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Christine Vachon, 53, führt seit 1995 zusammen mit Pamela Koffler die New Yorker Produktionsfirma Killer Films.

© dpa

Christine Vachon im Interview: Raus aus der Komfortzone

„Carol“-Produzentin Christine Vachon über ihren Special Teddy, Filmemachen im Internetzeitalter und Diversity in Hollywood.

Mrs. Vachon, Sie werden am Freitagabend mit dem Special Teddy geehrt. Schon 1991 hatte ein von Ihnen produzierter Film den Preis für den besten queeren Berlinale-Film gewonnen.

Ja, Todd Haynes’ „Poison“, der erste Film, den ich überhaupt produziert habe. Es war großartig, als junge Produzentin erstmals zu einem internationalen Festival zu kommen. Man kann sich das in Zeiten der Globalisierung und des Internets gar nicht mehr vorstellen, aber damals war es einfach fantastisch, zu sehen, wie Zuschauer aus der ganzen Welt auf den Film reagierten.

Sie haben alle Filme von Todd Haynes produziert, darunter „Velvet Goldmine“ und zuletzt „Carol“ mit Cate Blanchett. Wie läuft das, wenn er mit einem neuen Projekt zu Ihnen kommt?

Normalerweise frage ich ihn gegen Ende eines Projekts: Was kommt als Nächstes? Bei der Mini-Serie „Mildred Pierce“ bestand mein Anteil nur darin, ihn auf die Idee zu bringen, mal etwas fürs Fernsehen zu machen. Kurz darauf kam er mit dem Roman „Mildred Pierce“ und sagte: Das ist perfekt, es spielt daheim, also kommt es zu dir ins Wohnzimmer.

Derzeit setzt Hollywood vor allem auf Superhelden- und Fantasy-Spektakel. Die Produktionen mit mittlerem Budget werden weniger. Ist ihr Job als Independent- Produzentin schwerer denn je?

Ich mache nicht mehr nur Filme. Wir müssen unsere Einstellung verändern und uns nicht mehr Filmemacher nennen, sondern Geschichtenerzähler – oder neumodisch: Content-Hersteller. Manche Inhalte sind für bestimmte Plattformen besser geeignet als für andere, also ist es keine Schande, wenn für einen Film das Kino nicht die angemessene Form ist. Das Wichtigste ist doch, dass er den Weg zu seinem Publikum findet. Und es gibt viele Wege.

Mehr Vertriebswege, mehr Formate?

Junge Leute machen kaum noch einen Unterschied zwischen Webserie, TV-Serie und Mini-Serie. Sie wollen einfach Sachen sehen, die sie lieben. Wenn Sie meine 16-jährige Tochter fragen, an welchem Abend eine bestimmte Show läuft, sagt sie: „An welchem Abend? Immer wenn ich auf Play drücke.“ Manchmal schaut sie sechs, sieben Stunden am Stück. Junge Leute finden das Zwei-Stunden-Format einschränkend. Sie wollen gern länger mit den Charakteren zusammen sein.

Aber ein Film wie „Carol“ hat es doch verdient, auf der Kinoleinwand gesehen zu werden statt auf dem Tablet.

Was wollen Sie tun? Eine Kino-Polizei einführen, die Leute verhaftet, wenn sie „Lawrence of Arabia“ auf dem Smartphone schauen? Das Kino wird nicht verschwinden. Es ist wie mit Konzerten: Das berauschende Erlebnis, eine Band live zu hören, kann man nicht online haben, ebenso wenig den Moment, in dem man sich im Dunkeln mit ähnlich gesinnten Menschen auf einen Film freut. Zudem werden Kinos in den USA endlich zu angenehmeren Orten, wo man etwas Gutes zu essen und trinken kaufen kann, sogar ein Glas Wein!

Noch mal zu „Carol“: Was haben Sie gedacht, als der Film über die Liebe zweier Frauen in den Fünfzigern sechs Oscar-Nominierungen bekam, aber keine für die Hauptkategorien Bester Film und Regie?

Sechs Nominierungen, ich kann mich nicht beklagen. Klar bin ich auch nur ein Mensch und hätte mich über eine Bester-Film-Nominierung gefreut. Aber „Carol“ ist ein Wunder von einem Film, und ich möchte ihn nicht darüber definieren, was wir nicht mit ihm erlebt haben. Ich bekomme so viel positive Reaktionen, Leute schreiben, dass der Film ihr Leben verändert hat oder dass sie ihn acht Mal gesehen haben. Manche sind schwul oder lesbisch, andere nicht. „Carol“ transzendiert auf großartige Weise die Auffassung von einem Liebesfilm.

Die Nominierungen haben eine Debatte über Diversity in Hollywood ausgelöst.

Sie ist wichtig. Ohne auf diesen Zug aufspringen zu wollen: Es geht um Grundsätzliches. Man muss schon vor den Nominierungen nachdenken: Welche Storys wollen wir wie erzählen? Meine Firma arbeitet bereits mit vielen Frauen und People of Colour zusammen, aber auch wir müssen noch besser werden.

Worin zum Beispiel?

Farbenblindes Casting. Oft schauen meine Partnerin und ich uns an und fragen uns: Muss diese Familie wirklich weiß sein, oder ist es nur der Fall, weil wir das so kennen? Man muss die eigene Komfortzone verlassen.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de.

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