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In Ryan Murpys „The Prom“ spielen Meryl Streep und James Corden zwei Stars, die einem Provinz-Teenager helfen.

© MELINDA SUE GORDON/NETFLIX

Netflix-Showrunner Ryan Murphy: Der Mann, der Knaller jagt

US-Regisseur Ryan Murphy ist ein Berserker der Serienunterhaltung. Jetzt startet sein Feelgood-Musical „The Prom“ über eine lesbische Schülerin bei Netflix.

Seine Erfindungen unterhalten die Welt. „Glee“, „American Horror Story“, „Pose“. Die Serien hat alle Ryan Murphy erdacht, teilweise geschrieben oder bei ihnen selbst die Regie übernommen.

Der 55-jährige Amerikaner ist ein Berserker der Serienunterhaltung. Allein in diesem Jahr hat er drei Serien für Netflix produziert, mindestens zwei weitere für andere TV-Sender, einen Dokumentar- und zwei Spielfilme. Jetzt präsentiert er sein letztes Werk des Jahres der Öffentlichkeit: das Musical „The Prom“ (ab 11.12. auf Netflix).

Meryl Streep und Nicole Kidman spielen mit

Das Singspiel in Bonbonfarben ist eine Erweiterung des „Glee“-Kosmos. Während in der extrem erfolgreichen Serie Highschool-Kids die Hits anderer sangen und ihre Probleme damit lösten, begeben sich in dem Musical abgehalfterte Broadway-Darsteller in eine Provinzschule, um ihre Unzulänglichkeiten auszuloten – und die der Abschlussklasse gleich mit.

Meryl Streep spielt eine alternde Narzisstin („Ich verstehe nicht, was daran falsch sein soll“), James Corden ein zweckoptimistisches Kritikeropfer („Ich weigere mich, aufzugeben“) und Nicole Kidman eine ewige Zweitbesetzung.

Zusammen brechen sie nach Indiana auf, um einem lesbischen Teenager zum Abschlussball zu verhelfen. Der wurde ihr nämlich von der Elternvereinigung verwehrt. Jetzt wollen die „liberals from Broadway“ das Provinzküken retten. Natürlich nicht ganz uneigennützig. Nebenbei soll das Image aufpoliert werden. Es folgen messerscharfe Dialoge, knitterfreie Mode und Massentanzeinlagen in einer Shoppingmall. Ein queeres Feelgood-Musical mit viel Herz und Kitsch, das manchmal wie ein langes Taylor-Swift-Video aussieht.

„Frivole Ablenkungen“ nannte der „New Yorker“ einmal diese bunten, extravaganten Stoffe. Trash und Kunst liegen bei Ryan Murphy dicht beieinander. „Marmite des Fernsehens“, schrieb der „Guardian“ mit Bezug auf den polarisierenden Frühstücksaufstrich – entweder hasst oder liebt man Murphys Kreationen.

Seinen Antrieb definiert Murphy als „velvet rage“, eine Wut mit Samthandschuhen, die als Referenz zur sogenannten Velvet-Mafia der Schwulen in Hollywood zu verstehen ist. Murphy wurde in Indiana geboren, ebenjenem Staat, in dem er sein Musical inszeniert. Sein erstes Idol war Barbra Streisand, das Kinderzimmer dekorierte er mit zwölf Jahren zur Studio-54-Hommage um, mit braunem Hochflorteppich und olivfarbenen Wänden.

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Der Vater ohrfeigte den Sohn, als der ihm sagte, er wolle später nach Hollywood ziehen und ein Star werden. Murphys Arbeiten waren immer ein Aufbegehren dagegen, der Beweis, dass man es als marginalisierte Person doch schaffen kann. Deshalb stehen bei ihm Personen wie das lesbische Mädchen aus „The Prom“ im Mittelpunkt. Für Netflix hat er bereits angekündigt, mehr LGBTI-Stoffe zu verfilmen. Natürlich Hochglanz-Seifenopern, „keine armen Menschen, die Pad Thai essen“, so hat er es einmal formuliert. Murphy sucht die große Geste, den maximalen Erfolg.

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In den vergangenen 20 Jahren hat er auf diese Weise Preise angehäuft und den lukrativsten Deal der Fernsehgeschichte eingefädelt. 300 Millionen US-Dollar soll ihm Netflix für einen Fünf-Jahres-Vertrag bezahlt haben, dafür vergab der Streamingservice ein eigenes Genre-Stichwort. Horror, Liebe, Ryan Murphy. Als wäre damit alles gesagt.

„Er hat die Medienlandschaft in seiner Interpretation der Produzentenrolle entscheidend mitgeprägt“, sagt Jörg Winger, einer der wenigen deutschen Serienerfinder, der sich früh an amerikanischen Modellen orientiert und Formate wie „Deutschland 83“ und „Hackerville“ miterfunden hat. Gerade schreibt er an einer Serie über den Covid-19-Ausbruch an einer deutschen Fleischfabrik. Über Murphy sagt er: „Als schreibender Produzent ist er ein Paradebeispiel für einen modernen Showrunner.“

Dafür teilt sich Murphy den Tag in Einheiten auf, organisiert den Kalender in Viertel- oder Halbstunden. Erstes Ritual am Morgen: immer selbst das Bett ordentlich machen. Er ist für seine Detailwut bekannt, vom Nagellack der Schauspielerinnen bis hin zum Design der Sets segnet er alles ab. Auf diese Weise produziert er Serien, als hätte der Tag 48 Stunden. Seine Mitarbeiter traktiert er mit zwei Fragen: Ist es ein Hit oder ein Flop? What’s the scoop? Also: Was ist der Knüller?

Regisseur Ryan Murphy war früher Journalist.
Regisseur Ryan Murphy war früher Journalist.

© Armando Gallox/Imago

Angefangen hat er als Journalist – allerdings schon damals mit einem Hauch Extravaganz. Seinen ersten Einsatz als Polizeireporter in Tennessee bestritt er mit einem weißen Anzug, eine Referenz an sein Vorbild Tom Wolfe, im „Miami Herald“ versetzte er sich quasi selbst in die Stil-Redaktion und verlangte vom Verlag, die teuren Rechte für ein Bild von Starfotografin Annie Leibowitz zu bezahlen, damit er dieses in einem Artikel über Meryl Streep verwenden konnte.

Jörg Winger findet, dass in diesen Anfängen das Potenzial seiner Stoffe liege. „Bei aller Überhöhung kommt er spürbar aus dem Journalismus“, sagt er, „und zeigt eine politische Haltung. Er lässt sehr gekonnt verschiedene politische Haltungen aufeinanderkrachen.“

Herausragend: "Pose" über die New Yorker Ballroom-Szene

Besonders geglückt ist ihm das in „Pose“, einer Serie über die Ballroom-Kultur der späten 80er Jahre in New York. Aids-Krise und Trumps Aufstiegs hat er mit eleganten Voguing-Einlagen gewürzt, Politik wurde hier tatsächlich zum Tanzen gebracht.

Es war das erste Mal, dass trans Menschen an einer großen Produktion Anteil hatten: fünf in den Hauptrollen und weitere 45 im größeren Cast. Autorin Sophie Passmann bezeichnete die Serie im Podcast „Die Schaulustigen“ als eine der besten Sachen, die sie je gesehen habe. „Wahnsinnig witzig, warmherzig, tragisch ... und unglaublich bildend.“

Emma Nolan (Jo Ellen Pellma, Mitte, im blauen Anzug) will mit ihrer Freundin zum Abschlussball gehen.
Emma Nolan (Jo Ellen Pellma, Mitte, im blauen Anzug) will mit ihrer Freundin zum Abschlussball gehen.

© Melinda Sue Gordon/Netflix

Den Aufstieg in Hollywood begann Murphy 2003 mit der Serie „Nip/Tuck“. Sie erzählte von zwei Schönheitschirurgen in Miami, aber eigentlich ging es um die Suche nach Anerkennung, wenn man unter dem Radar der Aufmerksamkeit läuft. In Nebenrollen brillierten Catherine Deneuve und Alanis Morissette. Noch ein Merkmal seiner Arbeit. Murphy holte Stars zurück vor die Kamera, die manche bereits vergessen hatten. Jessica Lange verdankt ihm den zweiten Frühling ihrer Karriere und diverse Preise.

Ryan Murphy klotzt. Mit dicken Budgets, Dreharbeiten an Originalschauplätzen und Massenszenen Er nennt das „barock“, seinen Anspruch, wie ein Film, eine Serie zu sein hat. Groß denken, größer drehen. In Anspielung auf den Netflix-Deal bemerkte er einmal: „Sie haben mich nicht hierhergebeten, um etwas Grobkörniges und Eintöniges zu kreieren.“

Klotzen wird er sicher auch wieder im nächsten Jahr: Er arbeitet mit Monica Lewinsky an einer Serie über den Skandal im Weißen Haus, in der Clive Owen Bill Clinton spielen soll, daneben will er eine zehnteilige Dokuserie über Andy Warhol produzieren und mit Jessica Lange eine Marlene-Dietrich-Geschichte in Las Vegas verfilmen. Natürlich soll „Pose“ eine dritte Staffel bekommen und irgendwann endlich auch die Miniserie über den Hurrikan „Katrina“ gedreht werden. Wann schläft dieser Kerl eigentlich?

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