend zum Hotspot von Warschau entwickelt: Viel los, viele schöne Läden – und damit einhergehend sehr teure Mieten. Um nach dem Schnuppern auf der Suche zu seinem Individuum wieder zu Sinnen zu kommen, empfiehlt sich ein starker Kaffee im hübsch eingerichteten Café Stor direkt neben dem Parfumgeschäft.

Victor Kochetov hat die "Mood Scent Bar" eröffnet. Kein gewöhnlicher Parfumladen.
Victor Kochetov hat die "Mood Scent Bar" eröffnet. Kein gewöhnlicher Parfumladen.

© Laura Hofmann

17 Uhr

Der Spaziergang zurück ins Zentrum führt an stalinistischen Palästen und stuckverzierten Gründerzeithäusern vorbei. Diese architektonischen Kontraste machen den Reiz der Stadt aus. In den frisch renovierten Altbauten in der Poznánska-Straße haben sich heute vor allem vegane und nahöstliche Lokale angesiedelt. Warschau gilt mittlerweile als Osteuropas Hauptstadt der Veganer, in vielen Reiseblogs werden mehr als 100 solcher Restaurants gelistet und empfohlen. Unbedingt probieren sollten Besucher das „Yumiko“ (Hoza 62), einer der angesagten veganen Sushi-Läden der Stadt. Inzwischen hat das Restaurant auch Ableger in Krakau und München eröffnet. Kaum vorstellbar, dass die Zentrale der konservativen Regierungspartei PiS nur einen Steinwurf von den Befürwortern alternativer Lebensentwürfe entfernt ist.

20 Uhr

In Polen ist es verboten, Alkohol auf der Straße zu trinken. Eine der wenigen Ausnahmen bildet das Weichsel-Ufer. Früher war das Trinken nur auf der östlichen Seite im Stadtteil Praga erlaubt, die dortigen Grünanlagen wurden Alkoholiker-Treffpunkte. Heute ist das linke Flussufer zur Promenade umgebaut, die Warschauer nennen die Abschnitte zwischen den Brücken Weichsel-Boulevards (Wybrzeze Kosciuszkowskie). Alle paar Meter legen hier DJs elektronische Musik auf, junge Menschen trinken Bier auf den Treppenstufen. Es gibt einen Sandstrand mit Liegestühlen, einen Skaterpark, mehrere Cafés und Restaurants. Das bunte Licht von Lampions und Lichterketten spiegelt sich am späten Abend auf der Flussoberfläche. Mehr braucht es nicht.

22 Uhr

Auf der Suche nach dem Warschauer Nachtleben im „Bardzo Bardzo“ (Nowogrodzka 11) nahe des Hauptbahnhofs gelandet – ein Glücksgriff. Der Name heißt übersetzt „Sehr sehr“, und das ist der Laden auch. Die individuell gemixten Cocktails: sehr lecker. Die Live-Musik, senegalesischer Jazz: sehr tanzbar. Die Barkeeperin Marlena: sehr kommunikativ. „So lange in Polen keine Diktatur herrscht, leben wir hier in Warschau in unserer liberalen Blase“, sagt sie.

Danach um die Ecke weitertanzen, in der Meta Disco (Parkingowa 5), zu Disko Polo (polnischem Schlager) und billigem Alkohol. Hier trifft sich Ost und West, der PiS-Anhänger und die Berlin-Enthusiastin, hier tanzen die Hipster-Mädchen mit den Fjallraven-Rucksäcken neben glatzköpfigen Jungs vom Land.

Street-Art, Hochkultur und Wodka-Tasting

11 Uhr

Was hilft gegen Kater? Zum Beispiel: französischer Kaffee, frisch gepresster Orangensaft und ungarische Langos. Gibt es alles auf dem Frühstücksmarkt Targ Sniadaniowy (Aleja Wojska Polskiego, bei gutem Wetter draußen) im Norden der Stadt. Aus den weißen Pavillons auf der grünen Wiese dampft und zischt es, in der Luft hängt ein leichter Fettgeruch, dazu plätschert melodischer Elektro-Pop aus den Lautsprechern. Die Maisfladen aus Venezuela schmecken, die Geschichte ihrer Macher ist traurig. Vor vier Monaten haben sie ihre Heimat verlassen. Sie sagen: „Wer gehen kann, der geht.“ In Warschau fangen sie neu an.

13 Uhr

Nun ist es Zeit, einmal das Weichselufer zu wechseln und rüber auf die rechte Seite nach Praga zu gehen. Dieser Stadtteil gilt als Neukölln von Warschau: früher arm, heute sexy. Das sieht man vor allem an den vielen Street-Art-Gemälden und den zahllosen Bars. Den Spaziergang durch das Viertel sollte man am Praha-Kino beginnen, in der Nähe der Zabkowska-Straße, dem Knotenpunkt, an dem sich die meisten Galerien, Cafés und Imbisse befinden. Vor fünf Jahren waren auf der Straße vor allem Drogendealer und Kleinkriminelle unterwegs. Heute öffnen jeden Monat neue Lokale. Besonderer Tipp für abendliche Wiederkehrer: die Studentenkneipe „W Oparach Absurdu“ (Zabkowska 6). Gäste sitzen auf Vintage-Stühlen aus den 50er Jahren, Stehlampen aus der Vorkriegszeit strahlen gedämpftes Licht aus, während polnische Ska-Bands im Lokal spielen.

15 Uhr

Praga kann auch Hochkultur. Nur einen Kilometer entfernt befindet sich das Powszechny-Theater (Zamoyskiego 20). Der Direktor stellt syrische Flüchtlinge ein, setzt sich für Feminismus und Multikulturalismus ein und betreibt auf dem Theatervorplatz ein „Urban Gardening“-Projekt. Die Gerichte im Theaterbistro werden mit den Kräutern aus eigenem Anbau garniert. Die Theaterstücke wiederum sind provokativ, sodass das Theater manchmal konservative Warschauer auf die Barrikaden bringt – zuletzt 2017 mit dem kirchenkritischen Stück „Fluch“. Rechtsnationalisten drangen in das Gebäude ein und störten die Aufführung mit Tränengas. Die Besucher mussten den Saal durch einen Hinterausgang verlassen. Das Stück wurde trotzdem nicht abgesetzt.

16 Uhr

Danach einen Besuch in der früheren Wodkafabrik Koneser (Plac Konesera 2) einplanen. Bis 2007 wurden hier Wodkamarken wie Luksusowa und Wyborowa abgefüllt. 2018 eröffnete das Museum des polnischen Wodkas. Der enthielt im 17. Jahrhundert noch keinen Alkohol, sondern Kräuter und galt deswegen als Medizin. Erst 100 Jahre später kam Hochprozentiges dazu, weil das Wasser voller Bakterien war. Beim Tasting zeigt sich, dass der Kartoffel-Wodka der einzige ist, der beim Schlucken nicht in der Kehle kratzt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Erst der Wodka, dann einen Kaffee, bitte. Eine knappe Viertelstunde Fußweg zum Ausnüchtern, bis man die Rösterei „Proces Kawki“ (Ksiedza Ignacego Klopotowskiego 23/25) erreicht, der Name ist ein Wortspiel: der Prozess des Kaffees oder Kafkas Prozess. Damit wolle man die Absurdität der politischen Lage unterstreichen, erklärt der Pächter. Früher war hier eine Schule, dann eine Militärzentrale. Im August 2018 eröffnete das Lokal, das unter anderem Kaffeebohnen aus dem Jemen im Sortiment hat und Intellektuelle wie den Theaterkritiker der linksliberalen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ zu seinen Stammkunden zählt.

19 Uhr

Alles riecht hier nach Speck, nach Zuhause. Auf die weiße Backsteinwand hat jemand orange-grüne Blumen gemalt. Das Lokal „Pyzy Flaki Gorace“ (Brzeska 29/31) ist nicht größer als ein geräumiges Wohnzimmer, und diese Geborgenheit vermittelt es auch. Jarek Szpekowski bietet hier vor allem Pyzy an, polnische Kartoffelklöße mit verschiedenen Toppings im Einmachglas. Früher haben das alte Frauen auf dem Rozyckiego-Markt direkt nebenan verkauft. „Das erste polnische Streetfood!“, sagt Szpekowski, der im Viertel aufgewachsen ist. Außerdem auf der Karte: Kluski, polnische Gnocchi. „Polen hat eine reiche Nudeltradition“, erklärt er. „Aber die ist kaum bekannt. Das wollte ich ändern.“ Sollte klappen. Die Kluski mit Spinat und Käse sind unglaublich gut.

Jarek Szpekowski will die polnische Pasta-Kultur wieder groß machen. Gut möglich, dass ihm das mit seinem Lokal "Pyzy Flaki Gorace" gelingt.
Jarek Szpekowski will die polnische Pasta-Kultur wieder groß machen. Gut möglich, dass ihm das mit seinem Lokal "Pyzy Flaki Gorace" gelingt.

© Laura Hofmann

21 Uhr

Praktisch, dass sich auf dem Parkplatz des Rózycki-Markts im Sommer abends ein Biergarten ausbreitet: die Praska-Bar (Brzeska 23). So muss man nach dem Essen nur ein paar Meter hinüberrollen. Im Kommunismus bekam man auf dem Basar alles, was es in den Läden nicht gab: Kleidung, Waffen, sogar Pässe. Heute öffnen nur noch wenige Stände, es gibt billigen Ramsch wie Polyester-Sakkos und Kriegsdevotionalien. Aber auch Brautkleider! Auf Liegestühlen fläzen sich ab dem Spätnachmittag polnische Hipster und trinken heimisches Craft-Bier.

Auf dem Parkplatz des Rózycki-Markts breitet sich im Sommer abends ein Biergarten aus: die Praska-Bar.
Auf dem Parkplatz des Rózycki-Markts breitet sich im Sommer abends ein Biergarten aus: die Praska-Bar.

© Laura Hofmann

23 Uhr

Das Wochenende endet, wo es begonnen hat: am Erlöserplatz. Spätabends wird auf dem Bürgersteig aus Cocktailgläsern getrunken, um sich auf die Nacht einzustimmen. Viele ziehen dann weiter ins „Plan B“ (Aleja Wyzwolenia 18), eine Bar im ersten Stock mit Tanzfläche und Blick auf den Platz. Dazu passt Wsciekly Pies, zu Deutsch: tollwütiger Hund – Wodka mit Tomaten-Tabasco-Saft, ein Drink in den polnischen Nationalfarben. Der Barkeeper serviert ihn gleich zweimal. Na zdrowie!

Reisetipps für Warschau:

Hinkommen

Am einfachsten fährt man von Berlin nach Warschau Hauptbahnhof (Warszawa Centralna) mit dem Berlin-Warschau-Express per Zug ab 60 Euro hin und zurück.

Unterkommen

Hotels sind in Warschau relativ preiswert. Zum Beispiel das Marriott am Hauptbahnhof, wo das Doppelzimmer ab 90 Euro pro Nacht kostet (marriott.de). Ein Zimmer in den oberen Stockwerken reservieren, mit Blick auf den Kulturpalast.

Rumkommen

Mit dem Warschau-Pass für 30 Euro kommt man in alle wichtigen Museen der Stadt. Infos zu Festivals und anderen Events gibt es auf warsawtour.pl.

Die Reise wurde unterstützt vom Polnischen Fremdenverkehrsamt, mehr unter polen.travel.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false