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Intuition, nonverbale Kommunikation - und schon hat man zueinander gefunden.

© dpa/picture alliance

Queer weiß das (45): Haben Lesben und Schwule einen „Gaydar“?

Eine neue Folge unserer Kolumne Heteros fragen, Homos antworten. Diesmal geht es um den "Gaydar" - also ob sich Homosexuelle gegenseitig erkennen.

Stimmt es, dass sich Schwule und Lesben untereinander erkennen? - Jens, Kreuzberg

Viele Homosexuelle glauben tatsächlich, dass sie einen sechsten Sinn haben, wenn es um ihresgleichen geht. Ist ja auch eine zu schöne Vorstellung, dass die Natur beim Kennenlernen nachhilft, wenn man schon eine Minderheit ist. Laut einer Studie des Umfrage- Start-ups Dalia von 2016 bezeichnen sich 7,4 Prozent der Deutschen als lesbisch, schwul, bi und trans, andere Schätzungen gehen von drei bis zehn Prozent Bevölkerungsanteil aus. Setzt man die Zahlen der Studie voraus, wären wir etwa sechs Millionen (wovon je die Hälfte in Berlin und Köln lebt – kleiner Scherz).

Doch trotz Millionenstärke ist die Chance statistisch geringer, dass Homosexuelle auf Homosexuelle treffen, nimmt man mal Berghain-Partys, Beth-Ditto-Konzerte und die Straßen im Schöneberger Nollendorfkiez aus. In einem Meer der Heterosexualität wäre ein „Gaydar“ – das Kunstwort lehnt sich ans englische „Radar“ an – zugegeben ganz hilfreich: Einfach mal die Passagiere nachts um halb drei in der U-Bahn scannen, und schon fühlte man sich etwas sicherer, wenn sich die finsteren Gestalten auf der Sitzbank gegenüber als sanftmütige Jünger des Regenbogens entpuppten.

Der Blick, der eine Zehntelsekunde zu lange dauert

Aber es ist nicht ein einzelner Sinn, sondern ein Zusammenspiel vielfältiger Eindrücke, die Homos zu Homos führen: Häufig ist es der Blick in die Augen, der eine Zehntelsekunde zu lange dauert, das wissende Lachen über einen Insiderwitz, der gleiche Musik- und Literaturgeschmack, gemeinsame Freizeitinteressen oder das Abchecken, weil man sich gegenseitig attraktiv findet. Es ist jede Menge Intuition und nonverbale Kommunikation im Spiel – bei Heteros soll das ja angeblich ähnlich funktionieren. Und wie es den Hetero-Stiesel gibt, der einfach nicht merkt, wie sein Umfeld tickt, stapft auch so mancher Homo ohne die berühmte Gabe durch die Welt, mit dem Herzen sehen zu können.

Noch etwas spricht gegen das eingebaute Gaydar: Es bleiben ja fast nur Menschen im Gedächtnis, mit denen es eben diesen tiefen Zehntelsekunden-Blick gab. Wer zählt im Gegensatz dazu die vielen, die unbemerkt blieben, weil sie im entscheidenden Moment aufs Handy gestarrt haben? Man kann also kaum von einem Radar sprechen, höchstens von Beobachtungsgabe. Und auch die versagt manchmal: Wohl jeder Lesbe oder jedem Schwulen ist es schon passiert, dass sie einen anderen Menschen für queer gehalten haben, der es aber gar nicht ist. Denn obwohl es Homosexuelle besser wissen müssten, ziehen auch sie bisweilen die Schubladen auf, aus denen es modrig nach Vorurteilen müffelt.

Folge 44: Warum braucht ihr Homo-Fanclubs im Fußball?

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Folge 42: Gibt es keine wichtigeren Probleme als Unisex-WCs?

Folge 41: Was wünschen sich queere Menschen für 2017?

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Folge 39: Darf man jemanden fragen, ob sie oder er lesbisch oder schwul ist?

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Folge 37: Sollten homosexuelle Promis sich politisch engagieren?

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Folge 35: Nehmen Homosexuelle häufiger Drogen?

Folge 34: Was bedeutet Trumps Sieg für queere Menschen?

Dieser Text erschien zunächst in der gedruckten Sonnabendsbeilage Mehr Berlin.

Haben Sie auch eine Frage an die Tagesspiegel-Homos? Dann schreiben Sie an: queer@tagesspiegel.de!

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