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Paul (Fionn Whitehead, links) ist fasziniert von Wye (Leyna Bloom), die in einer großen queeren WG wohnt.

© Salzgeber

Starkes Filmdrama „Port Authority“ : Unter meiner Haut

Danielle Lessovitz ist mit „Port Authority“ ein einfühlsamer Coming-of-Age-Film gelungen, der in der New Yorker Ballroom-Szene spielt.

Mit einer frisch verheilten Schramme auf der Wange kommt Paul (Fionn Whitehead) in New York an. Wenig später ist sein Gesicht blutverschmiert, über der Nase klafft eine neue Wunde. Sie stammt von einer Prügelei mit zwei Typen, denen er in der U-Bahn krumm gekommen war.

Doch der körperliche Schmerz macht Paul nichts aus, er sucht ihn sogar, um damit seinen emotionalen Schmerz zu überdecken. Noch deutlicher wird dieses Muster ein paar Wochen später, als sich der 20-Jährige direkt nach einem aufwühlenden Beziehungsstreit absichtlich von einem Fremden zusammenschlagen lässt.

Arme Menschen räumen anderen Prekären die Wohnung aus

Paul ist der Protagonist von Danielle Lessovitz’ sehenswertem Debütfilm „Port Authority“, der seine Premiere 2019 in Cannes hatte und jetzt auf DVD oder per Video on Demand zu sehen ist. Auf dem titelgebenden größten Busbahnhof New Yorks startet die einfühlsam erzählte, klug beobachtete Coming-of-Age-Geschichte des aus Pittsburgh angereisten Jünglings, der von seiner Halbschwester abgeholt werden soll.

Sie kommt nicht, dafür hilft ihm die Zufallsbekanntschaft Lee (McCaul Lombardi) mit einem Bett in einer Notunterkunft weiter. Auch einen Job kann der muskulöse tätowierte Typ ihm am nächsten Morgen anbieten. Paul hilft Lee und seinem Team von da an, die Wohnungen säumiger Mieterinnen und Mieter auszuräumen.

Prekäre, teils wohnungslose junge Männer, die sich an der Verdrängung anderer armer Menschen beteiligen – ein Schlaglicht auf den unerbittlichen Überlebenskampf in New York City.

Lessovitz, die auch das Drehbuch schrieb, zeigt die Stadt von ihrer harten Seite. Vom sonst mit ihr assoziieren Glamour ist hier kaum etwas zu sehen. New York wirkt eng und abweisend, die Kamera (Jomo Fray) hebt kaum einmal den Blick, und selbst der berühmten Skyline gönnt sie nur einen Kurzauftritt. Das erinnert an den frühen Spike Lee und „Mean Streets“ von Martin Scorsese (er hat den Film mitproduziert).

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Der verschlossene Paul sucht in dieser trotz sommerlichen Temperaturen kalten Stadt nach echter Nähe und Zugehörigkeit. Lee und seine Leute können damit nicht dienen, sie sind viel zu machohaft für Paul. Weshalb sie ihn auch immer mal wieder als „Schwuchtel“ oder „Homo“ bezeichnen. Darauf reagiert er kaum.

Ob Paul hetero oder queer ist, lässt Danielle Lessovitz in der Schwebe. Allerdings sieht man ihn für lange Zeit das einzige Mal lächeln, als er eine Gruppe queerer junger Leute am Busbahnhof beim Tanzen beobachtet. Einem der Jungen, der wie er in der Notunterkunft schläft, folgt er eines nachts und landet mitten in einer Ballroom-Party.

Als einziger Weißer im Raum fällt er bald einem der Teilnehmer auf, der ihn fragt, mit wem er hier sei. Als Paul nicht antwortet, sagt der Mann: „Siehst du die Stadt da draußen? Die ist für dich. Das hier ist für mich und meine Schwestern.“ Paul verkrümelt sich, doch die junge Wye (Leyna Bloom) kommt hinter ihm her. Die beiden reden ein bisschen, sie schreibt ihm ihren Namen auf den Arm und klebt ihm zum Abschied eines ihrer Nikotinpflaster auf den Bauch. Wye geht Paul bald auch unter die Haut.

Bei seiner zögerlichen Annäherung übersieht er allerdings, dass sie trans ist. Was ein wenig erstaunt, wohnt sie doch mit sieben offen queeren Leuten zusammen, die wie sie Teil der New Yorker Voguing-Szene sind.

Diese 1990 in der Kult-Doku „Paris is burning“ porträtierte und derzeit in der Netflix-Serie „Pose“ gefeierte Szene war auch an der Entstehung von „Port Authority“ beteiligt. Ihr Input hat entscheidenden Anteil daran, dass Lessovitz’ weiße Perspektive auf diese afroamerikanische Kultur funktioniert – und dass die Ballroom-Szenen so hinreißend aussehen. Pauls Wahlfamilien-Wunsch leuchtet ein. Aber die Wirklichkeit hat weniger Glitter und er noch einen weiten Weg vor sich.

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