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Die Opfer des Paragrafen 175 in der Bundesrepublik sollen endlich entschädigt werden.

© dpa/Arne Dedert

Opfer des Paragrafen 175: Kabinett beschließt Rehabilitierung verurteilter Homosexueller

Die Bundesregierung will in der Bundesrepublik verurteilte Homosexuelle entschädigen. Das Justizministerium geht von 64.000 Opfern des Paragrafen 175 aus.

Die Bundesregierung hat die Rehabilitierung Homosexueller auf den Weg gebracht, die nach dem früheren Paragrafen 175 verurteilt worden waren. Das Kabinett beschloss am Mittwoch in Berlin einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Die damals ergangenen Urteile sollen demnach pauschal aufgehoben werden. Der Gesetzentwurf sieht zudem eine finanzielle Entschädigung der Opfer vor, einen Pauschalbetrag von 3000 Euro und weitere 1500 Euro für jedes angefangene Jahr „erlittener Freiheitsentziehung“.

Neben der individuellen Entschädigung wird es zusätzlich eine Kollektiventschädigung geben. Für viele Betroffene stehe der Wunsch nach einer Kollektiventschädigung ohnehin im Vordergrund, während eine Individualentschädigung als eher nachrangig betrachtet wird, erklärte Maas. Die Bundesregierung wolle so auch berücksichtigen, dass viele schwule Männer allein durch die Existenz der Strafvorschrift und das damit verbundene Stigma erheblich belastet waren, selbst wenn sie nicht angeklagt und verurteilt wurden.

Es gibt auch eine Kollektiventschädigung

Die Kollektiventschädigung sieht vor, dass ab diesem Jahr die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld eine allgemeine institutionelle Förderung in Höhe von jährlich 500.000 Euro aus dem Haushalt des Justizministeriums bekommen soll. Die Stiftung solle damit langfristig gestärkt werden - und so auch ihre Aufarbeitung und Dokumentation von Schicksalen verfolgter Homosexueller. Die Hirschfeld-Stiftung arbeitet daran seit einigen Jahren: So baut sie ein Videoarchiv auf, in dem Betroffene ihre Geschichte erzählen. "Es ist nicht allein damit getan, dass wir die Urteile aufheben, in der Öffentlichkeit aber kaum bekannt ist, worum es überhaupt geht“, erklärte Maas.

Die Bundesrepublik hatte den 1935 durch die Nationalsozialisten verschärften Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs übernommen. Erst 1994 wurde der Paragraf 175 endgültig abgeschafft, in der DDR erfolgte dieser Schritt bereits 1968. In der NS-Zeit ergangene Urteile gegen Homosexuelle wurden 2002 aufgehoben, Urteile aus der Zeit danach jedoch nicht.

Maas spricht von "Schandtaten des Rechtsstaats"

Das Justizministerium geht von etwa 64.000 Strafverfahren wegen des Paragrafen zwischen 1949 und 1994 aus, davon etwa 50.000 Fälle bis 1969, als das Gesetz zunächst entschärft wurde. Maas bezeichnete die Verurteilungen als „Schandtaten des Rechtsstaates“. Ausgeschlossen von den Regelungen sind Fälle, in denen Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt und sexuelle Handlungen unter Nötigung oder mit Gewalt vorgenommen wurden.

Bereits im vergangenen Juli hatte das Ministerium ein entsprechendes Eckpunktepapier zur Rehabilitierung vorgelegt. Insbesondere von den Grünen wurde oft kritisiert, dass es mit der Rehabilitierung viel zu lange dauere: Viele der noch lebenden Opfer sind schließlich oft schon hochbetagt. Der Gesetzentwurf muss jetzt noch in den Bundestag eingebracht und von den Parlamentariern verabschiedet werden. Das Justizministerium geht davon aus, dass das noch bis zu den Bundestagswahlen passiert. (mit dpa)

Verfolgt von den Nazis, verfolgt in der BRD: Lesen und sehen Sie hier das Schicksal von Wolfgang Lauinger, Opfer des Paragrafen 175.

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