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Diana Namusoke im Berliner Kirchenasyl.

© Sarah Murrenhoff

Von Abschiebung bedroht: Wie eine Lesbe aus Uganda im Berliner Kirchenasyl um ihre Zukunft bangt

Das Leben von Diana Namusoke ist in ihrer Heimat Uganda bedroht. Das Kirchenasyl in Kreuzberg hat sie vor der Abschiebung bewahrt – bis jetzt.

Nachts träumt Diana Namusoke kaum. Wegen der Schlaftabletten, ohne die ihre Gedanken endlos kreisen würden. Ihre Träume hat sie vor dem Einschlafen – wenn sie stundenlang mit ihrer Liebsten in Bayern telefoniert und darüber spricht, wie es wäre, sie endlich wiederzusehen. Mit ihr zusammenzuziehen, vielleicht zu heiraten. Altenpflegerin zu werden. Mit dem Fahrrad zu einer stinknormalen Arbeit zu fahren und endlich keine Schweißausbrüche mehr zu bekommen, wenn ein Polizeiwagen vorbeifährt.

Ihre eigene Familie schickte Schlägertrupps

Seit zwei Jahren ist die 50-jährige Uganderin im Asyl der Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg. Nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 2018 auch ihren Asylfolgeantrag abgelehnt hatte, fragte die Münchener Lesbenberatungsstelle LeTRa, wo Namusoke Unterstützung fand, bei Kirchen in ganz Deutschland an, ob sie Zuflucht im Kirchenasyl bekommen könnte – eine rechtliche Grauzone, die der Staat wegen der langen Tradition meist duldet. Die Kreuzberger Gemeinde entschied, Namusoke aufzunehmen und dafür zu kämpfen, dass sich die Behörden ihren Fall noch einmal ansehen. Denn in Uganda könnte Namusoke ermordet werden.

Jetzt wohnt sie in einem der vielen Räume der evangelischen Kirche. Die Gemeinde kommt für alles auf – den Unterhalt, die Verpflegung, eventuell anfallende medizinische Behandlungen. In diesem Schutzraum fühlt sie sich sicher. Doch sie weiß: Der Prozess, bei dem über ihre Zukunft entschieden wird, steht kurz bevor. Darf sie offen lesbisch leben oder wird sie abgeschoben?

Da sie 2014 nach ihrer Ankunft in Deutschland einer bayrischen Kommune zugeteilt wurde, ist das Verwaltungsgericht Augsburg für ihren Fall zuständig. Ob sie in zwei Wochen oder sechs Monaten zum Prozess geladen wird, weiß keiner. Mit ihr zittert die queere Community, denn Amnesty International hat 2019 die Lage für LGBTIQ-Personen in Uganda neu bewertet: als sehr gefährlich. Doch ein Grundsatzurteil eines höheren Gerichts gab es seitdem nicht. Der Ausgang der Verhandlung ist kaum vorhersehbar.

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Das Warten und die Angst, dahin zurück zu müssen, wo ihre eigene Familie Schlägertrupps geschickt habe, um ihr die Homosexualität aus dem Leib zu prügeln, sind für Namusoke unerträglich. Sie sitzt im Kirchencafé und wirkt, als würde sie am liebsten im Kragen ihrer Jacke versinken. „Zum Glück bin ich die meiste Zeit von Menschen umgeben“, sagt sie, lächelt und blickt zur Pfarrerin.

Sie spricht leise und mit Bedacht, ihre Hände liegen verschränkt in ihrem Schoß. Einzig ihr konstant wippender Fuß deutet darauf hin, wie sehr es in ihr tosen muss. „Sobald ich eine Minute allein bin, denke ich daran, was wohl aus mir wird.“

„Ich kann mich kaum konzentrieren und vergesse viel“

Pfarrerin Ute Gniewoß arbeitet seit 30 Jahren im Kirchenasyl und weiß, wie wichtig ein aktiver Alltag ist. „Was ist heute der Plan?“, das ist jeden Morgen das erste Thema zwischen den beiden. Der Plan lautet: Deutsch lernen, jeden Tag. Mit ehrenamtlichen Deutschlehrerinnen, außerdem abends in einer Sprachschule.

Manchmal steht Radfahren an, das hat sie auf dem Tempelhofer Feld von den „Bikeygees“ gelernt, einem Verein, der geflüchteten Frauen Radfahren beibringt. Und sie hilft bei der Tafel, jeden Donnerstag. Sonntags geht sie zum Gottesdienst und lässt sich die Predigten übersetzen.

Obwohl sie seit 2014 in Deutschland ist und täglich Vokabeln und Grammatik lernt, fällt es Namusoke schwer, sich auf Deutsch zu verständigen. „Ich kann mich kaum konzentrieren und vergesse viel“, sagt sie, „wegen der Angst und wegen der Tabletten“. Seit fast vier Jahren nimmt sie Antidepressiva. Mehrere Psychiater, Ärzte und die stellvertretende Superintendentin der Kirche haben Gutachten über sie geschrieben: dass sie schwer traumatisiert sei, dass kein Zweifel an ihrer lesbischen Identität bestehe.

Sich im Asylverfahren zu outen ist eine riesige Überwindung

Genau das muss Namusoke dem Gericht glaubhaft machen: dass sie wirklich lesbisch ist und in Uganda eine Verfolgungsgeschichte hat, die es ihr unmöglich macht, dorthin zurückzukehren. Doch die Behörden glauben ihr nicht. Denn sie hat nicht in allen Anhörungen dieselbe Geschichte erzählt.

Beim Interview zum Asylverfahren erwähnte sie zunächst nur, dass sie zwangsverheiratet werden sollte. Der Antrag wurde abgelehnt. Später offenbarte sie einer Sozialarbeiterin der Diakonie, dass ihr eigentlicher Fluchtgrund die Verfolgung wegen ihrer Homosexualität sei. Diese gab sie im Asylfolgeantrag an, doch das BAMF vermutete Taktik und lehnte wieder ab.

Welche Überwindung es eine ugandische Frau kosten mag, in einer Anhörung mit einer fremden Person offen über das gefährlichste Tabu ihres Lebens zu sprechen, bleibt bei der Entscheidung außen vor. Die Unkenntnis über individuelle, psychische und kulturelle Hintergründe sei immer wieder ein Problem bei Asylverfahren, erklärt Julia Serdarov, die bei LeTRa geflüchtete Lesben berät, und ergänzt: „Es wird immer wieder deutlich, wie wenig etwa über die Auswirkungen von Traumatisierungen bekannt ist.“

Namusoke ist stolz, Teil der queeren Community zu sein

Selbst Pfarrerin Gniewoß, Namusokes engste Ansprechpartnerin, weiß wenig über das, was passiert ist. „Sie ist so tief traumatisiert, dass sie über die Geschehnisse in Uganda fast nicht spricht“, sagt Gniewoß. Über die Gewalt, die ihr die Familie angetan habe. Selbstjustiz und Lynchmorde gegen Homosexuelle sind in Uganda nichts Seltenes. Von staatlicher Seite drohen lebenslange Haftstrafen und willkürliche Polizeigewalt. Die Todesstrafe konnte bei einem Gesetzesentwurf 2009 durch angedrohte internationale Sanktionen abgewendet werden. Dennoch fordern Politiker sie immer wieder aufs Neue.

Heute sagt Namusoke, sie sei stolz, Teil der queeren Community zu sein. Vor sechs Jahren wäre das unvorstellbar gewesen. Ihr ganzes Leben sei darauf ausgerichtet gewesen, nicht aufzufallen. Der Aha-Moment kam in München, als sie die Lesbenberatungsstelle aufsuchte und auf eine Frauengruppe zuging. „Sie waren so stolz und offen lesbisch“, erzählt Namusoke, „noch nie hatte ich mich so aufgehoben gefühlt“. Und in eine Frau dieser Gruppe hat sie sich prompt verliebt.

Doch dann kamen die drohende Abschiebung und quasi über Nacht der Aufbruch ins Berliner Kirchenasyl. Die Gemeinde in Kreuzberg ermöglicht ihr ein so buntes Leben wie eben möglich. 2019 ist sie beim CSD mitgelaufen, hinter dem Wagen des Kirchenkreises Stadtmitte. „Ich kann einfach nicht zurück“, sagt Namusoke – und man versteht, dass sie damit zwei Ebenen meint: zurück dahin, wo ihr Leben in Gefahr ist. Aber auch: zurück dazu, sich zu verleugnen und zu verstecken. „Mein Leben zählt doch“, sagt sie, ganz leise, als würde sie sich erst langsam trauen, diesen Satz auszusprechen.

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