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Die amerikanische Filmemacherin Barbara Hammer (1939-2019).

© Jim Norrena

Zum Tod von Barbara Hammer: Das Streben nach Sichtbarkeit

Die experimentelle New Yorker Filmemacherin Barbara Hammer gehörte zu den Pionierinnen des queeren Kinos. Jetzt ist sie im Alter von 79 Jahren gestorben.

Nackte junge Frauen toben über eine Wiese, sie tanzen, lachen, berühren sich. Das mit einer minimalistischen Synthesizer-Tonspur unterlegte vierminütige Filmdokument lesbischer Lebensfreude trägt den Titel „Dyketactics“ und wurde bei seinem Erscheinen Anfang der Siebziger von einigen Zuschauerinnen und Zuschauern als pornografisch missverstanden.

Barbara Hammer, die mit „Dyketactics“ ihren zweiten Kurzfilm realisiert hatte, ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen – und verfolgte ihre Linie weiter. Vieles, was in diesem hippiehaft wirkenden Clip aufschien, sollte ihre späteren Werke prägen: der Blick auf weibliche Körper, die Beschäftigung mit queerem Begehren und der experimentelle, spielerische Umgang mit dem Bildmaterial.

Besonders eindrucksvoll bringt Hammer all das in ihrem ersten langen Dokumentarfilm-Essay „Nitrate Kisses“ von 1992 zusammen. Drei Frauenpaare und ein Männerpaar beim Sex, historische Fotos, Ruinenaufnahmen, Cover von Schundromanen, Opernmusik und Erinnerungen älterer Lesben und Schwuler im Off. Ein anregender schwarzweißer Bilderrausch, beseelt von dem Wunsch, die homosexuelle Subkultur der Dreißiger, Vierziger und Fünfziger nicht in Vergessenheit geraten zu lassen – und zudem queere Gegenwart zu dokumentieren.

Der heterosexuell geprägten Erzählkultur etwas entgegenzusetzen, war immer ein wichtiger Antrieb für Barbara Hammers Schaffen. „Das Streben nach Sichtbarkeit war das zentrale Anliegen für Lesben, die in dieser Zeit Kino machten, aus dem einfachen und traurigen Grund, dass nur wenige oder gar keine Bilder, Vorstellungen oder Repräsentationen verfügbar waren. Der Platz auf der Leinwand – davor und dahinter – war leer“, schreibt sie 1993 in dem Aufsatz „Politik der Abstraktion“ mit Blick auf ihre Anfänge in den Siebzigern.

Dass sie sich damals für die experimentelle Form entschied, entsprang ihrer Überzeugung, dass das konventionelle, narrative Kino formal zu beschränkt sei, um lesbische und schwule Erfahrungen angemessen zu transportieren. Also setzte sie auf eine radikal andere Bildsprache.

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Barbara Hammer, deren jüdische Großmutter als Kind aus der Ukraine in die USA einwanderte, kommt 1939 in Hollywood zur Welt. Mit 30 hat sie ihr Coming-Out, verlässt ihren Mann, stürzt sich ins lesbische Leben – und ins Filmemachen. Wobei sie immer wieder auch selbst in ihren Werken auftaucht. „Tender Fictions“ von 1996 ist Hammers filmische Autobiografie, die in einer virtuosen Montage unzählige Text- und Bildquellen, Überblendungen und eingesprochenen Erinnerungen zusammenbringt. Auch ihrer großen Liebe, der Menschenrechtaktivistin Florrie Burke, widmet sie viele liebevolle Einstellungen.

Die beiden bleiben über 30 Jahre zusammen, verpartnern sich, leben in New York. Die letzte Dekade ist jedoch von Hammers Krebsleiden überschattet. Machte sie in ihren Filmen schon früher Krankheiten zum Thema, erforscht sie diese mit „A Horse Is Not A Metaphor“ (2009) und „Evidentiary Bodies“ (2018) noch einmal aus einer persönlicheren Perspektive. Zuletzt setzte sich Hammer, deren Werke häufig auf der Berlinale liefen und die zwei Mal den Teddy Award für den besten queeren Kurzfilm gewann, für Sterbehilfe ein. Am Samstag ist Barbara Hammer mit 79 Jahren gestorben.

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