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Die "Siegessäule" erscheint seit 1984 in Berlin.

© Nadine Lange

Berliner Stadtmagazin vor dem Aus?: Die "Siegessäule" ist in Not

Aufgrund massiver Anzeigenrückgänge und der Schließung vieler Auslagestellen ist das queere Magazin "Siegessäule" in der Krise. Eine Spendenkampagne macht Hoffnung.

Es dürfte eines der dramatischsten Titelbilder in der Geschichte von Berlins queerem Stadtmagazin sein: Ganz in schwarz gehalten steht dort in weißer Schreibmaschinenschrift: „Die letzte ,Siegessäule’?“

Und die rot abgesetzte rechte Ecke ruft in Blockschrift „Your Siegessäule needs you!“ Man sieht dem Heft auch sofort an, dass es ihm derzeit schlecht geht. Statt der üblichen rund hundert Seiten ist die gerade erschienene Mai-Ausgabe nur halb so dick. Sie kommt zudem in halbierter Auflage heraus.

Redakteur*innen trug das April-Heft zum Teil selbst aus

Die Coronakrise trifft das Gratis-Magazin doppelt: Anzeigen schalten normalerweise vor allem Bars, Clubs und Bühnen. Da sie geschlossen sind, gibt es keinen Grund, Anzeigen zu buchen. Überdies ist ein Großteil der etwa 650 Auslagestellen der „Siegessäule“ weggefallen.

Das hat bereits den Vertrieb der April-Ausgabe massiv beeinträchtigt - und zu einer improvisierten Sonderverteilungsaktion geführt. „Redakteur*innen sind mit dem Auto und dem Fahrrad durch die ganze Stadt gefahren, um das Heft vor geschlossene Läden zu legen“, sagt Chefredakteur Jan Noll am Telefon.

Auf der Website sei verzeichnet, wo man das Magazin bekommt. „Wir haben es Leuten, die das wollten, aber auch in den Briefkasten geworfen.“

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Dass einige Läden inzwischen wieder aufgemacht haben, helfe schon mal weiter. Doch der immense Anzeigeneinbruch bleibt ein existenzielles Problem für den Verlag Special Media SDL, in dem neben der „Siegessäule“ weitere Magazine wie „Gay Guide“, „L-Mag“ und „Siegessäule Kompass“ erscheinen.

Aktuell hat das Kreuzberger Haus, dessen finanzielle Hauptsäule die Anzeigenerlöse der „Siegessäule“ sind, mit Umsatzeinbußen von rund 80 Prozent zu kämpfen. 

Chefredakteur Jan Noll.
Chefredakteur Jan Noll.

© Marcus Witte

Deshalb hat der Verlag vor drei Wochen eine Spendenkampagne mit dem Titel „Your Siegessäule needs you“ gestartet. Das Ziel sind 150.000 Euro, knapp 120.000 wurden bereits erreicht. „Wir sind überrascht, dankbar und glücklich, dass wir so schnell so weit gekommen sind“, sagt Jan Noll und betont, dass der Berliner Fotokünstler Wolfgang Tillmans daran entscheidenden Anteil hat.

Er beteiligte sich im Rahmen seiner Aktion „2020 Solidarity“ an der Kampagne und stiftete zusammen mit anderen Künstlerinnen und Künstlern 18 teils limitierte Werke, die für Spenden ab 50 Euro erhältlich sind. Von den 100 Expemplaren seines eigenen Plakatmotives „I feel safer in the City“ (750 Euro) gab er die Hälfte an die „Siegessäule“. Die Serie ist bereits ausverkauft.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Jan Noll sagt: „Das hat enorm geholfen, weil teilweise auch Leute mitgemacht haben, die die ,Siegessäule’ gar nicht kannten, denen es aber um die Kunstwerke ging.“ Das Spendenziel wird in den 20 Tagen der Kampagne also wohl geschafft werden. Das hilft dem Verlag mit seinen 13 Festangestellten, die derzeit in Kurzarbeit sind, über die nächsten Monate zu kommen.

Allerdings sei man damit keineswegs über den Berg, so Noll. Üblicherweise ist das Heft zum Christopher Street Day das lukrativste des Jahres, es trägt den Verlag durch weniger gute Monate. Angesichts der abgesagten Straßenparade stehen hier also weitere erhebliche Einbußen ins Haus.

 Ein Stück Berliner Emanzipationsgeschichte

Redaktion und Verlag tüfteln nun an längerfristigen Strategien, um durch die Krisenzeit zu kommen. Es steht viel auf dem Spiel, denn die seit 1984 erscheinende „Siegessäule“ ist „nicht einfach nur ein Magazin, sondern ein Erbe der Schwulenbewegung und ein Stück Berliner Emanzipationsgeschichte“, so Chefredakteur Jan Noll.

Wenn die „Siegessäule“ ihr Erscheinen einstellen müsste, wäre der kulturelle Verlust für die Regenbogen-Hauptstadt in der Tat riesig. Die Zeitschrift vernetzt die queere Szene, gibt Orientierung und Halt - kurz: Sie ist systemrelevant.

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