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Schwungvolle Linie.

© Polestar

Polestar: Lass dich überwältigen

Drei Motoren und 600 PS: Das zweitürige Coupé Polestar1 ist ein extrem aufregendes Auto – der Plug-in-Hybrid hat mit 155 000 Euro aber seinen Preis 

Vernünftig, nein, vernünftig ist das nicht. Aber es geht beim Polestar1 auch nicht um Vernunft. Es geht um Überwältigung, um Leidenschaft und ja, einfach auch Spaß. Das muss man schon mitbringen bei einem Auto, bei dem eines ganz dick draufstehen müsste: dieser Wagen gefährdet ihren Geldbeutel. Denn Polestar, ein eigenständiger chinesisch-schwedischer Volvo-Ableger für elektrisch betriebene Performance-Modelle, bietet den Wagen in der Basisversion für 155 000 Euro an. Dafür aber wird es den Polestar1, der ab Weihnachten ausgeliefert werden soll, nur in einer klar begrenzten Zahl geben. Anfangs sollten es nur 500 Exemplare geben – was einer Jahresproduktion des chinesischen Polestar-Werks entspricht. Inzwischen aber ist die Nachfrage für den Wagen aus der Unternehmens-Imperium des chinesischen Volvo-Eigners Geely bereits so groß, dass nun doch mindestens 1500 Stück gebaut werden sollen. Zudem sollte das Sportcoupé anfänglich nur geleast werden können, was inzwischen aufgeben wurde, weil die Interessenten lieber kaufen wollen. Und zur Verwirrung gehört auch, dass der Polestar1 gar kein rein elektrisch betriebenes Fahrzeug ist – dass soll erst der nachfolgende Polestar2 werden, der dann als ein mittelgroßer SUV für größere Stückzahlen ausgelegt sein wird. Eines ist klar: In das sportliche Coupé hat Polestar so viel investiert, dass man sich fragt, ob sich das wirklich rentiert, oder mehr dazu dient, die Marke zu profilieren. „Für den Aufwand, den wir betrieben haben, ist das fast ein Schnäppchen“, sagt Polestar-Chef Thomas Ingelrath deshalb auch folgerichtig.

Mit Stern auf der Haube - und Volvos Design-Genen bei Scheinwerfern und Frontgrill.
Mit Stern auf der Haube - und Volvos Design-Genen bei Scheinwerfern und Frontgrill.

© Polestar

 Karosserie aus Karbon

Drei Motoren, insgesamt 600 PS und ein gigantisches Drehmoment von 1000 Newtonmetern in einem Designerkleid vom Feinsten – nämlich weitgehend aus Karbon zugeschnitten. Und dazu gibt es eine skandinavisch-dezente Innenraumgestaltung zum Wohlfühlen. All das ist der Polestar1, den wir jetzt auf Einladung des Herstellers fahren konnten. Ein Plug-In-Hybrid, das mehr ist als die Summe von Kraft und Geschwindigkeit. Hier kommt ein Conceptcar wirklich mal auf die Straße, während sonst Automobilkonzerne ihre Ingenieure für die großen Motorshows hippe Prototypen bauen lassen, von denen man danach nie wieder etwas hört. Auch hier gibt es mit dem Volvo concept Car Coupé durchaus einen Vorläufer, so wie im Polestar1 jede Menge Volvo steckt.

Mit Glasdach und Spoiler im kurzen Heck.
Mit Glasdach und Spoiler im kurzen Heck.

© Polestar

Direkt angetriebene Hinterräder

Drei Motoren sitzen unter der 4,60 Meter langen Kohlefaser-Haut: zwei direkt die hinteren Räder antreibende Elektromotoren und ein Vierzylinder-Verbrenner-Motor mit zwei Liter Hubraum, der die Vorderachse antreibt. Die beiden Elektromotoren leisten zusammen 232 PS, dazu kommen 309 PS vom Benziner mit doppelter Turbo-Aufladung. Außerdem leistet ein Starter-Generator, der über den Verbrennungsmotor die Lithium-Inonen-Batterien während der Fahrt wieder aufladen kann, noch einmal 70 PS.  Rund 125 Kilometer weit kann der Polstar1 rein elektrisch fahren. Man betrachte den Wagen „mit der größten rein elektrischen Reichweite aller weltweit verfügbaren Plug-in-Hybridfahrzeuge“, so betont Polestar, deshalb „mehr als Elektroauto, dass von einem Verbrennungsmotor unterstützt wird“. Natürlich fällt einem da sofort der BMW i8 ein, der ebenfalls mit zwei Elektromotoren und einem Verbrenner ausgerüstet ist: Dort treibt der Benziner aber die Hinterachse an und die E-Motoren die Vorderachse. Außerdem ist die rein elektrische Reichweite des doch sehr rabiat-expressiven i8 nur für 50 Kilometer Reichweite gut. 

Während andere Hersteller das Batterie als flaches Paket unter die Fahrgastzelle legen, setzen die Polestar-Ingenieure auf zwei Lithium-Batterien mit insgesamt 34 Kilowattstunden Power. Eine Batterie sitzt zwischen Fahrer und Beifahrer unter der Mittelkonsole, wo der überflüssig gewordene Kardantunnel beibehalten wurde. Die zweite Batterie sitzt direkt über der Hinterachse – was freilich den Kofferraum auf gerade einmal 126 Liter Platz einengt. Da wird es selbst für die Maße eines Handkoffers knapp. Dafür kann man als kleiner Technik-Gimmick durch ein Sichtfenster in der Kofferraum-Rückwand direkt auf die Lade-Technologie blicken. 

Packt kraftvoll zu: Die 21-Zoll-Räder sind mit Akebono-Bremssystem ausgestattet.
Packt kraftvoll zu: Die 21-Zoll-Räder sind mit Akebono-Bremssystem ausgestattet.

© Polestar

Thors Hammer und ein Schuss Retro

Das zweitürige Coupé mit der sportlich-klaren Linienführung lässt viele Volvo-Gene ahnen, hat aber trotzdem eine ganz eigenständige Linienführung. Kein Wunder, denn Polestar-Chef Thomas Ingenlath war vormals Chefdesigner bei Volvo. Die Front ist geprägt einer langen, nahezu waagerechten Motorhaube, die vorne den von Volvo gewohnten senkrecht stehenden Grill mit den LED-Scheinwerfern im sogenannten Thor-Hammer-Layout endet. Nur prangt da vorne jetzt das Polestar-Emblem. Die breiten Türen mit der tiefen Hohlkehle und den bis zur Hinterachse nach hinten gezogenen flachen Seitenscheiben prägen die gelungene seitliche Silhouette mit der zum Heck stark absinkenden Dachlinie. Es fallen dabei die kurzen Überhänge vorne und hinten auf – dass macht den Wagen kürzer (und damit wendiger), ohne ihn plump wirken zu lassen. Die harte Kantenlinie zum Heck zitiert auf feine Weise die Heckflossen-Kultur der US-Straßenkreuzern der 60er Jahre. Auf eine mittlere Säule haben die Ingenieure bis auf eine zarte Strebe verzichtet, was dem nur 1,35 Meter hohen Coupé viel Leichtigkeit verleiht. Das gilt auch für die rahmenlosen Fenster. Sehr massiv-kraftvoll wirkt dagegen beim 1,96 Meter breiten Fahrzeug das prägnant kantige Heck, dessen Rückleuchten ebenfalls Volvos Design-Werkzeugkasten ahnen lassen. Es sind viele Kleinigkeiten, bei denen man die handwerkliche Sorgfalt und die Tüfteleien der Ingenieure merkt, ob die Aussparung am oberen Rand der vorderen Radhäuser, damit die Seitenlinie der Motorhauben nicht unterbrochen wird, oder die extravaganten Türgriffe, die beim öffnenden Funksignal aus der Fläche herausklappen.

Wer angesichts von drei Motoren und den beiden Batteriepaketen auf ein extrem schweres Fahrzeug schließt, liegt sowohl richtig als auch falsch. Die weitgehend aus Kohlenstoff-Fasern bestehende Karosserie senkt das Gewicht um 240 Kilogramm und gleicht damit das Mehrgewicht der Batterien aus. Weitere Karbon-Applikationen, etwa beim Kardantunnel, erhöhen die Steifigkeit der Karosserie noch einmal erheblich. Trotzdem wiegt der Polestar1 stattliche 2350 Kilo – was man im Fahrbetrieb freilich kaum bemerkt. Um die Straßenlage zu verbessern, setzt der Polestar1 beim Fahrwerk auf den schwedischen Federungsspezialisten Öhlins, der dafür ein elektronisch gesteuertes Dämpfersystem entwickelt hat. Und das merkt man beim Fahren.

Einsteigen ins Fahrvergnügen - mit Innenraum zum wohlfühlen.
Einsteigen ins Fahrvergnügen - mit Innenraum zum wohlfühlen.

© Polestar

Fahren mit Wow-Effekt

Das ist wahrlich ein Auto mit Wow-Effekt; aufregend wie wenige andere Wagen. Man muss nicht einmal Sportwagen-affin sein, um zu spüren, dass der Polestar1 auf seinen großen 21-Zoll-Rädern in einer beindruckendenden Weise über die Straßen gleitet und dabei selbst bei viel Kurvenspeed nur ein geringes Maß an Seitenneigung zeigt. Die nahezu ausgeglichene Gewichtsverteilung auf die zwei Achsen trägt ebenfalls zu einem hervorragenden Handling bei. Zum Fahrvergnügen tragen auch die von Volvo übernommenen Assistenzsysteme bei, die etwa im driverassist-Modus das halbautonome Fahren mit einer straffen und immer präzisen Lenkung ermöglicht. Zur Elektroautos eigenen enormen Beschleunigung kommt noch einmal ein sattes Drehmoment hinzu, wenn sich der Benzin-Motor bei Vollgas zuschaltet und den Wagen – dann im Allrad-Antrieb - in vier Sekunden auf Tempo 100 treibt. Mit rein elektrischer Kraft geht es bis auf Tempo 160 – was allemal reicht; doch abgeregelt wird erst beim 250 kmh.  Ab Tempo 170 hebt sich aus der Heckklappe, ähnlich wie beim Audi A7, zur Stabilisierung der Straßenlage noch ein kleiner Spoiler. Wer nicht so schnell fahren möchte: man kann den Spoiler auch jederzeit per Knopfdruck ausfahren. So perfekt die Straßenlage ist – wer will, kann auch individuell nachschärfen. Allerdings nicht per Knopfdruck. Geöffnet werden muss dazu die Motorhaube, um dort die Federung manuell mittels gerändelter Messing-Schraube in 22 Stufen einstellen – noch eine Reminiszenz an Zeiten, als Rennsport noch filigrane Handarbeit war. Als Verbrauch werden o,7 Liter Treibstoff angegeben; an mit Gleichstrom nutzenden 50KW-Ladesäulen kann das Fahrzeug in weniger als einer Stunde aufgeladen werden. 

Macht sich breit - mit kraftvoll-kantigem Heck.
Macht sich breit - mit kraftvoll-kantigem Heck.

© Polestar

 Beste Materialien und Verarbeitung

Viel Raumgefühl vermittelt die Fahrgastzelle. Das kommt vor allem durch das weit nach hinten reichende Glasdach. Hervorragende Sitze und das aus den großen Volvo-Modellen übernommene Armaturenbrett mit den retromäßigen Lufteinlässen und des hochkant stehenden Touchscreens mit allen Funktionen für Navigation, Fahrwerkeinstellungen, Klima und Multimedia bestimmen das Interieur. Fast wie bei Volvo – nur das auch hier im Zentrum des gut in der Hand liegenden kleinen Lenkrads das Polestar-Emblem prangt. Nur der Mitteltunnel, unter dem die Batterie sitzt, wirkt ein wenig zu hoch geraten. Überflüssig zu sagen, dass die Materialien und die Verarbeitung hervorragend sind. Selbstverständlich gibt es in dieser Preisklasse auch ein supergutes Bowers&Wilkens-Soundsystem. Nur hinten gibt es wenig Platz. Ist der Fahrer etwas größer, muss man sich auf der Rückbank so zusammenfalten, dass selbst Kinder bald quengeln würden – von der Kopffreiheit für Erwachsene ganz zu schweigen. Für längere Fahrten ist das definitiv nicht gedacht - was aber bei einem zweitürigen Coupé auch niemand wirklich erwartet. Die Kunden können beim Polestar1 für die Karosserie zwischen fünf Metallic-Farbtönen wählen – jeweils in hochglänzend oder matt. Innen kann man sich bei den Sitzen für Nappa-Leder aus beige oder dunkelgrau entscheiden.

 Technik-Kunstwerk

Klimabewusste Menschen, die eher kurze Strecken fahren wollen, werden nicht unbedingt die Käufer sein – dafür braucht es kein 600 PS starkes Auto. Für die wird dann eher der Polestar2 in Frage kommen, der 2020 auf den Markt kommen wird – und ein rein batterie-elektrisches Fahrzeug sein wird.  Die Zukunft der Mobilitätswende rollt mit dem Polestar1 deshalb hier nicht an, und Ehrenmitglied bei Greenpeace wird man trotz des Verbrauchs von nur 0,7 Liter sicher nicht. Aber ein tolles Auto für Menschen, die einen ungewöhnlichen Wagen fahren möchten, und ihn sich leisten können, ist das Coupé ganz sicher. Liebhaber für dieses gelungene Technik-Kunstwerk werden sich deshalb ausreichend finden. Die werden sich der Überwältigung durch ein tolles Fahrerlebnis hingeben können.

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