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Der britische Sänger und Schauspieler Olly Alexander.

© Universal Music

Olly Alexander zum neuen Album von Years & Years: „Beim Songschreiben dachte ich an meine Ex-Freunde“

Das dritte Album von Years & Years, „Night Call“, bringt Sänger Olly Alexander am Freitag solo heraus. Ein Gespräch über Sex, Elton John und Hula-Hoop.

Am Freitag, 21. Januar, erscheint das neue Album „Night Call“ von Years & Years „Night Call“. Wir haben zuvor mit Sänger Olly Alexander gesprochen.

Mister Alexander, warum klingt das neue Album von Years & Years so freudvoll?
Das war mir am Wichtigsten. Denn diese Musik zu machen, war mein Zufluchtsort in der Pandemie. Ich entdeckte meine Liebe zu Dance-Musik und Disco wieder. Da ich gerade die Serie „It’s A Sin“ gedreht hatte, hörte ich die Achtziger-Musik rauf und runter. Das ist die Musik, die mich inspiriert hat – eigentlich immer schon.

Inwiefern?
Die Queer-Kultur hat sich quasi auf der Tanzfläche geformt. Ich wollte das in die Platte miteinfließen lassen und es zelebrieren, auch wenn wir uns pandemiebedingt nicht wie gewohnt an diesen Orten treffen können. Viele der Texte auf dieser Platte sind persönlich. Was ich an guten Disco-Songs liebe ist, dass sie von etwas sehr Traurigem handeln können, aber eigentlich nur, damit du die euphorischen Momente genießen kannst.

Tanzen Sie zu Ihrer eigenen Musik?
Klar. Mit dem Hula-Hoop-Reifen! Ich habe mir dieses Hobby beim ersten Lockdown zugelegt. Ich mache es fast jeden Tag und bin mittlerweile sehr geübt darin. Erst gestern hula-hoopte ich zu meinem neuen Song „Sweet Talker“ – das ist ein guter Test. Ich höre meine Musik eh sehr viel, bevor ich sie in die Welt hinauslasse. Gerade, wenn ich wie jetzt viel Zuhause bin, liebe ich es, sie mir anzuhören. Das steigert noch mal die Aufregung.

Da ist jede Menge sexuelles Verlangen in den Songs. Wie kommt’s?
Die ehrliche Antwort ist: Weil ich keinen Sex hatte. Ich lebe alleine, und ich fühlte mich schon sehr einsam – nach einigen Monaten Lockdown war das sehr präsent in meinem Kopf. Ich musste also alle meine Bedürfnisse in die Musik packen. Ich reflektierte über den Sex der vergangenen Jahre und auf welche Art ich mir Lust und Intimität gesucht habe. Es wurde zum Spaß, darüber zu schreiben, und war gleichzeitig sehr therapeutisch für mich.

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In einer Pressemitteilung zur Album-Veröffentlichung steht über den Titelsong „Night Call“, dass man keine Angst haben sollte, jemanden zu sagen, dass man Sex haben will.
Das ist meine Botschaft an die Welt: Es ist okay, flachgelegt werden zu wollen. Ich bin da ohne Schamgefühl. (lacht) Trotzdem kann ich nicht behaupten, dass ich nach dem Lockdown viele Orgien gesehen hätte. Jedoch merke ich definitiv, dass die Leute eine neue Wertschätzung haben, wenn es darum geht, beieinander zu sein

Im Song „Intimacy“ beteuern Sie, sie seien kein Mensch für zwanglose Intimität. Ich betone das nur, damit die Leute keinen falschen Eindruck von Ihnen bekommen.
(lacht) „Intimacy“ ist ein manischer Song, der erst mal sagt: „Ich bin niemand für die schnelle Nummer“ und direkt danach fordert: „Gimme it now, gimme it, gimme it right now.“ Der Song reflektiert die sehr ambivalente Natur der Intimität, wie ich sie persönlich empfinde: Einerseits will ich jemanden ganz nah bei mir haben, aber fast im gleichen Moment kann ich die Nähe nicht ertragen.

In einem Moment willst du spontanen Sex mit jemandem und dir ist fast egal, wer es ist. Und im nächsten Moment sagst du dir: „Nein, das kann ich nicht mehr tun.“ Es gibt verschiedene Arten des Liebens, ich muss mich da wohl erst mal durcharbeiten.

Da ist auch viel Herzschmerz auf der Platte. Erzählen Sie mal von den Männern, die Ihnen das Herz gebrochen haben.
Wie viel Zeit haben Sie? Da gab es einige. Ich bin seit fünf Jahren Single. In der Zeit hatte ich kleine Romanzen hier und da. Ich brauchte eine wirklich lange Zeit herauszufinden – und bin immer noch dabei – was für eine Beziehung ich überhaupt haben will. Ich musste definitiv mein gebrochenes Herz heilen. Das war sehr präsent, als ich die Lieder schrieb. Ich dachte dabei an Ex-Freunde, die das Weite gesucht haben oder an Typen, für die ich erst etwas fühlte, es dann aber bedauerte oder mich gar dafür schämte, sie überhaupt mal gewollt zu haben. Es ist kompliziert.

Macht Ihr zunehmender Bekanntheitsgrad es besonders schwierig, die Liebe zu finden?
Das macht es schwer zu vertrauen, denn du kannst ja nicht in die Menschen reingucken, was ihre wahren Absichten sind. Da kann man schon ein wenig paranoid werden und sich Fragen stellen wie „Was erzählen sie ihren Freunden über mich?“ „Haben sie bereits eine vorgefertigte Meinung darüber, wer ich bin?“ Wenn dein Gegenüber dich kennt, bevor du überhaupt die ersten Worte miteinander gewechselt hast, kann das schon irritieren, weil man nicht auf dem gleichen Level ist.

Years & Years starteten 2010 noch als Trio. Wie fühlt es sich an, nun das einzige verbliebene Mitglied der Band zu sein?
Es ist ein gutes Gefühl, die volle Verantwortung zu tragen und die Kontrolle zu haben. Ich will nicht sagen, dass ich ein Kontrollfreak bin. Aber es ist doch sehr viel aufregender, Musik als Solist rauszubringen, speziell nach allem, was in den letzten zwei Jahren passiert ist.

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Haben Sie damit geliebäugelt, das Album gleich unter Ihrem bürgerlichen Namen zu veröffentlichen?
Schon. Aber es hätte sich dann so angefühlt, als müsste ich noch mal ganz von vorne anfangen. Bei den ersten zwei Alben waren Mikey und Emre zwar in die Entstehung involviert, aber ich habe die Songs geschrieben. Ich möchte einfach nicht aufhören, für Years & Years Songs zu schreiben oder sie zu performen. Ich liebe es, Years & Years zu sein! Wir drei haben offen darüber gesprochen und waren uns einig, dass es so das Beste ist. Letztendlich gefällt es mir auch, den Musiker von dem Schauspieler ein wenig separiert zu halten.

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Sie tanzen nun alleine, aber in doppelter Ausführung durch Ihr Video zu „Starstruck“.
Ich habe Spaß mit mir selbst - gezwungenermaßen! Die Corona-Beschränkungen machten es eh schwer, andere Menschen in dem Video zu haben. Also machten wir das Alleinsein zum Konzept. Es ist auch ein schönes Bild dafür, wie ich in den letzten Jahren innerlich gewachsen bin. Wenn ich mich selbst im Spiegel betrachte, ist das eine Metapher dafür, dass ich mich nun mir selbst stellen kann, was ich früher vermieden habe.

Auch sonst scheinen Sie wie entfesselt zu sein. Speziell seit Ihrer Hauptrolle in dem Achtziger-Aids-Drama „It’s A Sin“ wirken Sie befreit und glücklich. Hat Sie die Rolle verändert?
Absolut. Es war so eine phänomenale Erfahrung, daran zu arbeiten und eine völlig andere Herausforderung im Vergleich zu den anderthalb Jahren davor, als ich mit dem Touren und Musikmachen beschäftigt war. Wenn du als Schauspieler solch ein großes Projekt annimmst, so einen besonderen Charakter spielst und dich da total reinhängst, färbt das auch ab auf deine Persönlichkeit. Ich bin jetzt 31 und merke, dass ich mich viel wohler in meiner Haut fühle als früher.

Haben Sie am Anfang von Years & Years ein Teil Ihrer Persönlichkeit zurückgehalten?
Ganz sicher sogar. Wenn ich auf Instagram oder Twitter alte Fotos von mir aus den Anfangstagen der Band aufpoppen, fällt mir immer auf, dass ich darauf aussehe, als würde ich mich total unwohl fühlen; es ist regelrecht unangenehm für mich, sie zu betrachten. Ich erinnere mich an erste Promotion-Reisen nach Berlin. Ich war definitiv unsicher, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Einige Künstler treten hervor, sie wissen, wer sie sind, und kommen mit so viel Öffentlichkeit besser klar.

Aber Sie brauchten länger?
Ja. Ich war damals nicht selbstbewusst genug, um mich preiszugeben. Es ist eine Reise, auf die ich gehen musste und auf der ich immer noch bin. Ich bin mir sicher, dass ich in zehn Jahren wieder anders sein werde, aber Veränderung ist für mich heute das beste Gefühl überhaupt. In der Lage zu sein, auf die Bühne zu gehen, die eigenen Songs zu präsentieren und das zu verkörpern, was ich bin, ist so befreiend. Wie glücklich ich mich schätzen kann, in einer Position zu sein, in der ich das tun kann! Das Wissen um dieses Privileg macht es mir leichter, nichts mehr von mir zurückzuhalten.

Nach der Ausstrahlung von „It’s A Sin“ sollen mehr Leute zum HIV-Test gegangen sein, auch „Safe Sex“ wurde wieder ein größeres Thema. Was bedeutet es Ihnen, dass diese Drama-Serie solche Auswirkungen hatte?
Es ist phänomenal. Ich konnte es erst gar nicht glauben, als bekannt wurde, dass in der Woche nach Serienstart mehr HIV-Tests stattfanden als jemals zuvor in Großbritannien. Ich dachte nur: Wow, da hat eine Show Einfluss auf das echte Leben genommen. Es zeigt, wie mächtig eine Story sein kann!

Aber alle diese Dinge passierten wirklich in den Leben realer Menschen in den Achtzigern – und das sehr viel öfter und sehr viel schlimmer. Die Serie hat etwas ausgelöst und eine Diskussion entfacht. Wenn nur eine Person sich deshalb testen lässt und dadurch von ihrem HIV-Status weiß, dann ist schon Unglaubliches erreicht.

Sie haben großartiges Feedback dafür bekommen, unter anderem von Elton John. War das die Initialzündung für Ihre Zusammenarbeit?
Ja, Elton John rief mich an, nachdem er die Serie geguckt hatte. Er hat jeden aus der Serie angerufen, nur um zu sagen, wie sehr er es genossen hat, sich das anzuschauen und wie viel es ihm bedeutete. Es war eindrucksvoll, das von ihm zu hören: Elton war sehr präsent in der Schwulenszene der Achtziger, er verlor Freunde und musste mit dem Trauma leben.

Erst lud er mich in seine Radioshow ein, dann rief er erneut an und fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm „It’s A Sin“ bei den Brit Awards zu performen. Und ich antwortete: „Na klar, ich werde es lieben, auf deinem Flügel zu liegen.“ Ich hätte in meinen kühnsten Träumen nicht gedacht, dass so was jemals passiert. Es war wirklich eine lebensverändernde Erfahrung für mich, die die Serie erst ermöglichte.

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Mehr geht eigentlich nicht, als mit Elton John „It’s A Sin“ von den Pet Shop Boys zu singen und sich dabei auf seinem Piano zu räkeln.
(lacht) Ja, und das Tolle war: Alle Personen auf der Bühne waren aus der Queer-Community. Wir hatten Szene-Legenden dabei und das im Prime-Time-Television! Es war so besonders. Die Queer-Szene schien es absolut zu beglücken. Und genau darum ging es bei der Performance: Wir wollten die Community feiern.

Denn so oft dienen Queeres nur als schmückendes Beiwerk im Hintergrund. Oder wir werden benutzt, um etwas bunter, aufregender oder diverser aussehen zu lassen, ohne selbst in der Mitte der Bühne zu stehen. Es war so aufregend mit einem legendären schwulen Künstler einen legendären schwulen Song zu präsentieren und es wirklich um diese tolle Community gehen zu lassen. Ich werde für immer stolz sein, das gemacht zu haben. Allein der Gedanke daran macht mich glücklich.

Gab es Feedback von Neil Tennant?
Er schrieb mir eine Email, wie sehr ihm die Neuversion seines Songs gefallen hat.

Ist da heute eine größere Akzeptanz in den Mainstream-Medien zu erkennen?
Auf gewisse Weise schon. Aber wenn ich an „It’s A Sin“ denke... Es hat so viele Jahre gedauert, das Projekt zu realisieren, weil es keinen Rückhalt fand oder ganz gekippt wurde. Es war ursprünglich als viel längere Serie angedacht, aber die Macher haben letztendlich nur fünf Episoden eingetütet bekommen, weil man nicht wirklich optimistisch war, dass ein Aids-Drama ein großer Erfolg werden könnte. Aber es wurde ein Erfolg.

Es gibt immer wieder solche Durchbrüche, es gibt jede Menge unglaubliche queere Kunst. Sie ist eine wichtige Kraft in unserer Kultur, und ja, sie ist heute besser repräsentiert, aber dennoch ist noch ein langer Weg zu gehen. Denn oftmals scheint es, als würden wir einen Schritt vorwärts machen und wieder zwei zurück. Wir werden auch künftig immer wieder auf Widerstände stoßen.

War das ein überfälliger Schritt, dass die männlichen und weiblichen Kategorien bei den Brit Awards aufgelöst wurden?
Ja, ich bin happy darüber. Das Kategorisieren von Musik ist eh problematisch, nicht wahr? Es ist höchste Zeit, dass wir uns jenseits des Binären bewegen.

Was wünschen Sie sich 2022 für die Gesellschaft?
Ich hoffe, dass sich die Menschen wieder besser zuhören. Es wird immer eine Sichtweise bei einem Streitgespräch geben, die man ablehnt oder nicht bedacht hat. Wir können uns weiterentwickeln, indem wir einander besser zuhören. Ich versuche, bei mir selbst damit zu beginnen. Wenn ich merke, ich fange an mich zu verteidigen oder werde wütend, sage ich mir: „Höre einfach besser zu! Was hörst du gerade nicht?“ Und natürlich wünsche ich mir für 2022, dass alle Teile der Gesellschaft an meinem Album Spaß haben.

Gibt es persönliche Wünsche?
Balance zu finden. Momentan klappt das ganz gut, aber es war nicht einfach, an diesen Platz zu kommen, weil ich mich schnell überängstlich oder überwältigt fühle. Balance ist der Schlüssel.

Katja Schwemmers

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