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Politik und Unternehmen springen auf den Pride-Zug auf – wirklich ernst nehmen sie sexuelle Diversität aber nicht.

© Tsp

Pinkwashing: Wenn die Regenbogenfahne zum Marketinginstrument wird

In der Pride-Saison schwenken Unternehmen und Parteien gern die Regenbogenfahne. Doch wenn sie eingerollt wird, ist es oft wieder vorbei mit dem LGBTI-Engagement. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Nadine Lange

Überall in Berlin weht derzeit die Regenbogenfahne. Es ist Pride-Saison – die queere Community feiert ihre Emanzipation im Gedenken an den Stonewall-Aufstand in New York vor über 50 Jahren.

Mit den bunten Streifen zeigen schon längst nicht mehr nur Lesben und Schwule ihren Stolz, auch Unternehmen und Parteien haben sie entdeckt. Wer sich weltoffen, divers und modern geben will, bringt im Sommer eine Pride- Edition heraus oder hängt die Regenbogenflagge vor die Parteizentrale.

Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans und inter Personen (LGBTI) werden als Kund- und Wählerschaft ernst genommen. Das ist eigentlich ein Grund zur Freude, doch viel zu häufig bleibt das Engagement auf die Produktpackungen und die saisonale Beflaggung beschränkt. Der Regenbogen ist dann nicht mehr als ein Marketinginstrument, das Solidarität mit einer Minderheit suggeriert, die den Rest des Jahres wieder vergessen ist.

Natürlich gibt es Ausnahmen: Firmen, die Diversity-Gruppen haben, an LGBTI- Gruppen spenden und ihre Regenbogen-Palette ganzjährig anbieten. Doch gerade in der Mode- und Kosmetikbranche trifft man oft auf das sogenannte Pinkwashing, also ein lediglich vorgetäuschtes Engagement für queere Belange. Mag das bei Firmen leicht durchschaubar und nicht so tragisch sein, ist politisches Pinkwashing schon gravierender.

Ein SPD-Abzeichen in Regenbogen-Optik.
Ein SPD-Abzeichen in Regenbogen-Optik.

© Kay Nietfeld/dpa

Darin tut sich hierzulande vor allem die SPD hervor, die derzeit sowohl eine Regenbogenflagge neben dem Willy-Brandt-Haus aufgezogen hat als auch ein riesiges Banner – mit integriertem Parteilogo – an der Frontseite präsentiert. So viel demonstrative Queerfreundlichkeit sucht man in der sozialdemokratischen Politik ansonsten vergeblich.

Seit sieben Jahren in der Regierung war die Partei zwar an der Einführung der Ehe für alle beteiligt, doch letztlich hat Angela Merkel das Thema aus wahlkampftaktischen Gründen 2017 abgeräumt. Seither hat sich die SPD nicht mehr mit einer großen Initiative zur Verbesserung der rechtlichen Lage von LGBTIs hervorgetan – obwohl sie die Justiz- und die Familienministerin stellt.

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Zu tun gäbe es genug: Auf eine Reform des veralteten Transsexuellengesetzes wartete die Community seit Jahrzehnten. Das Blutspendegesetz diskriminiert weiterhin pauschal Männer, die mit Männern schlafen. Weil ihnen ein verantwortungsloses Sexleben unterstellt wird, sollen sie zwölf Monate vor einer Spende enthaltsam sein.

Beim Adoptionsrecht werden lesbische Mütter gegenüber Heteropaaren benachteiligt: Bei einem verheirateten Frauenpaar wird die Partnerin der biologischen Mutter nicht automatisch als zweites Elternteil anerkannt, sondern muss deren Kind adoptieren. Verheiratete Männer werden hingegen automatisch Eltern, wenn ihre Frau ein Kind bekommt – selbst wenn sie nicht der biologische Vater sind.

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Eine Chance, daran etwas zu ändern, wurde kürzlich verspielt, als mit den Stimmen der großen Koalition sogar noch eine Verschärfung dieses Gesetzes beschlossen wurde. Zwei-Mütter-Familien sollten danach eine verpflichtende Beratung bei den Adoptionsvermittlungsstellen hinter sich bringen, um die sogenannte Stiefkindadoption durchführen zu können. Das Gesetz kam nicht durch den Bundesrat, weil Länder mit grüner Regierungsbeteiligung dagegenstimmten.

Wer im Sommer die Regenbogenflagge aufzieht, sollte Queers das ganze Jahr unterstützen. Homo- und Transfeindlichkeit machen nämlich auch keine Pause.

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