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Auf 94% der queeren Jugendlichen wirkt sich die aktuelle US-amerikanische Politik negativ auf die psychische Gesundheit aus.

© Getty Images

„Don't say gay“-Gesetze in den USA: Konservative kämpfen gegen Queerness in US-Schulen

Der Kampf konservativer Politiker*innen in Texas oder Florida gegen LGBTI-Themen nimmt immer mehr zu. Die Arena ihrer Wahl: Bildungs- und Jugendeinrichtungen.

Konservative Kräfte möchten Diskussionen über sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Race aus US-amerikanischen Bildungs- und Jugendeinrichtungen verbannen – zum „Schutz der Kinder“ wie es heißt. In verschiedenen US-amerikanischen Staaten wurden bereits 2021 entsprechende Gesetze verabschiedet oder Gesetzesentwürfe vorgebracht. Ein Trend, der sich auch 2022 fortzusetzten scheint.

Ein in den vergangenen Wochen heiß diskutierter Gesetzesvorschlag stammt aus Florida. Dort wollen Republikaner*innen Schulen verbieten, „Diskussionen über sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität in der Grundschule zu fördern oder auf eine Weise, die nicht alters- oder entwicklungsgerecht für Schüler*innen ist“ – so die Formulierung im Gesetzesentwurf.

Was als „alters- und entwicklungsgerecht“ verstanden werden kann, wird im Entwurf nicht näher definiert.

Das Gesetz, von Kritiker*innen auch „Don´t say gay“-Gesetz genannt, möchte damit das „Grundrecht der Eltern stärken, Entscheidungen über die Erziehung und Kontrolle ihrer Kinder zu treffen“, heißt es weiter. Eltern könnten außerdem rechtliche Schritte gegen Schulbehörden einleiten, die gegen das Gesetz und das elterliche „Grundrecht“ verstoßen.

„Don´t say gay“-Gesetz

„Dass das Bild des ,gefährdeten Kindes' im Bildungsbereich herangezogen wird, um gewisse Maßnahmen zu rechtfertigen, ist nicht neu. Und gerade dient es wie kein anderes als Argument für Anti-LGBTI-Regelungen“, erklärt Laura Borchert. Sie promoviert und forscht an der Justus-Liebig-Universität in Gießen zu LGBT-Rechten in den USA.

„Wenn es um trans und nichtbinäre Menschen geht, wird beispielsweise von einem ,Transwahn' gesprochen, der sich ausbreite.“ Eltern würden gegen die vermeintlichen Gefahren für ihre Kinder mobilisieren wollen. Borchert zufolge machen sich politische Organisationen die Sorgen der Eltern zunutze – und schüren sie weiter.

„Back into the closet“

Mitglieder der LGBTI-Community, Schüler*innen und Lehrer*innen protestierten vor Ort und auf Social Media gegen das „Don´t say gay“-Gesetz. Es würde LGBTI-Identität, -Geschichte und -Kultur auslöschen und ebenso LGBTIQ-Schüler*innen unsichtbar machen, heißt es in einem Statement des Trevor Projekts, eine amerikanische NGO, die sich für die Interessen queerer Jugendlicher einsetzt.

Untersuchungen des Trevor Projekts ergaben, dass queere Jugendliche, die sich in der Schule auf positive Weise mit LGBTI-Themen befassen und in ihrer Identität bekräftigt werden, seltener Suizidversuche unternommen hätten. Die Wahrscheinlichkeit dafür sank um 23 Prozent. Generell werde die psychische Gesundheit queerer Jugendlicher maßgeblich von dem Umgang mit LGBT-Themen in der Schule geprägt.

Allerdings gaben nur 12 Prozent der Befragten an, die Schule als bestätigenden Raum wahrzunehmen. Lediglich 28 Prozent haben in der Middle und High School überhaupt über queere Themen gesprochen. Dagegen gaben 94 Prozent der LGBT-Jugendlichen an, dass sich die aktuelle Politik negativ auf ihre psychische Gesundheut auswirke.

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Der republikanische Politiker Joe Harding betonte US-amerikanischen Medien zufolge bei der Vorstellung des Gesetzesentwurfs, dass es „darum geht, die beste Verantwortung zu verteidigen, die ein Mensch haben kann: das Eltern-Sein“. Immerhin wäre dieser Job einem von „oben“, von Gott, gegeben worden.

Um das vermeintliche Grundrecht der Eltern weiter zu stärken, liegt dem Repräsentantenhaus aktuell ein weiterer Gesetzesentwurf zum Schulunterricht vor, nach welchem die Schulen künftig zusammen mit den Eltern Bücher und Lernmaterialen „bewerten, eliminieren und auswählen“ sollen.

Queerfeindliche Bildungs- und Jugendpolitik nimmt zu

Florida ist nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, wie konservative Kräfte queerfeindliche Politik betreiben. Debatten zu Schulveranstaltungen und Unterrichtsstunden über LGBTI-Themen, aber auch über Rassismus, werden vermehrt von vermeintlich besorgten Eltern angestoßen, in die Politik getragen und dort in diskriminierende Gesetze und Verordnungen umgesetzt.

„Als der Supreme Court 2020 das Diskriminierungsverbot auf dem Arbeitsmarkt um die sexuelle Orientierung erweitert hat, gab es als Reaktion Konservativer eine Welle an Angriffen auf die Rechte queerer Menschen in anderen Lebensbereichen“, erklärt Borchert. Das habe sich auch an der Zahl der queerfeindlichen Gesetze bemerkbar gemacht.

268 Anti-LGBT-Gesetzesentwürfe

Die „Human Right Campaign“, eine NGO für LGBT-Interessen, hat im vergangenen Jahr mehr als 268 Anti-LGBTI-Gesetzentwürfe gezählt. 168 davon bezogen sich auf Kinder und Jugendliche. 147 Gesetze richteten sich speziell gegen trans Menschen, mehr als jemals zuvor. Sie beschränken vor allem den Zugang zu geschlechtsangleichender Gesundheitsversorgung, die Toilettenwahl und Sportmöglichkeiten. Es gab allein im letzten Jahr 81 Gesetzesvorschläge, die trans Jugendliche daran hindern sollten, in der mit ihrer Geschlechtsidentität im Einklang stehenden Schulsportmannschaft zu spielen.

Bereits in der ersten Januarwoche diesen Jahres wurden „NBC News“ zufolge sieben weitere Gesetzesentwürfe gegen trans und nicht-binäre Jugendliche in verschiedenen US-Staaten eingereicht. Am 4. Februar verabschiedetet South Dakota als zehnter US-Staat ein Gesetz gegen die Teilnahme von trans Frauen im Mädchensport.

Dem gegenüber stehen 201 Gesetzesentwürfe aus dem Jahr 2021, die die Rechte queerer Menschen stärken wollen, 21 davon beziehen sich auf Kinder und Jugendliche.

Aktuelle Gesetzentwürfe erinnern LGBTI-Aktivist*innen an die „No Promo Homo“-Gesetze der 1990er Jahre
Aktuelle Gesetzentwürfe erinnern LGBTI-Aktivist*innen an die „No Promo Homo“-Gesetze der 1990er Jahre

© Getty Images

Eine mögliche Erklärung für die zunehmende Anzahl an Anti-LGBT-Gesetzen und das Tempo, mit dem sie verabschiedet werden, sieht Borchert auch in den Wahlen zum US-Kongress im November 2022. „Es kann eine Strategie der Republikaner*innen sein, so viele Gesetze wie nur möglich zu erlassen, um es bei einer Niederlage den Demokrat*innen allein durch die Menge zu erschweren, alle Gesetze zu verändern oder abzuschaffen.“

Gleichzeitig würden auch Organisationen wie die amerikanische Bürgerrechtsunion damit beschäftigt, sich gegen diese Vorschläge einzusetzen, und hätten weniger Zeit, Antidiskriminierungsmaßnahmen voranzutreiben.

Queere Jugend-Geschichten für Konservative „Pornografie“

Eine weitere Maßnahme, die sich bei Konservativen gerade großer Beliebtheit zu erfreuen scheint, ist das Entfernen von Büchern über Race, Sexualität und Geschlechtsidentität aus Schulen und öffentlichen Bibliotheken. Der „New York Times“ zufolge geschieht dies „in einem Tempo, das es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat“.

Nationale Gruppen wie „No Left Turn in Education” und „Moms for Liberty” verbreiteten Listen mit Schulbibliotheken, die „Kinder mit einer gefährlichen Ideologie indoktrinieren“ würden. Der amerikanische Bibliotheksverband gab an, im vergangenen Herbst „beispiellose“ 330 Berichte über „unangemessene“ Bücher erhalten zu haben, wobei ein Bericht mehrere Bücher umfasst.

Bibliothekar*innen und Schüler*innen protestieren vieler Orts vergeblich gegen das Bücherverbot.

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Zu den am häufigsten genannten Büchern gehören laut „New York Times“ George M. Johnsons "All Boys Aren't Blue", Jonathan Evisons "Lawn Boy", Maia Kobabes "Gender Queer" und Toni Morrisons "The Bluest Eye" - allesamt Coming-of-Age-Geschichten mit LGBTQ-Charakteren, die ihre eigenen Sexualität und Identität erkunden und die teilweise auch erotische und Sexszenen enthalten.

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Besonders rigoros gehen Eltern und Politiker*innen in Texas vor. Gouverneur Greg Abbott forderte, „alle kriminellen Aktivitäten in unseren öffentlichen Schulen zu untersuchen, die mit der Verfügbarkeit von Pornografie zu tun haben“. Ein anderer republikanischer Abgeordneter erstellte eine Liste mit 850 Büchern über Rassismus und Sexualität, die „den Schüler*innen Unbehagen bereiten“, mit der Forderung, diese Titel zu entfernen.

Bibliothekar*innen unter Druck gesetzt, Bücher präventiv zu entfernen

Eine Gruppe texanischer Bibliothekar*innen gab „NBC News“ gegenüber an, dass sie mit einem zunehmend feindseligen Arbeitsumfeld konfrontiert seien. Der Druck wachse, Bücher präventiv zurückzuziehen, die Beschwerden hervorrufen könnten. Einige Eltern hätten mit Strafanzeigen gedroht.

Gouverneur Abbott forderte, die Weitergabe dieser „pornographischen“ Bücher an Minderjährige „mit dem vollen Umfang des Gesetzes“ zu verfolgen. In Texas kann dies eine hohe Geldstrafe, schlimmstenfalls eine einjährige Haftstrafe bedeuten.

Zwar wurden bisher entsprechende Strafanzeigen in anderen Bundesstaaten nicht weiterverfolgt, wie die „New York Times“ berichtete. Doch selbst die Androhung einer Anzeige und die Angst, den eigenen Namen im Zusammenhang mit Pornografie zu hören, führe dazu, dass viele Bibliothekar*innen und Pädagog*innen Bücher stillschweigend entfernen.

Jasmin Ehbauer

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