zum Hauptinhalt
Proteste gegen das Gesetz in Budapest - auf dem Plakat wurde Orbán einen regenbogenhaltend abgebildet.

© GERGELY BESENYEI/AFP

Update

Kinderschutz als Vorwand für Diskriminierung: Was genau im umstrittenen ungarischen LGBTI-Gesetz steht

Mitte Juni hat das ungarische Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, die seitdem heftige Diskussionen auslöst. Was Sie über das Gesetz wissen müssen.

Was als Debatte über die Regenbogen-Illuminierung der Münchner EM-Arena begann, wächst sich nun zu einem handfesten politischen Streit in der EU aus. Am Mittwochmorgen hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein entschiedenes Vorgehen gegen das ungarische Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homosexualität und Transsexualität angekündigt.

Gegen dieses Gesetz sollte auch die Lichtaktion am Münchner EM-Stadion gerichtet sein, die die Uefa am Dienstag verboten hatte. An der Entscheidung hatte es teils harsche Kritik gegeben.

Von der Leyen sagte am Mittwoch, das Gesetz diskriminiere Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und verstoße gegen fundamentale Werte der Europäischen Union. „Dieses ungarische Gesetz ist eine Schande.“ Nach Angaben der Kommissionschefin sollen die rechtlichen Bedenken nun in einem Schreiben an die ungarische Regierung näher ausgeführt werden.

Noch vor dem Auftritt der EU-Kommissionschefin hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban seinen Besuch zum EM-Spiel in München abgesagt. Stattdessen will er nun wohl nach Brüssel reisen.

[Erhalten Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin und Deutschland live auf ihr iPhone mit der Tagesspiegel-App. Hier kostenlos herunterladen]

Doch was steht eigentlich in dem Gesetz, das aktuell Fußballdeutschland und die EU in Atem hält? Hier die wichtigsten Punkte:

Das Gesetz - genauer gesagt ist es eine Gesetzänderung - selbst haben die Abgeordneten im ungarischen Parlament mit 154 Ja- und einer Nein-Stimme am vergangenen Dienstag beschlossen. Die große Mehrheit der linken Opposition hatte zuvor angekündigt, die Abstimmung zu boykottieren.

Gesetzesänderungen sollen Pädophilie strenger bestrafen

Die beschlossenen Gesetzesänderungen werden zusammengefasst als: „Änderungen von einigen Gesetzen zum strengeren Vorgehen gegenüber pädophilen Kriminellen sowie im Interesse des Kinderschutzes“. Sie beinhalten auch strengere Strafbestimmungen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Einige der zentralen Punkte des Anti-LGBTI-Gesetzes im Überblick:

  • Verbietet Zugang zu Inhalten, wenn dort „Änderungen des Geschlechts sowie Homosexualität vorkommen, popularisiert oder dargestellt werden“.
  • Auch die Vermittlung von Inhalten zur „Popularisierung“ von Homosexualität oder trans Identitäten in der Schule ist verboten.
  • Bestimmten NGOs ist es verwehrt, Kurse zu sexueller Aufklärung oder Drogenprävention an Schulen zu halten.

In einem offenen Brief kritisierten Amnesty und weitere NGOs, dass das neue Gesetz „den wissenschaftlichen Dialog und die Aufklärungsarbeit über Homo- und Transsexualität“ unmöglich machen werde. Die Regierung würde mit diesem Gesetz, „LGBTQI-Jugendliche im Stich lassen“, die proportional häufiger Mobbing und Diskriminierung erleben und diese Jugendlichen nicht schützen, wie es die Verfassung vorschreibe.

Die Organisator*innen der Budapest Pride, die am 24. Juli stattfindet, warnten in einer Online-Petition, das Gesetz erinnere stark an das russische „Propagandagesetz“, das dort seit 2013 in Kraft ist und wodurch die Arbeit für die Rechte von LGBTQ massiv eingeschränkt und gefährdet wurde. Die Petition hatte am Dienstagnachmittag mehr als 103.000 Unterschriften erhalten.

Seit Jahren werden Rechte von Minderheiten eingeschränkt

Die Zusammenführung von Homosexualität und Repräsentation von trans Menschen mit dem Vorwurf der Pädophilie reiht sich ein in die Ideologie, mit der die Fidesz-Partei und ihr kleinerer Koalitionspartner KDNP (Christlich-demokratische Volkspartei) seit Jahren die Rechte von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten einschränken.

Vor gut einem Jahr beschloss die Fidesz-KDNP-Mehrheit im Parlament ein Gesetz, das es unmöglich macht, das Geschlecht, das bei der Geburt standesamtlich eingetragen wurde, in offiziellen Dokumenten und Zeugnissen an die Geschlechtsidentität anzupassen und zu ändern.

[Wer mehr über queere Themen erfahren will: Der Tagesspiegel-Newsletter Queerspiegel erscheint monatlich, immer am dritten Donnerstag. Hier kostenlos anmelden]

Seit Dezember 2020 wiederum ist es per Gesetz für nicht-heterosexuelle sowie trans oder inter Menschen unmöglich, in Ungarn Kinder zu adoptieren. In der Verfassung ist nun festgeschrieben, dass „die Mutter eine Frau und der Vater ein Mann ist“. Seit 2018 ist es Universitäten untersagt, Abschlüsse im Fachbereich Geschlechterstudien zu vergeben.

Diese homo- und transfeindliche Ideologie wird in der Gesellschaft auch über Gesetze hinaus verbreitet. So wurde etwa ein Märchenbuch für Kinder, das sexuelle und ethnische Minderheiten repräsentiert, von der Fidesz-Partei als „homosexuelle Propaganda“ bezeichnet.

Fußballspieler und Fernsehsender kritisieren Regierung

Immer wieder sprechen sich mittlerweile Prominente gegen die ausgrenzende Ideologie der Regierung aus. So hat unter anderem auch der erste Torwart der ungarischen Fußball-Nationalmannschaft und RB-Leipzig-Spieler Péter Gulácsi die Kampagne „A család az család“ (Familie ist Familie) öffentlich unterstützt, die sich für die Anerkennung von Regenbogenfamilien einsetzt.

Auch aus der Privatwirtschaft kommen kritische Stimmen. Der Fernsehsender „RTL Klub“, der zur deutschen RTL Group gehört, kritisierte das neue Gesetz im Vorfeld als eines das „dem Medienmarkt erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügt und es allen Bürger*innen erschwert, bestimmte Inhalte zu erreichen“. Selbst Inhalte wie „Bridget Jones“, die Serie „Friends“ oder Teile der "Harry-Potter"-Filme könnten nach dem neuen Gesetz nur zu später Uhrzeit als Ü-18-Inhalte gezeigt werden.

Vor allem aber, schreibt der Fernsehsender in einer Mitteilung auf Facebook, würde der Entwurf „sexuelle Minderheiten aus den Massenmedien ausschließen und damit den Kampf gegen negative Vorurteile in der Gesellschaft unmöglich machen“.
Hinweis: Dieser Text erschien am 15. Juni auf tagesspiegel.de und wurde am 23. Juni aktualisiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false