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Auslaufmodell. Online-Cafés, wie diese in Accra, sind in Ghana inzwischen zu etwas Obskurem geworden.

© imago/imagebroker

Re:publica in Ghana: Wie das Internet Westafrika verändern soll

Die Netzkonferenz Re:publica kommt jetzt auch nach Ghana. William Senyo organisiert vor Ort mit. Und hofft auf globale Aufmerksamkeit.

Über das Internet in Afrika

Auch in Ghanas Hauptstadt Accra, wo ich lebe, starren alle auf ihre Smartphones – das ist eine globale Epidemie. Die meisten Leute in meinem Land gehen inzwischen mit ihrem Telefon online. Ghana hat 29 Millionen Einwohner und 22 Millionen mobile Internetnutzer. Online-Cafés, wie es sie früher gab, sind zu etwas Obskurem geworden. Was Verbindung und Übertragungsgeschwindigkeit angeht, gehören wir sicher zur Spitze Afrikas. Google hat hier zum Beispiel Glasfaserkabel verlegt, über die Gründe für diese Entscheidung kann ich nur spekulieren: Ghana ist politisch stabil, wirtschaftlich offen, und es hat viele junge Leute, für die das Internet zum Leben dazugehört. In der Generation der Millennials – der nach 1980 Geborenen – hat sich längst eine weltweite Kultur gebildet, die ziemlich homogen ist, leider und zum Glück. Wenn ich auf meine Twitter-Timeline schaue, kann ich manchmal gar nicht mehr sagen, ob einer Ghanaer ist oder Amerikaner. Die Art, sich auszudrücken, ähnelt sich zum Verwechseln. Wie in anderen Teilen Afrikas, spricht man bei uns viel von den Chancen durch die Digitalisierung. Das Internet kann dem Kontinent Zugang zum globalen Handel und damit wirtschaftliches Wachstum ermöglichen. In Ghana ist Whatsapp sehr populär, um alle möglichen Waren zu verkaufen. Früher hatten die Betreiber kleiner Läden nur die Kunden vor ihrer Haustür, heute können sie sich einfach und billig an viel mehr Interessierte richten. Instagram ist besonders beliebt, um Schuhe und Kleidung anzubieten. Natürlich ist der Online-Handel vor allem ein Phänomen der Städte. Und die große Herausforderung für die Zukunft wird die Netzneutralität sein, also die Frage: Haben alle gleich guten und schnellen Zugang zum Internet?

Über sein Projekt für junge Gründer

Der Impact Hub, den ich vor fünf Jahren mitgegründet habe, ist ein Ort, an dem Kreative und Unternehmer ihre Ideen realisieren können. Es gibt Hochgeschwindigkeits-Internet und eine stabile Stromversorgung – für letztere sorgen wir mit eigenen Solaranlagen. Ich werde immer ein bisschen philosophisch, wenn ich über den Impact Hub rede. Denn genau das ist unsere wichtigste Aufgabe: In einem Land, in dem die Leute sich im Alltag so sehr abkämpfen müssen, wollen wir sie inspirieren. Wir haben 250 Mitglieder, 180 Menschen arbeiten täglich in unseren Räumen. Die meisten sind zwischen 25 und 32 Jahre alt. Viele sind Männer, aber seitdem es einige Förderprogramme gibt, kommen vermehrt auch Frauen. Wir bieten den jungen Gründern Infrastruktur, Wissen und globale Vernetzung. In Ghana ist es üblich, dass man Büromieten 24 Monate im Voraus zahlt, das handhaben wir anders, eine wichtige Hilfe. Außerdem bringen wir die Gründer mit Experten zusammen, sei es aus dem Gesundheitssektor, der Landwirtschaft oder den Medien. Und zuletzt: Wir wollen globale Brücken bauen und kooperieren weltweit mit Unternehmen wie Facebook. Eine gute Erfindung aus dem Impact Hub? Eine Maschine, die organischen Müll in Gas transformiert, was wiederum zum Kochen verwendet werden kann. Sie wird nächstes Jahr auf den Markt kommen. Die Zielgruppe sind vor allem ärmere Menschen.

Über die Re:publica

Wir wollen die Veranstaltung nutzen, um Wegbereiter in Ghana zusammenzubringen: die Tech-Community, Künstler, Aktivisten, Designer. Alle. Meine Hoffnung ist, dass die Re:publica diesen Menschen sowohl lokal als auch global Aufmerksamkeit verschafft. Anderswo in Afrika könnte Accra bald als Versuchslabor gesehen werden.

Über Chancen des Gründertums

Es gibt in Afrika, auch hier in Ghana, viele Unternehmen, die Ideen entwickeln und damit staatliche Leistungen übernehmen. Beispiel Krankenversorgung: Einige haben sich auf ländliche Regionen konzentriert, haben etwa einen Krankenwagen mit drei Rädern entworfen, um schwer zugängliche Gebiete zu erreichen. Den ghanaischen Institutionen sind sie damit um Meilen voraus. Ein anderes Unternehmen bringt Solaranlagen aufs Land, um die Energieversorgung, die sonst eher instabil ist, zu sichern. Trotzdem können solche Projekte die Ineffizienz afrikanischer Regierungen natürlich nicht vollständig überwinden. Die Ressourcen der privaten Institutionen sind begrenzt. Zu klein, als dass die einfach übernehmen könnten, wozu der Staat nicht in der Lage ist. Die Frage ist, woher kommt Unterstützung? Von Ghana? Deutschland? Die Regierung hier hat im vergangenen Jahr einen „Gründer- und Innovationsplan“ aufgelegt und kürzlich ein Ministerium für Umwelt, Wissenschaft, Technologie und Innovation gegründet. Man wird sehen, inwieweit ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit das Ganze auch wirklich funktioniert.

Die Ursache für die illegale Migration ist die Perspektivlosigkeit

William Senyo wuchs in einer armen Familie in Jamestown auf und gründete den Impact Hub in Accra mit.
William Senyo wuchs in einer armen Familie in Jamestown auf und gründete den Impact Hub in Accra mit.

© privat

Über sein Leben

Ich bin in einer sehr armen Familie in Jamestown, einem Stadtteil von Accra, groß geworden. Das Viertel ist ungeplant entstanden, überall haben sich die Leute niedrige Häuser aus Holz zusammengezimmert. Der alte Hafen ist nicht weit, wo die Männer mit ihren Booten zum Fischfang rausfahren. In den Straßen ist Tag und Nacht was los, es wird Musik gespielt, und es riecht nach dem Essen, das im Freien verkauft wird: Kakao, Reis mit Erbsen, Mais ... Dort aufzuwachsen, hat mich sehr geprägt. Ich glaube, dass es zwei Möglichkeiten gibt, mit der eigenen Armut umzugehen. Entweder werden alle Ambitionen zunichte gemacht, weil man nur das für realistisch hält, was man kennt. Oder man kommt an den Punkt, an dem man alles dafür tut, diese Situation hinter sich zu lassen und ein neues Leben zu beginnen. Ich hatte das Glück, dass ein Freund der Familie mich bei sich aufgenommen hat, als ich 16 war. Er wurde mein Mentor und hat den Verlauf meines Lebens grundlegend verändert. Ich hatte ein bisschen Talent, aber in der falschen Umgebung und ohne die notwendige Unterstützung hätte ich daraus nie etwas machen können. Durch ihn habe ich verstanden, dass der einzige Unterschied zwischen mir und denen, die etwas geschafft haben, Bildung war. Intellektuelle Fähigkeiten. Heute bin ich meilenweit von meiner Vergangenheit entfernt. Ich leite Projekte, reise um die Welt, treffe Emmanuel Macron oder Angela Merkel. Ich mache Dinge, die für die Menschen in Jamestown unerreichbar erscheinen.

Über Bildung in Ghana

Wir haben ein sehr gutes Niveau, was die Grundbildung angeht. Seitdem es keine Schulgebühren mehr gibt, hat sich die Zahl der High-School-Absolventen nahezu verdoppelt. Das wahre Problem liegt auf der College-Ebene. Da oben geht die Qualität verloren. Das muss sich ändern. Außerdem müsste es eine Art Mentorenprogramm geben, das die Sicht ärmerer Ghanaer auf die Welt erweitert. Das Glück, das ich erfahren habe, müsste man institutionalisieren.

Über die Frage: Gehen oder bleiben?

Ghana steht, was den Human Development Index angeht, im afrikanischen Vergleich nicht so schlecht da. Wann immer eine Gruppe Migranten auf dem Weg nach Europa aufgegriffen wird, egal ob in der Wüste oder im Mittelmeer, sind darunter trotzdem signifikant viele Ghanaer. Warum? Da geht es um mehr als um ökonomische Faktoren! Sicher gibt es noch aus der Kolonialzeit eine gewisse Tendenz zur Migration, die bis heute nachwirkt. Außerdem verbreiten sich Fehlinformationen vor allem unter den jungen Leuten rasend schnell. Es herrscht generell der Eindruck, dass Europa spektakulär ist. Dass es da sicher ist und für alle Jobs gibt. Aber es existiert eben auch ein Gegennarrativ: Leute, die überhaupt nicht wegwollen und hier große Möglichkeiten sehen. Ich glaube, dass diese wachsende Anzahl an Menschen eine Kraft sein kann, um unser Land voranzubringen. Bisher wurde das leider international kaum wahrgenommen. Die einzige Beachtung findet Ghana in der Pop-Szene. Tracks aus den USA arbeiten mit Tönen und Rhythmen, die in unseren Straßen kreiert wurden.

Über die internationale Aufmerksamkeit

Die Ursache für die illegale Migration ist die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen. Dagegen wollen die europäischen Staaten vorgehen. Bisher haben sie vor allem mit den afrikanischen Regierungen zusammengearbeitet. Der Ansatz ist immer, einen Batzen Geld abzuladen und zu hoffen, dass das die Probleme löst. Mittlerweile wissen wir, dass das nicht funktioniert – über Jahre nicht funktioniert hat. Korruption war und ist das Kernproblem. Jetzt sehen die europäischen Staatschefs eine große Dringlichkeit darin, Alternativen zur Regierungsebene zu finden. Als Angela Merkel im August zu Besuch in Ghana war, habe ich mit ihr darüber gesprochen, was Deutschland tun kann, um Möglichkeiten für die jungen Menschen hier zu schaffen. Es könnte beispielsweise GIZ-Gelder für neue technische Ausbildungmöglichkeiten geben. Konkrete Versprechen gab es jedoch keine.

Über seine Vision

Wir wollen den Impact Hub ausweiten und in den nächsten fünf Jahren auf einer Fläche von einem Quadratkilometer ein ganzes Innovationsdorf mitten in Accra schaffen. Ein Ort, an dem Leute nicht nur arbeiten, sondern auch schlafen, essen und ihre Freizeit verbringen. Gerade sind wir dabei, zwölf Gebäude umzubauen. Bis zum Jahresende werden wir eine neue Fläche von 3600 Quadratmetern haben. Dann ist die Hälfte des Ziels erreicht. Finanziert wird das Ganze durch private Investoren. Aber wir arbeiten auch mit der Stadt zusammen. Unser Modell soll zeigen, was möglich ist, wenn man die Besten zusammenbringt. Wir wollen gut gebildete, global sichtbare, junge Menschen hier integrieren. Um die tausend Menschen, aus denen man in kürzester Zeit das meiste rausholen kann. Dass einige eine Elitisierung und Gentrifizierung fürchten, verstehe ich. Aber was in diesem Moment zählt, ist Effizienz. Danach können wir uns um den Rest kümmern. Wahrscheinlich will ich auch ganz persönlich erst zu diesem Punkt kommen, an dem ich sagen kann: Verdammt, das habe ich geschaffen! Danach kann ich Mentor sein und anderen helfen.

Protokolliert von Ann-Kathrin Hipp. Mitarbeit: Björn Rosen

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