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Künstlerin Erika Stürmer-Alex (r.) und ihre Lebensgefährtin Christine Müller-Stosch in ihrem Haus im Oderbruch.

© Therese Koppe

Interview zur Doku "Im Stillen laut": Zwischen Stasi, Widerstand und Kunst

Die Künstlerin Erika Stürmer-Alex und ihre Partnerin Christine Müller-Stosch schufen sich zu DDR-Zeiten einen Freiraum auf dem Land. Ein Gespräch mit Filmemacherin Therese Koppe, die die Doku „Im Stillen laut“ gedreht hat.

Der Dokumentarfilm „Im Stillen laut“ von Regisseurin Therese Koppe erzählt die Geschichte der Künstlerin Erika Stürmer-Alex und ihrer Partnerin, Theologin Christine Müller-Stosch, die seit Ende der 70er Jahre auf einem Kunsthof in der Nähe von Frankfurt an der Oder leben. Der Film feierte auf dem Dokumentarfilmfestival DOK Leipzig kürzlich Premiere.

Frau Koppe, „Im Stillen laut“ ist Ihr Abschlussfilm an der Filmhochschule Babelsberg. Von dem Thema waren an Ihrer Hochschule zunächst nicht alle begeistert.
Einige Lehrbeauftragte hatten mich gefragt, warum ich nicht einen Film über eine bekannte Künstlerin machen möchte. Das hat mich nicht interessiert. Ursprünglich wollte ich ein Mehrgenerationenporträt über weniger bekannte DDR-Künstlerinnen drehen. Schon seit Jahren beschäftige ich mich mit dieser Thematik. Ich bin 1985 in Friedrichshain geboren und dort mit meiner Mutter, die damals Bühnenbildnerin war, groß geworden. Ich bin mit den Fragen aufgewachsen: Was ist mit den Biografien der Künstlerinnen, die in der DDR ausgebildet wurden und dort gearbeitet haben, nach der Wende eigentlich passiert?

Haben Sie darauf Antworten erhalten?
Nach meinen Recherchen und meinen eigenen Erfahrungen gab es eine Art Nichtanerkennung der eigenen Biografie, und das hat auch viel zu Verbitterung geführt. Ich habe das Gefühl, die Wahrnehmung von weiblichen Biografien in der DDR beschränkte sich bisher immer sehr stark auf zwei Pole: auf der einen Seite ein Leben in einer lauten Opposition – oder im Bereich von Stasi und einer Ideologie. Mich hat aber vor allem das Dazwischen interessiert. Die Nuancen: Wie haben Künstlerinnen gelebt, welche Strategien haben sie entwickelt, und welche Utopien waren damit verbunden? In diesem Rechercheprozess bin ich auf Erika Stürmer-Alex gestoßen. Sie war in der DDR eine nicht-staatskonforme Künstlerin und geriet in das Visier der Stasi. Ihre Partnerin Christine Müller-Stosch kommt aus einem christlichen Elternhaus, konnte nicht studieren und wurde auch von der Stasi bespitzelt. In Lietzen im Oderbruch haben sie sich mit Freund*innen des Kunsthofs ihren eigenen Frei- und Schutzraum aufgebaut.

Der Film beginnt damit, wie beide in einer Stasi-Akte lesen. Warum war ihnen dieser Einstieg wichtig?
Die Stasi-Akten und alles, was in diesem Zusammenhang mit ihnen zu DDR-Zeiten passierte, ist heute immer noch permanent Thema für die beiden und sie sprechen viel darüber. Es gibt etliche Akten über ihr damaliges Leben in der DDR und ihre Aktionen auf dem Hof. Heute können sie über vieles darin auch lachen – wie die angeblich zahlreichen nackten Gäste auf ihrem Hof, die es so nie gegeben hat. Dennoch – sie sind über viele Jahre ausspioniert worden, und es sind Berichte über sie angefertigt worden. 

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Der Hof gehört heute den Frauen. Im Film wird aber auch darüber gesprochen, wie unmittelbar nach der Wende die ehemaligen Besitzer aus dem Westen kommen, und sich recht ungeniert auf dem Hof bewegen.
Uns war es auch wichtig, zu fragen: Was genau ist nach der Wende eigentlich passiert? Oft hören an diesem Punkt, Anfang, Mitte der 90er Jahre, die Erzählungen auf. Aber erst in diesem zeitlichen Kontext wird noch viel klarer, was Erika Stürmer-Alex und Christine Müller-Stosch in all den Jahrzehnten dort aufgebaut haben. Dramaturgisch kommt auch noch die respektlose Kommunikation vonseiten der Erben gegenüber den beiden Frauen hinzu. Ihnen wurde ins Gesicht gesagt, sie hätten 27 Jahre umsonst hinter der Mauer gelebt. Das ist schon eine krasse Aussage. Damit werden ihre Leben und ihre Biografie abgewertet. So etwas sitzt natürlich tief. Diese Grundstimmung und dieses Gefühl waren für mich auch der Ausgangspunkt, diesen Film zu machen. Diese Nichtanerkennung der eigenen Biografie in den verschiedenen Generationen habe ich auch in meinem eigenen Umfeld erlebt.

Trotz der Überwachung und Repressionen konnte Erika Stürmer-Alex Ende der 80er Jahre nach Paris fahren. Wie war das möglich?
Erika Stürmer-Alex selbst bezeichnet die Politik der Stasi als „Gummiwand-Politik“, weil eben nicht richtig greifbar war, wie Entscheidungen gefällt wurden. Sie vermutet, sie durfte fahren, weil sie damals sehr unbequem und laut geworden ist und nichtsdestotrotz ein gewisses Standing als Künstlerin hatte. Aus Westperspektive ist es natürlich unvorstellbar, dass sie dann wieder in die DDR zurückgekehrt ist.

Im Tagebuch von Erika Stürmer-Alex finden sich zu dieser Reise auch kapitalismuskritische Passagen.
Erika Stürmer-Alex hatte den Sozialismus durchaus auch als Utopie verstanden, und sie war dem System gegenüber nicht abgeneigt. Das Spannende an Erika Stürmer-Alex und Christine Müller-Stosch ist auch, dass sie zwei unterschiedliche Perspektiven auf die DDR haben. Erika Stürmer-Alex stammt aus einer Bauernfamilie im Oderbruch und war ein Arbeiterkind. Sie konnte in der DDR Kunst studieren, und zunächst verlief für sie vieles recht unproblematisch. Mit ihrer abstrakten Kunst, der sie treu geblieben ist, eckte sie dann aber mehr und mehr an. Die Idee eines sozialistischen Staates, als Utopie, die vertritt sie auch heute noch. Christine Müller-Stosch ist hingegen ganz anders geprägt worden, weil sie als Dissidentin stigmatisiert wurde. Sie kommt aus einem christlichen Elternhaus, ihr Vater war evangelischer Pfarrer, und sie ist viel früher mit den staatlichen Repressionen konfrontiert gewesen.

Therese Koppe, Regisseurin des Dokumentarfilms "Im Stillen laut".
Therese Koppe, Regisseurin des Dokumentarfilms "Im Stillen laut".

© Tsp/Jana Demnitz

War für Sie jetzt, mit Mitte 30 und auch 30 Jahre nach der Wende, der Zeitpunkt da, sich mit dem Thema zu beschäftigen?
30 Jahre Mauerfall war für mich nicht der Grund, diesen Film zu machen. Das Thema selbst und die Fragen dazu haben mich etwa zehn Jahre lang begleitet. Es hat mich immer negativ berührt, dass es eine sehr reduzierte Darstellung über die DDR – aber auch über DDR-Biografien gab. Künstlerinnen ist auch noch einmal ein separates Feld. Die Ausbildung war in der DDR zwar zunächst gleichberechtigt, aber nur sehr wenige Künstlerinnen wurden später ausgestellt. In den großen Ausstellungen hingen dann auch hauptsächlich Männer. Erika Stürmer-Alex hat erst etwa 20 Jahre nach der Wende überhaupt eine öffentliche und angemessene Anerkennung für Ihre Kunst erfahren.

Sehen Sie also eine gewisse Verantwortung darin, dass spätestens Ihre Generation mehr solcher Themen bearbeitet?
Ich habe das Gefühl, dass wir diesbezüglich erst am Anfang stehen. Gerade diese unterschiedlichen Generationenerfahrungen – vor allem auch von Künstlerinnen. Es gibt so viele Künstlerinnen aus der DDR, aber auch aus den ehemaligen Ostblockstaaten, die so unglaublich lebendige und zeitgenössische Kunst gemacht haben, die aber sehr wenig Aufmerksamkeit bekommt. Oft werden bekannte Namen reproduziert, kaum gewürdigt werden aber Künstlerinnen wie Geta Brătescu, Magdalena Abakanowicz, Magdalena Jetelová, Tina Bara oder eben Erika Stürmer-Alex, die zum Beispiel Anfang des Jahres in der Ausstellung „Medea muckt auf. Radikale Künstlerinnen hinter dem Eisernen Vorhang“ in der Dresdener Kunsthalle im Lipsiusbau zu sehen waren.
Der Dokumentarfilm „Im Stillen laut“ wird am 26. November im Kino ACUD, Veteranenstraße 21, um 19 Uhr im Beisein der Hauptdarstellerinnen und der Regisseurin gezeigt.

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