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Drag Queen Mataina Ah-wie-süss trinkt Maß mit Strohhalm.

© Inga Hofmann

Gaywiesn statt Oktoberfest: Zwischen Dirndl und Fetischjungs

Queere Alternative zum Oktoberfest: Auf der Berliner Gaywiesn sind alle willkommen, die auf Maßbier, Schlagerbands und Drag-Queen-Shows stehen.

Überschäumende Maßkrüge, Wurstplatten, Dirndl und Lederhosen – während in München bereits die Festzelte abgebaut sind, geht die Oktoberfestzeit in Berlin weiter. Allerdings ein bisschen anders, als man es kennt. Neben dem Ostbahnhof finden noch bis zum 21. Oktober montags die Gaywiesn statt: als buntes, liberales Feierabendevent für Oktoberfestfans, mit Wiesn-Bands und Drag-Queen-Auftritten. Unter dem großen Festzelt gegenüber der East Side Gallery stehen Biertischgarnitur und eine kleine Bühne.

Auf der spielt das Musik-Duo „Banausen“ bekannte Schlager und fordert die Gäste zum Tanzen auf den Bänken auf. „Wer ist heute zum erste Mal hier? Ah, es werden weniger Hände, das gefällt mir“, ruft Sänger Ronny. Neben ihm schlürft Drag Queen Mataina Ah-wie-süss ihr Bier mit einem Strohhalm aus dem Maßkrug.

Im Publikum befindet sich auch Fräulein von Coco. Sie besucht bereits seit einigen Jahren die Gaywiesn, kein anderes Oktoberfest-Event kommt für sie infrage. Angesichts homofeindlicher Angriffe wie auf dem Oktoberfest in München seien Wiesn-Veranstaltungen für queere Menschen nicht immer sicher, sagt sie. Die Gaywiesn hingegen sei ein geschützter Raum, in dem sich alle Anwesenden sicher fühlen könnten.

Seit elf Jahren gibt es die Gaywiesn nun schon. Dahinter steckt Bork Melms, der häufig bei der queeren Münchener Oktoberfest-Party „Rosa Wiesn“ zu Gast war und in Berlin etwas Ähnliches schaffen wollte. Damit war er damals Vorreiter in der Berliner Szene; inzwischen gibt es auch andere Veranstaltungen wie die „Queerwiesn“ im Hofbräuhaus.

Melms’ Konzept ist – mittlerweile – ziemlich erfolgreich: Während in der ersten Saison nur 40 Gäste die Veranstaltung besuchten, strömen inzwischen jeden Montag Hunderte Menschen in das Festzelt. Das liegt vor allem an der familiären Vertrautheit, ist sich Melms sicher: Am Eingang wird jeder Gast höchstpersönlich von ihm in Empfang genommen. Mal mit einem kräftigen Händedruck, mal mit einem Kuss auf die Wange. Für die Gäste sei es wichtig, dass man sich hier regelmäßig am selben Ort treffen könne. Viele hätten hier neue Freunde gefunden. So auch ein 67-jähriger Besucher, der jeden Montag aus Fürstenwalde angereist kommt, um seine „Truppe von Tisch eins“ zu treffen.

Eine Besucherin feierte ihren 101. Geburtstag auf der Gaywiesn

„Jeder kann herkommen. Egal, ob in Tracht oder ohne und egal, ob 18 oder 80“, sagt Melms. Und übertreibt damit überhaupt nicht: Eine Besucherin, die er als Stammgast bezeichnet, feierte ihren 101. Geburtstag auf der Gaywiesn. Andere Gäste kämen seit elf Jahren in Folge. „Manche sind mit uns groß geworden“, sagt Melms.

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Unter den Anwesenden ist an diesem Abend auch Mark Prévoteau vom „Regenbogen Netzwerk der BVG“. Er hat sich ein buntes Herz mit BVG-Aufdruck an die Hosenträger seiner Tracht gesteckt. Prévoteau erzählt, dass der Stammtisch des Netzwerks einmal im Jahr auf der Gaywiesn stattfindet. „Ich finde, das hat hier eine ganz eigene Atmosphäre wegen des Festzelts und der klapprigen Bierbänke. Das ist viel uriger als im Hofbräuhaus“, sagt er. Außerdem könne man direkt nach der Arbeit kommen, das sei praktisch, findet Prévoteau.

Niemande wird im Festzelt schräg angeschaut

Auch sein Kollege Dominik Reiter ist ein Fan der Veranstaltung: „Man weiß einfach, dass hier die Leute sind, die man treffen möchte.“ Auch wenn er selbst keine Angst vor homophoben Anfeindungen auf der Wiesn hat, kann er sich vorstellen, dass einige Gäste bewusst Schutzräume wie die Gaywiesn aufsuchen.

Bork Melms brachte das queere Oktoberfest nach Berlin.
Bork Melms brachte das queere Oktoberfest nach Berlin.

© Inga Hofmann

Den Veranstalter Melms schockieren homofeindliche Angriffe wie auf dem Münchner Oktoberfest. Dort wurden Ende September zwei junge Männer, die Arm in Arm über das Gelände spazierten, beleidigt und anschließend verprügelt. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum es überhaupt solche Übergriffe gibt.

Gerade das Oktoberfest sollte ja den Rahmen des gemeinsamen Feierns bilden“, sagt er. So einen Rahmen will er hier schaffen: „Auf der einen Seite des Zeltes sitzen Fetischjungs und auf der anderen Seite sitzt ein Sportverein mit heterosexuellen Spielern“, beschreibt Melms das Publikum. „Und keiner wird schräg angeguckt.“ Denn unter dem Dach der Gaywiesn sind alle gleich.
Die Gaywiesn läuft noch am 14. und 21. Oktober ab 18 Uhr. Am letzten Tag findet erstmalig die „Wahl des ersten Mister Gaywiesn“ statt.

Inga Hofmann

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