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Travestiekünsterler*in Gisela Sommer und Veranstalter Baffi im SchwuZ in Neukölln.

© Thilo Rückeis

Die heilende Kraft der Travestie: „Wenn einer von euch die AfD wählt, schmink ich euch kaputt“

Die Berliner Aktivist*innentruppe „Travestie für Deutschland“ rüttelt an Rollenbildern – und feiert zweijährigen Geburtstag.

Die Pfennigabsätze klackern, als Gisela Sommer über den Betonboden im SchwuZ stöckelt. Grazil setzt sie ihre himmellangen Beine voreinander. Um sich nicht den Kopf zu stoßen, duckt sie sich, als sie durch eine Tür des Neuköllner Clubs läuft. Das Outfit der berlinbekannten Polittunte: schwarzes Minikleid, Hütchen und Seidentuch um die Schultern. Aber Sommer ist nicht nur hier, um ein strahlendes Bild abzugeben. Sondern auch, um über Politik zu sprechen.

Genauer: Über die Aktivist*innentruppe Travestie für Deutschland (TfD). Die feiert am Sonntag ihren zweiten Geburtstag mit großer Sause im BKA-Theater. In den letzten beiden Jahren ist viel passiert: Etwa 60 Menschen sind mittlerweile Teil der Gruppe, die als kleines Kunstprojekt im Jahr 2017 entstand.

Damals ging es den queeren Aktivist*innen darum, ein Zeichen gegen die AfD im Bundestagswahlkampf zu setzen. Deutschlandweit tauchten plötzlich Plakate auf, die denen der Höcke-Partei nachempfunden waren – für die aber Tunten Modell gestanden hatten. 5000 Euro hatte die Gruppe mit einer Spendenaktion auf Facebook gesammelt, um Plakate zu drucken. Darauf Sprüche wie: „Wenn einer von euch die AfD wählt, schmink ich euch kaputt“. Das Logo: ein roter Stöckelschuh.

Sommer, die sonst auch das Kiezbingo im SO36 moderiert, ist fast seit Beginn bei TfD dabei. So wie ihr Kollege Bastian Peters, den alle hier nur Baffi nennen. Baffi, schlichtes Shirt und Glatze, trägt heute seinen „Boyfummel“, wie er sagt. Während Sommer vorn auf der Bühne steht, koordiniert Peters Aktionen der Gruppe.

„Bei Polittunten reizt mich vor allem die politische Sichtbarkeit“, sagt er. Die Anti-AfD-Kampagne war der Startschuss für eine Reihe von Projekten. Alle sind aus eigener Tasche finanziert. Wird das Geld knapp, veranstalten die Tunten Soliparties im SchwuZ.

Wollen wir einen Staat, der die Menschen in ihrer Individualität ernst nimmt?

„Aus queerer Sicht sind wir sehr unzufrieden mit der Regierung“, sagt Peters. Vor allem über die Dinge, die nicht angepackt würden – wie eine Reform des Transsexuellengesetzes, die auf Selbstbestimmung und nicht auf Fremddiagnose ziele. Dabei, ergänzt Sommer, gehe es auch um übergeordnete Fragen: Wünschen wir uns einen Staat, der die Menschen in ihrer Individualität ernst nimmt?

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Dafür brauche es Verbündete, auch aus Vereinen und der Politik: „Um etwas zu erreichen, brauchen wir einen Schulterschluss mit allen gesellschaftlichen Schichten“, sagt sie. 2018 unterstützte TfD den lesbischen Verein „Rad und Tat“ bei der Suche nach neuen Räumen für ein lesbisches Seniorenheim – mittlerweile hat er ein Haus zur Miete gefunden, 80 Wohnungen sollen dort Platz finden.

Zuletzt ging es der TfD über sogenannte Konversionstherapien aufzuklären, die Homosexuelle vermeintlich ‘heilen’ sollen. Lange Zeit galten Debatten um ein Verbot als wenig Erfolg versprechend. Im Februar 2019 kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jedoch an, solche Therapien künftig verbieten zu wollen. Bis zum Jahresende will er ein entsprechendes Gesetz dazu auf den Weg bringen.

Für eine Anerkennung von Mehrelternschaft

Die TfD wertet das auch als einen Erfolg ihrer Arbeit: Mit Plakaten und einem Online-Video, das direkt an Spahn adressiert war, schufen sie Aufmerksamkeit in den Medien. Das nächste Projekt der Gruppe: Für die Anerkennung von Mehrelternschaft in Regenbogenfamilien zu streiten. Bisher können nur zwei Elternteile eingetragen werden.

Jetzt wird aber erst einmal gefeiert. Zum Geburtstag stehen die Botschafterinnen der TfD auf der Bühne, neben Sommer auch Sigrid Grajek, Jade Pearl Baker oder Absinthia Absolut. Außer multilingualen Musikdarbietungen und Tunten-Shows soll am Sonntag eine Preisverleihung stattfinden: Der “Rote Ehrenstöckel” geht an Menschen, die sich für queere Rechte einsetzen.

Preisträger sind Kultursenator Klaus Lederer (Linke), Schauspieler Ralph Morgenstern, der Querverlag, das Drag-Theaterstück “Ugly Duckling” von Bastian Kraft sowie der Film “Queer Lives Matter” von Markus Kowalski.

Das Gefühl, in eine neue Haut zu schlüpfen

Gisela Sommer hat den ersten Sekt zum Feierabend aufgemacht. Sie setzt sich auf eine Bank, die Filterzigarette zwischen den Lippen, und streicht über ihre Ohrringe: Grüne Glitzerstein-Clips, an denen Miniatur-Vogelkäfige und Seidenkordeln baumeln. Baffi Peters rückt sich einen leeren Bierkasten heran.

Travestie kennen zu lernen, sagt Sommer, sei ein zentrales Erlebnis nach dem schwulen Coming Out gewesen, 1991 in der westdeutschen Provinz. Unter ihren Mitschülern hätten sich Evangelikale befunden, viele urteilten über sie. „Mit Travestie gewann ich die Deutungshoheit darüber zurück, warum ich anders bin“, sagt sie. Das habe eine heilende Wirkung gehabt.

„Es ist das Gefühl, alles abzustreifen und in eine neue Haut zu schlüpfen“, sagt Peters. In dieser Schutzhülle sei man jemand anders, und das spüre auch das Publikum. „Dann hat man keinen Stress mehr mit den Behörden und vergisst den halbleeren Kühlschrank, dann schwebt man unberührbar über dem Boden.“

„Zwei Jahre Travestie für Deutschland“, Sonntag, 11. August, 20 Uhr, BKA-Theater, Mehringdamm 34, Tel. 030/2022007, www.bka-theater.de

Anima Müller

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