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Maria Simon.

© rbb/Conny Klein

Polizeiruf 110: Maria Simon empfiehlt: „Yoga, Faulsein und ’ne Tüte“

Die Schauspielerin Maria Simon hat klare Ansichten: Sich viel mit Geld zu beschäftigen, ist ungesund. Leberwurst ist Massenmord. Und Männer sollen Männer sein.

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Maria Simon, 37, ist Schauspielerin („Lichter“, „Good bye, Lenin!“). Sie lebt mit ihrem Mann Bernd Michael Lade und der großen Patchworkfamilie in einer umgebauten Kapelle in Berlin-Pankow. Diesen Sonntag läuft wieder „Polizeiruf 110“ – mit ihr als Kommissarin Olga Lenski in der Hauptrolle.

Frau Simon, Sie möchten über Frauen, Männer und Familie reden. Das war Ihre Idee.

Ja, weil ich über Filme zu reden meistens nicht so wichtig finde.

Wir kennen nur die Beziehung Ihrer Figur, der Brandenburger Polizeiruf-Kommissarin Olga Lenski, zu deren dicken Kollegen Horst Krause. Was fasziniert Olga wohl an ihm?

Er ist fest verwurzelt wie ein Baum, zuvorkommend und sanft im Umgang mit seiner jungen Chefin. Der Krause könnte ein toller Opa sein.

Ist das auch eine Eigenschaft, die Ihnen bei der ersten Begegnung mit Ihrem Mann, dem Schauspieler und Regisseur Bernd Michael Lade, wichtig war?

Was weiß ich, was bei uns Weibern unbewusst abläuft. Sicherlich habe ich gescannt: Der liebt Kinder, steht auf Familie. Wir dockten sofort an. Gesehen habe ich ihn zum ersten Mal im Fernsehen. Ich war 18, er war Teil einer Dokumentation über Punk in der DDR. Ich hab’ mich fernverliebt. Es durchfuhr meinen ganzen Körper! Wir trafen uns im Pankower Bürgerpark, mit unseren damals noch ganz kleinen Kindern … auf jeden Fall gingen unsere Beziehungen parallel zu Ende. Ob’s Zufälle wirklich gibt? Jetzt sind wir zehn Jahre zusammen. Unsere Söhne, heute 15 und 16, sind wie Brüder.

Gab es davor Enttäuschungen, Verletzungen?

Na klar. Hm … was erzähle ich da jetzt? Ich war mal in einen verliebt, dessen vorherige Freundin bei einem Unfall gestorben war. Das war sehr schmerzhaft, weil ich ihm nicht helfen konnte damit. Wahrscheinlich geht das vielen Frauen so. Ich lernte: Was ich empfinde an Liebe und was ich aufbringe an Kraft und Aufmerksamkeit, muss im Ausgleich stehen dazu, was ich bekomme.

Sie haben einmal gesagt, Mädchen seien einfach anders. Was meinten Sie damit?

Ich sehe das bei meiner Tochter, sie ist jetzt zwei. Die Älteren sind alle Jungs: sieben, neun und 16. Während die Kleine sofort mitbekommt, wie es mir geht, einen ganz anderen Weitblick hat und viel schneller bereit für Kompromisse ist, muss ich den Jungs in großen Buchstaben aufschreiben: MIR GEHT ES NICHT GUT! Dieses Verhalten liegt wahrscheinlich in unseren Genen. Vieles wäre klarer, wenn wir Frauen nicht so entwurzelt wären.

Entwurzelt?

Junge Mädchen sagen sich: Ich bin dick, ich bin hässlich. Wenn du mit diesem Bild von dir aufwächst – das ist auch an mir nicht spurlos vorübergegangen.

Was war Ihr Problem als junge Frau?

Ich bin ja im Osten groß geworden und war deshalb lange nicht betroffen von übersteigerten Schönheitsidealen. Das kam dann auf der Schauspielschule von bestimmten Lehrern. Nur mit Persönlichkeit und Talent kommt man da nicht weiter! Im Fernsehen wirkt man schnell fülliger, und es heißt: Nimm’ mal ab, schneid’ dir die Dreadlocks ab, zieh’ dich vernünftiger an.

Wie kleidet man sich denn unvernünftig?

Vielleicht so wie ich heute angezogen bin, mit vielen Schichten übereinander und Mütze auf.

Und jetzt vermitteln Sie Ihrer Tochter ein realistisches Frauenbild.

Tja, wie geht so was? Sie lernt zum Beispiel, dass man Klamotten tauscht oder in Second-Hand-Läden kauft. Die bekommt die alten Sachen von den Großen. Ich versuche, ihr ein lebensnahes Frauenbild zu vermitteln. Wenn jetzt auch Frauen anfangen, komplett für die Karriere, die Kohle und die Figur zu leben, weil dem so viel Bedeutung beigemessen wird, dann laufen wir Gefahr, eine Gesellschaft von Idioten zu werden. So.

Warum sie zuletzt in Rage geriet

Maria Simon.
Maria Simon.

© rbb/Conny Klein

Heutzutage gehen oft beide Geschlechter arbeiten – weil sie müssen oder wollen.

Ich sehe eben die Frauen, die sich abhetzen: Kinder in die Schule, arbeiten, abends in die Beziehung zum Mann investieren. Jeden Tag. Wann haben sie wirklich Zeit, dem Gedeihen der Kinder zuzuschauen und sich zu besinnen? Es geht um Geld, um Äußerlichkeiten. Dann kommen der Burn-out und die Depression, weil so vieles nicht stimmig ist und keine Zeit dafür da ist, alte Denkmuster zu prüfen. Warum zum Beispiel werden Frauen immer noch nicht für Hausarbeit entlohnt?

Ihr Mann hat drei Kinder mit anderen Frauen, Sie haben einen Sohn aus einer Beziehung mit dem Schauspieler Devid Striesow. Haben Sie eigentlich alle Geburtstage Ihrer Patchworkfamilie im Kopf?

Ja, kenn’ ich alle, aber nicht von denen, die außerhalb des Kreises stehen.

Die Söhne Ihres Mannes?

Da kenne ich ja nur einen. Dessen Geburtstag würde ich nie vergessen! Mit den anderen ist es leider schwer, wir haben alles durch: Mütter, Rechtsanwälte der Mütter, Richter – und wer sich sonst noch dumm und dämlich verdient an den Streitigkeiten zwischen Mann und Frau.

Sie hatten große Sorgerechtsstreits?

Mein Mann ist richtig ausgeflippt im Gerichtssaal, und die Richterin meinte nur: Danke für Ihre Darbietung, Herr Schauspieler. Dabei ging es für ihn um Leben und Tod, um seinen ersten heiß geliebten Sohn, und dann soll das Umgangsrecht eingeschränkt werden? Das ist zum Glück abgeschlossen. Vergeben ist eine der heilsamsten Sachen, die man sich vorstellen kann. Der Junge ist jetzt ganz oft bei uns.

Wann sind Sie zuletzt in Rage geraten?

Gestern. Ich hatte sowieso schon meine Tage. Dann wollte ich Socken kaufen und die Kinder im Auto lassen, weil meine Tochter schlief. Ich kam wieder, die Jungs stritten lautstark, „Du verpetzt mich immer!“, und ich brüllte gleich mit. Da merkte ich: Ich hab’ heute keinen Puffer mehr, ich gehe sicherheitshalber ins Bett.

Nicht unbedingt ideal gelaufen.

Heute bin ich wieder bereit für Lösungen. Ich versuche, damit besser umzugehen. Natürlich hören diese kleinen Geschöpfe nicht beim ersten Mal. Maria, sage ich mir, warum erwartest du es überhaupt? Aber manchmal reicht’s. Ich habe schon versucht, möglichst viele Muss-Sachen zu canceln.

Ihre Eltern waren karriereorientiert. Mitte der 80er zogen sie nach New York, um die DDR bei der Uno zu repräsentieren. Sie und Ihre große Schwester blieben lange in Leipzig zurück, als menschliches Pfand.

Deswegen denke ich vielleicht ein bisschen anders. Ich wurde mit zehn von einem Tag auf den anderen aus meinem trauten Heim gerissen und kam in dieses Riesenareal in Königswusterhausen – ein Internat für Kinder, deren Eltern ins kapitalistische Ausland abgewandert waren. Plötzlich musste ich selbstständig sein, bekam einen Ausweis, um meinen Komplex 1 betreten zu dürfen, musste meinen Namen auf die Klamotten nähen, sie auf Kante zusammenlegen, das wurde kontrolliert. Meinen supergeilen Kassettenrekorder aus New York, mit dem ich Westradio gehört habe, haben sie mir weggenommen. Dabei hat mich das Gerede gar nicht interessiert, ich wollte Mucke hören und mich meinen Eltern nah fühlen.

Klingt nach einer schlimmen Zeit.

Es war furchtbar einsam und unkuschelig. So früh von der Mutter getrennt zu sein, war traumatisch. Dank meinen Kindern, Gesprächen mit meinen Eltern und durch das Vertrauen meines Mannes ist bei mir wieder alles im Fluss.

Sie verbringen viel Zeit mit Ihren Kindern. Spielen Sie eigentlich gern mit ihnen?

Lego ist für mich nervig. Ich geh lieber raus und schau ’ner Hummel beim Nektarlecken zu. Schwierig wird es, wenn ich mich mit einem Kind einzeln beschäftigen will. Dann kommt sofort das nächste ins Zimmer. Komisch, dass in Deutschland alle so ruhig sind. In Indien brüllen die Leute ständig. Ist doch viel weniger anstrengend als diese gepresste Freundlichkeit! Na klar hab’ ich Wut! Neulich zum Beispiel hab’ ich den Nintendo von meinen Söhnen in den Müll geschmissen. Da gab’s ein Riesengeschrei auf der Straße. Wir haben ja ausgebildete Stimmen, wenn ich schreie, macht mir das überhaupt nichts aus, verstehste. Das geht ruckizucki, ohne dass ich heiser werde. Ich möchte nicht wissen, was die Nachbarn gedacht haben.

Entschuldigen Sie sich?

Ja, absolut. Jetzt ist eh das iPad dran, die Kinder spielen Minecraft. Da bauen sie wenigstens eine eigene Welt. „Guck mal Mama, ich hab’ schon Kartoffeln gepflanzt!“ – „Das geht ganz anders!“, sage ich dann. „Heute setzen wir uns hin und stecken Samen in richtige Erde!“ Das war sooo anstrengend. Die Kleine immer mit den Fingern in die Erde, die Großen nur: „Wann ist das zu Ende?“

Sie wohnen in einer ausgebauten Kapelle in Pankow. Mit Garten?

Ja, hinterm Haus. Wir haben uns mit Permakultur beschäftigt, besuchten mit der ganzen Familie ein Seminar dazu. Wir stehen im Zentrum eines Kreislaufs. Die Natur hat permanente Kreisläufe geschaffen: Wolken, Regen …

Das haben wir im Sachkundeunterricht gelernt.

Sie machen das lächerlich. Für unsere Familie war es eine gute Zeit. Wir waren zusammen auf einem Hof und haben nur Pflanzen gegessen, die dort liebevoll angebaut wurden. Da hat man gemerkt, was für ein Stopffutter wir sonst immer essen. Ich muss mich richtig beherrschen, wenn ich in der Kita diesen weißen, abgepackten Toast sehe, auf den sie Margarine schmieren und obendrauf …

… Leberwurst! Ist natürlich viel billiger als Dinkelbrot, das es in Schule und Kitas eher selten gibt.

Über Leberwurst müssen wir erst gar nicht sprechen. Tierquälerei und Massenmord, jeden Tag. Klar geht es in der Hauptsache ums Geld. Die Alternative wäre regionale Kost, aber da gibt es dann halt wenig. Meine Kleinen sind in der Montessorischule, der Große auf der Gesamtschule. Bei Letzterer denke ich: Diese schöne Lebenszeit, wofür eigentlich? Das Schulsystem ist 200 Jahre alt und zielt nur darauf, möglichst gute Arbeitskräfte ohne kreatives Denken hervorzubringen. Die meisten Formeln und Fakten sind nach dem Test wieder vergessen. Es sollte viel mehr auf soziale Kompetenz gesetzt werden. Ist es nicht viel wichtiger, dass der Junge zum Fußball geht, Spaß hat und Empathie lernt?

"Unser System ist doch tot"

Maria Simon.
Maria Simon.

© rbb/Conny Klein

Viele Eltern wollen ihren Kindern schon früh das Rüstzeug für den globalen Wettbewerb mitgeben.

Furchtbar, das hat hoffentlich bald ein Ende. Unser System ist doch tot. Wenn ich meine Kinder und ihre kleinen Kumpels sehe, die sind an ganz anderen Sachen interessiert. Die Welt ändert sich. Wo gemeinsam nach Lösungen gesucht werden muss, wird Ellenbogenverhalten nutzlos sein.

Überfordern Sie die Mathe-Hausaufgaben Ihrer Kinder?

Na klar, alles bis zur Wurzel braucht man. Was danach kommt, nicht.

Abstrakt denken lernen ist nicht wichtig?

Ach, hören Sie doch auf! Ich hatte auch kein Latein und hab es nie vermisst. Neulich wollte der Lehrer meines Sohnes seinen Ranzen kontrollieren, weil er nur ein Heft und Bleistifte drin hatte. Da sagt mein Sohn: „Ich teile mir die schweren Bücher mit anderen. Ich möchte nicht, dass mein Rücken kaputtgeht.“ Der Lehrer fühlte sich von ihm an der Nase herumgeführt, aber es war halt die Überzeugung meines Sohnes.

Das klingt alles so vernünftig, Frau Simon. Gibt es in Ihrem Leben eigentlich Platz für Rausch?

Ey, ich bin ’ne Mutter! Na gut, ich kiffe gern ab und zu mal. Ich finde, das sollte grundsätzlich legalisiert werden, so wie in Washington und Colorado gerade. Ich steh’ auf diese Heilpflanze, sie kann viele Medikamente überflüssig machen und ist auch ungefährlicher als Alkohol.

Ist Ihnen das nicht zu langsam?

Was, das Kiffen? In der heutigen Zeit ist doch alles so schnell. Wo ich entschleunigen kann, entschleunige ich. Multitasking ist voll out. Jedem mit Stress-Syndrom empfehle ich Yoga, Faulsein und ’ne Tüte.

Und dann fragen Ihre Kinder: Mama, was riecht denn hier so?

Die Großen tun es alle. An der Schule tun es alle. Manche nehmen schon mit 16 Chemos. Da bin ich heilfroh, dass meine das nicht tun! Stattdessen reden wir. Da sagt man, okay, zeig’ mal her, wie sieht das aus? Es gibt ja so viel Zeug, da ist etwas untergemischt, und man kriegt Kopfschmerzen.

Es gab eine Zeit in Ihrem Leben, da haben Sie unfreiwillig nachhaltig gelebt. Sie hatten keine Filmangebote, kaum Geld. Was haben Sie vermisst?

Unser Auto, das mussten wir verkaufen. Wenn du nichts hast, musst du lernen, ohne viel auszukommen. Bernd und der „Tatort“, das war eine unschöne Entlassung. Dann und wann kam zum Glück ein Drehtag für mich rein.

Was hat Sie in dieser Zeit gerettet?

Wenn man sich zu sehr mit Geld beschäftigt, verstopft man. Wir haben uns in die Musik gestürzt, mit unserer Band „Ret Marut“ geprobt.

Sie machen mit Ihrem Mann auch Aikido. Würden Sie das nicht mal gern in einer richtigen Haudrauf-Szene anbringen?

Aikido ist eher so Anti-Gewalt-Training. Das will ich im „Polizeiruf“ mehr sehen. Ich würde auch ganz auf die Knarre verzichten: Wusch-wusch, und der Gegner kann nichts mehr machen.

Kein Mann ist mehr vor Ihnen sicher. Tun sie Ihnen auch manchmal leid?

Vor kurzem habe ich beobachtet, wie ein Mann einer Frau im Zug den Koffer nach oben hieven wollte. Die beschwerte sich: „Das kann ich alleine!“ Ich spüre doch, welche Aufgaben ich habe und welche der andere hat. Meine Aufgabe ist die Waschmaschine, die wird er nie checken. Seine Aufgabe ist der Einkauf.

Sie finden wirklich, dass Frauen den Männern wegnehmen, was ihnen zusteht?

Ja. Ich habe stark gebetet, dass mein Mann jetzt eine Arbeit bekommt, dass er arbeiten gehen und ich zu Hause bleiben darf. Andersrum ist es auch okay, wir haben uns arrangiert. Aber es fühlt sich für mich richtig an. Mein Mann würde das jetzt vielleicht nicht so sagen – es ist verdammt wichtig für ihn, dass er das Geld verdienen kann. Er will ja seine Familie ernähren.

Was sagen Sie Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden?

Schwierig. Besonders, wenn die Gründe dafür sind: Ist mir zu anstrengend. Ich muss mich selbst erfahren. Auch für die nicht so schönen Seiten habe ich vier Spiegel. Eine Familie mit Kindern ist der größte Meister, den man haben kann.

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