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Im Glück. Sergej Eisenstein (Elmer Bäck) und sein Geliebter Palomino Cañedo (Luis Alberti).

© Edition Salzgeber

"Eisenstein in Guanajuato" von Peter Greenaway: Zehn Tage, die das Bett erschütterten

Zuckerschädel lutschen: Peter Greenaways Biopic „Eisenstein in Guanajuato“ feiert Bilder, Sex und Tod - und die Liebe zwischen Sergej und Palomino.

Obacht. Dass die Kamera so auffällig auf der Flasche mit dem Olivenöl ruht, hat sicher etwas zu bedeuten. Ein paar Minuten später wird die Ahnung Gewissheit. Da greift der schöne Stadtführer Palomino Cañedo (Luis Alberti) zu eben jener Flasche und gießt Sergej Eisenstein einen Strahl auf den Rücken. Dort rinnt sie langsam Richtung Popo und leitet die sehr explizit inszenierte Entjungferung des homosexuellen Filmregisseurs ein.

Die Lust an barocken Settings, inszenatorischen Manieriertheiten und am nackten Fleisch hat dem Kino des Maler-Regisseurs Peter Greenaway in den Achtzigern Kultstatus beschert. Aber die opulenten Bilderrätsel in „Der Kontrakt des Zeichners“ oder die etwas angestrengte Metapher in „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“, wonach der Thatcherismus nichts anderes als Kannibalismus sei, waren auch immer für latente Ermüdungserscheinungen gut. Wunderbar, dieses pompöse, dekadente Dekor – aber ist da sonst noch was?

In die Rezeption fügt sich das im Wettbewerb der jüngsten Berlinale uraufgeführte Biopic „Eisenstein in Guanajuato“ des 73 Jahre alten Briten nahtlos ein. Greenaway macht wieder in Eros, Thanatos und Bilderrausch. Es wird geschmaust, gekotzt, geduscht, gefickt und dabei über Kunst und Kolonialgeschichte bramarbasiert. Und das alles vor der Folie des Mexiko-Aufenthalts des von Greenaway verehrten russischen Revolutionsfilmers Eisenstein. Der weilte 1931 im Alter von 33 Jahren im Lande, um einen niemals geschnittenen und vollendeten Dokumentarfilm zu drehen: „Que viva México“. Vor allem erlebte er fern der homophoben Sowjetunion seine sexuelle Erweckung, die der Film auf zehn alles verändernde Tage komprimiert.

Die Banditen sehen aus wie Räuber Hotzenplotz

Der finnische Schauspieler Elmer Bäck spielt Struwwelpeter Eisenstein als Mischung aus egomanischem Großkünstler, ungebärdigem Kind und von Zweifeln zerfressenem Menschen. Er kommt aus Hollywood angereist, wo er Charlie Chaplin und Walt Disney getroffen hat. Das Geld für Eisensteins Mexiko-Film stammt von Upton Sinclair. Die Ankunft des berühmten Russen in Guanajuato ist triumphal. Linke Galionsfiguren wie Diego Rivera und Frida Kahlo stehen Spalier. Die Kamera weidet sich an Landschaften, Totenkatakomben, am Pomp der Kolonialarchitektur ebenso wie am exotischen Reiz von Allerheiligen-Folklore, Ureinwohnern und Banditen, die aussehen wie Räuber Hotzenplotz.

Eisensteins Faszination für Land und Leute verpacken Greenaway und sein Kameramann Reinier van Brummelen in eine dramatische Bildsprache, die nicht nur Originalmaterial des Russen verwendet, sondern dessen expressiven Stil mit heutigen Mitteln wie Jumpcuts, Splitscreen, Animationen und entfesselter Kamera zitiert. Das ist in der ersten Filmhälfte aufregend anzuschauen. Bald aber verfliegt der Reiz immer neuer Cinemascope-Triptychen und wird der Zuckerschädel klebrig, an dem der monologisierende Eisenstein in seiner Hotelsuite lutscht. Und warum eigentlich wird so gut wie nichts über Eisensteins Filmdreh erzählt, der immerhin der Grund seines Aufenthalts in Mexiko ist?

Nein, Greenaway erzählt ganz eindeutig lieber von der Liebe zwischen Palomino und Sergej. Die immerhin endet anrührend melodramatisch. Auch wenn die durch sie symbolisierte Kolonialismuskritik in einer gewaltigen Parfümwolke verschwindet.

Filmkunst 66, Kant; OmU im b-ware!, Bundesplatz, Krokodil, Rollberg, Xenon, und Tilsiter-Lichtspiele

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