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Ein Teil der Teams von "Liebe wen Du willst" - 22 Menschen arbeiten für den Verein.

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Verein hilft Opfern homofeindlicher Gewalt: "Die Übergriffe passieren oft im persönlichen Umfeld"

Der Berliner Verein "Liebe wen Du willst" unterstützt Opfer LGBTI-feindlicher Gewalt und arbeitet mit Polizei und Staatsanwaltschaft zusammen. Ein Gespräch mit dem Gründer Steve Hildebrandt.

Anlass für das Engagement war ein Übergriff, der sich gegen Sie selber und Ihren damaligen Partner richtete. Was ist damals passiert?

Das war für mich ein krasses Erlebnis. Im Mai 2018, es geschah am helllichten Tag, wunderschönes Wetter, im Treptower Park mitten auf dem Hauptweg. Wir sind nicht einmal Hand in Hand gelaufen und wurden praktisch aus heiterem Himmel angepöbelt. Ich war lange Kampfsportler, aus dieser Erfahrung heraus wusste ich, dass ich in einer solchen Situation ruhig bleiben muss – selbst als der Angreifer ein Messer gezogen hat, während ich mit der Polizei telefonierte.

Ich habe mich danach gefragt, was eigentlich Menschen in solchen Situationen machen, wenn sie nicht wie ich wissen, wie man sich da am besten verhält. So hat das mit der Instagram-Seite begonnen. Wir posten dort immer wieder Fotos oder Videos von Jugendlichen mit Coming Out-Berichten. Mit schlechten, aber auch mit guten Erfahrungen – wir wollen auch ermutigen.

Inzwischen ist daraus ein Verein geworden. Sie beraten Opfer und übernehmen oft den Kontakt zur Polizei. Braucht es diese Mittlerfunktion zur Polizei, weil sich viele nicht trauen, Übergriffe direkt zu melden?
Auf jeden Fall. Die Kooperation kam zunächst mit dem Präventionsteam der Berliner Polizei zustande, mit Sebastian Stipp und Anne Grießbach, den Ansprechpersonen für LSBTI. Viele wissen ja gar nicht, dass es sowas gibt. Wir haben viele Berichte gehört, dass Polizeibeamte bei homofeindlichen Taten sehr unsensibel reagieren. Das spricht sich rum, daher ist es für manche schwer, diesen Schritt zu gehen.

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Wir arbeiten auch mit dem Staatsschutz zusammen, der für Hasskriminalität zuständig ist. Wir übernehmen teilweise die Anzeige stellvertretend für die Geschädigten. Da müssen wir recherchieren, oft viele Einzelheiten zusammentragen. Wir sind ein 22-köpfiges Team, gerade in der Zeit vor Corona haben wir von fünf Uhr morgens bis in die Nacht hinein Fälle bearbeitet.

Wieso ist es wichtig, dass Anzeigen stellvertretend für die Opfer gestellt werden?
Gerade ungeoutete Jugendliche haben Angst vor diesem Schritt, schließlich würde ein Schreiben der Polizei an die Eltern sie zwangsouten. Das wird dadurch vermieden, dass die Post an unsere Vereinsadresse gesendet wird. Wenn dann Post für die betroffene Person eingeht, senden wir ihr/ihm das über den vorher vereinbarten Weg (E-Mail, Whatsapp etc.).

Steve Hildebrandt, Gründer und Vorstandsvorsitzender von "Liebe wen Du willst".
Steve Hildebrandt, Gründer und Vorstandsvorsitzender von "Liebe wen Du willst".

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Wo passieren nach Ihren Erfahrungen die meisten Übergriffe?
Mehrheitlich im Umfeld der Opfer: In der Schule, im Sport, bei den Eltern. Wir hören von sexuellem Missbrauch, wir hatten den Fall eines Vaters, der seinen Sohn praktisch die Kehle aufgeschlitzt hat, weil er sich geoutet hatte. Oft erhalten wir Suizidankündigungen – einzuschätzen, wie ernst die sind und wo wir dann auch andere Stellen einschalten müssen, ist nicht einfach.

Wie nehmen Sie die Coronakrise wahr: Nehmen Übergriffe zuhause zu?
Die Anfragen sind in der ersten Zeit deutlich zurückgegangen. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass die Jugendlichen sich gar nicht trauen, sich bei uns zu melden, weil sie die ganze Zeit mit ihren Eltern zusammen sein müssen. Betroffene sollten sich trotzdem melden – sonst werden die Probleme nur verschleppt. Nach und nach häuften sich die Fälle dann wieder in ein höheres Maß an Straftaten. Vermutlich wurde einigen Menschen das „Zuhause bleiben“ mit der Zeit zu viel.

Wird der Verein von Psychologen beraten, um die Helferinnen und Helfer zu unterstützen?
Ein hauptberuflicher Psychologe war so begeistert von uns, dass er zu uns ins Team kommen wird. Der geht nicht auf die Opfer ein, sondern auf die Helfer. Wir können zudem auf Unterstützung von außen zurückgreifen. Das ist gerade beim Thema Trans wichtig. Wer persönliche Erfahrungen hat, hat eine größere Sensibilität, als ich sie zum Beispiel als schwuler Mann habe.

Aber auch das Antigewaltprojekt Maneo hat uns die Unterstützung von Psychologen angeboten. Um den Betroffenen in diesen meist akuten Situationen zu helfen, benötigt man Empathie, Einfühlungsvermögen und man sollte vertrauenswürdig sein. Dazu braucht man nicht studiert haben, unsere tägliche Arbeit ist für das ganze Team ein Dauerstudium.

Sind vor allem Jüngere Ihre Zielgruppe?
Bei uns melden sich schon vor allem Jüngere. Inzwischen rufen uns sogar auch Familien mit heterosexuellen Kindern, die ein Problem mit Mobbing haben. Wir kämpfen für Akzeptanz und Toleranz, also müssen wir Heterosexuellen dies auch entgegenbringen. Insofern sind wir für ALLE Menschen da, die in Not sind und Unterstützung benötigen.

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