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Sieht man schon: Es wird Regen geben in Cassis.

© Lukas Wittland

Reise-Nostalgie aus dem Fotoalbum: Weißt du noch, wie schön es war?

Oliven ernten in Griechenland, Eis schlecken in Italien, Nächte durchtanzen in London: Jetzt sind wir doch ganz froh, die alten Urlaubsbilder nie weggeworfen oder gelöscht zu haben.

Ach ja, sie versprechen Hoffnung auf andere Zeiten: Fotos aus vergangenen Urlauben. Die Hoffnung darauf, dass es mal wieder so wird wie beim Eisschlecken in Italien oder dem Pyramidenbesuch in Ägypten. So lange wir noch nicht verreisen sollen, verströmen Bilder Weltläufigkeit und erzählen von guten Erinnerungen. Acht Autoren haben sich an besondere Momente mithilfe ihrer Fotos erinnert.

Vor uns die Sintflut
Dunkle Wolken bedeuten sowohl sprichwörtlich als auch in der Realität nichts Gutes. Eigentlich hätte es uns eine Warnung sein sollen, als sich aus Westen eine schwarze Front heranschob und wir uns gerade aufmachten, den höchsten Punkt weit und breit zu besteigen. Man könnte es Doofheit nennen, ich schiebe es einfach mal auf unsere damalige Unbeschwertheit. Gemeinsam mit drei Freunden hatte ich mich 2013 nach dem Abitur mit einem Interrail-Ticket und viel Abenteuerlust in den Zug gesetzt. Eine Station unserer Tour durch Europa waren Frankreichs Klippen in Cassis.

Oben konnten wir noch kurz die Aussicht genießen und dieses Foto machen, dann prasselte erst der Regen auf uns herab, dann schlugen links und rechts Blitze ein. In dem Moment dachten wir nur, auweia, das ist hier gerade richtig brenzlig, und rannten den Berg herunter. Schneller war nur das Wasser, das die steilen Straßen herunterschoss, und die Autos, die an uns vorbeifuhren. Wir reckten im Laufen die Daumen heraus.

Zwei voll besetzte Autos mit französischen Rentnern hielten und bedeuteten uns, in den Kofferraum zu steigen. Sie fuhren uns bis zum Campingplatz. Dort fanden wir unser Zelt komplett geflutet vor. Den restlichen Tag verbrachten wir damit, unsere Sachen zu föhnen. Wie die vielen anderen Reisenden auf den Toiletten des Campingplatzes. Irgendwie muss ich lächeln, wenn ich daran denke. Lukas Wittland

Auf dem Weg zum Boyband-Ruhm in London.
Auf dem Weg zum Boyband-Ruhm in London.

© Ulf Lippitz

Dance the night away
Es muss der Tag danach gewesen sein. Als mein bester Freund und ich zum ersten Mal im „Popstarz“ waren, einem schwulen Club für Indie-Kids und Pop-Fans. In einem Raum spielten sie die Britpop-Hymnen von Suede, im anderen beste 80er-Jahre-Musik von Bananarama. Carsten und ich gingen gegen Mitternacht in den Laden, die anderen beiden Mitreisenden waren zu müde, zu wenig popbeflissen, um dabei sein zu wollen. Selber schuld. Wir tanzten bis vier Uhr morgens und kamen uns am nächsten Tag auf dem Doppeldecker wie die nächste große Boyband vor.

Oben zu sitzen, den Blick auf den Hyde Park gerichtet, dem Muff der Pension entronnen, das fühlte sich nach erstrebenswertem Leben an. Damals, im Dezember 1997, reifte der Wunsch: einmal in London zu leben. Was wir später taten, zu zweit in einer Sozialbauwohnung. Jeden Freitag gingen wir zu „Popstarz“, wurden bald als Stammgäste begrüßt. Wir hatten es geschafft. Als der Brexit vor der Tür stand, habe ich das Bild, in der Originaltasche vom Fotoladen, wiederentdeckt und gedacht: Diesen Traum können nachfolgende Generationen nicht mehr so leicht leben. Ulf Lippitz

Schmeckt nach Italien: das Eis in der Hand.
Schmeckt nach Italien: das Eis in der Hand.

© Amelie Apel

In un cono, per favore
Vor fünf Jahren fand ich eine verbeulte analoge Kamera von meinem Vaterauf dem Dachboden, mit der er schon meine Babyfotos in den 90er Jahren schoss. Seither begleitet sie mich jede Semesterferien um die Welt – ein Film, ein Urlaub. Wie Zeitkapseln speichern die Filmrollen meine Erinnerungen, anstatt von den 25 000 Aufnahmen auf meinem Handy begraben zu werden. Ligurien 2019: Das Eis in der Waffel steht für mich für ein Lebensgefühl und eine Urlaubsroutine.

Wenn es im Sommer in Italien so heiß ist, dass die Kugeln geschmolzen durch die Finger rinnen, esse ich die süße Abkühlung jeden Tag. Dann bestelle ich die immer gleiche Kombination aus Zitrone und Stracciatella, natürlich in der Waffel, nicht im Becher, und fühle mich wie eine wahre Italienerin, weil ich „in un cono, per favore“ sage.

Es ist aber nicht nur das Eis, das ich beim Anblick des Bildes vermisse. Italien macht für mich das Leben vor der Tür aus. Die Straßen sind belebt, ein Restaurantbesuch gehört zum Alltag dazu. Eine Sache, die mich sowohl die Pandemie als auch Italien gelehrt haben: Wir brauchen eine höhere Wertschätzung des Genießens. Dieses Frühjahr werde ich bei Einbruch der guten Temperaturen mit einem selbstgemischten Aperol Spritz auf dem Balkon sitzen, deutsches Dolce Vita sozusagen. Amelie Apel

Sprung in die Freiheit: Griechenland nach der Olivenernte.
Sprung in die Freiheit: Griechenland nach der Olivenernte.

© Marius Buhl

Sehnsucht und Oliven
Das Lustige ist, dass ich gar nicht mehr so viel weiß von diesem Foto. Wo genau es aufgenommen wurde? Kann ich nur schätzen. Versuche ich mich an den genauen Zusammenhang zu erinnern, gelingt es mir nicht. Stattdessen ist da nur diffuser Nebel, Erinnerungsfetzen, ein Gefühl. Es war im Dezember 2014. Mein Freund Moritz war für mehrere Wochen nach Griechenland gezogen. Er half dort einem Freund bei der Olivenernte.

Mich hatte er gefragt, ob ich für einige Tage dazu kommen wolle. Ich wollte. Entfloh der Kälte in Deutschland. Ankunft in Athen. Rau, wild, exzentrisch, an jeder Ecke schien sich ein Drama abzuspielen. Moritz und ich tranken einen Frappé nach dem nächsten. Wo genau? Weiß ich nicht mehr. Aber an den Geschmack des kalten, geschüttelten Instantkaffees, mit dem wir uns den Staub der Stadt aus dem Rachen spülten, kann ich mich genau erinnern.

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Von Athen fuhren wir runter in den Süden Griechenlands, nach Kalamata. Schüttelten Olivenbäume, befreiten dicht behangene Zweige von ihren Früchten, tranken Rotwein zum Mittagessen. Vage erinnere ich mich an einen gut gelaunten Alten namens Yanni. Nach einem gemeinsamen Tag im Olivenhain sagte er, ich sei bis an sein Lebensende willkommen in seinem Haus.

Irgendwann in diesen Tagen muss auch dieses Bild entstanden sein. Wir sind wohl mit dem Auto von Moritz’ Kumpel losgefahren, ans Meer bei Kalamata. Unterwegs entdeckten wir die Bucht. Sahen die Felsen, schätzten von oben die Wasserhöhe – und sprangen. Auf dem Bild ist mein Kumpel Moritz abgebildet. Ob ich es aufgenommen habe? Ob ich hinter ihm noch oben auf dem Felsen stehe? Kann ich nicht mehr sagen. Da ist nur dieses Gefühl: Sehnsucht. Marius Buhl

Coole Kid in Holland der 60er Jahre.
Coole Kid in Holland der 60er Jahre.

© Susanne Kippenberger

Posen für Pommes
Zandvoort aan Zee! Sechs Wochen Freiheit, Pommes und Trampolin am Strand. Der Pudding floss in Strömen, die Mayo auch. Da war der Preis, für unseren Vater zu posen, nicht zu hoch. Bergmann von Beruf, Künstler im Kopf, liebte er die Inszenierung. Der einzige, dem das Posen schon damals gefiel, ist mein Bruder Martin gewesen. Lässig steht er auf dem Bild – 1963, ’64, muss es gewesen sein, doch die Jahre verschwimmen, alle Sommerferien haben wir in Holland verbracht.

Zandvoort war nicht schön, aber praktisch. Knapp drei Stunden von zu Hause entfernt, dann einmal von der Wohnung über die Straße, und wir hüpften ins Meer, das eigentlich zu kalt und voller Quallen war, aber egal, wir haben es geliebt. Den ganzen Tag haben wir am Strand verbracht, wo der Nordseewind unsere geschwärzten Ruhrgebietslungen durchlüftete und unsere Mutter, Versorgerin einer siebenköpfigen Familie, im Liegestuhl das süße Nichtstun genoss.

Sie ließ sich von der Sonne braun braten, verschlang Buch über Buch und zwischendurch einen Matjes. Immer hatten wir Besuch, und am Freitagabend nach der Arbeit stieß unser Vater dazu, zog die Spendierhosen an und hängte sich die Kamera um. Glückliche Eltern = glückliche Kinder. Susanne Kippenberger

Irgendwie nichts besonders, und trotzdem besonders schön.
Irgendwie nichts besonders, und trotzdem besonders schön.

© Katja Demirci

Gestrandet in Cirali
Der Strand hatte uns gelockt, im Sommer 2013: klares Wasser, rechts und links der Bucht hohe, grün bewachsene Felsen. Eine Stunde Fahrt von Antalya Richtung Westen, immer entlang der Küste, dann zehn Minuten Serpentinengeschlängel abwärts, dort liegt das Örtchen Cirali. Es gibt ein paar Pensionen – und am Ende des Strandes, am Berg im Wald gelegen, die Ruinen einer antiken Stadt, ein späteres Piratenversteck.

Für zwei Wochen fielen wir aus der Zeit. Wir trafen Walter aus Bayern. In den 70er Jahren aufgebrochen, um seinen Bruder in Australien zu besuchen, kam er nicht weiter als Cirali. Walter, der erzählte, wie er mit Harry Belafonte am Strand von Jamaika sang, der ein Foto von sich und Elvis hütete. Moni aus Österreich, die ihren Fritz nicht heiraten wollte, weil die zwei Männer, die sie zuvor geheiratet hatte, je kurz darauf gestorben waren: Fenstersturz, Autounfall. Das fahrende Artistenpärchen aus Frankreich. Der Abgeordnete aus Ankara und seine Affäre.

Die alle umarmende Pensionsbesitzerin Aynur und ihr sprechender Papagei Coco. Wir ließen uns von der Hitze durch die Tage schaukeln und von Walters unglaublichen Geschichten durch die Nächte. Fotos knipsten wir mit einer billigen Fertigkamera. Sie zeigen nichts. Wie zauberhaft. Katja Demirci

Wege übers Land in Bolivien.
Wege übers Land in Bolivien.

© Janina Martens

Gemeinsam schaffen wir das

Die wilde Landschaft zieht vorbei, Bananenpflanzen, Bambus – alles wie in Zeitlupe. Es ist Mai 2018, ich sitze in einem Bus im Tiefland Boliviens, auf dem Weg nach Rurrenabaque. Die Straßen sind keine, der Bus wankt mühsam durch den Schlamm. Es ist heiß, meine 2-Liter-Flasche ist schon wieder leer. Im Fernsehen flimmert ein alter Western, ich döse ein, ich wache auf, es ruckelt, ist stickig. Die Stunden vergehen.

Plötzlich halten wir an. Ein Fluss ist zu überqueren. Alle aussteigen! Die Erlösung für mich; ich kaufe mir am Flussrand Limonade. Der Weg führt geradewegs ins Wasser, ich sehe keine Brücke. Dann taucht „Don Tito II“ auf, die Fähre: ein aus Holzplanken gezimmertes Floß. Jemand schaufelt etwas Erde aus dem Weg, der Bus holpert auf das große Floß. Wir folgen.

Ein winziges Boot mit Außenbordmotor schiebt die Fähre von hinten an. Die anderen Passagiere wirken unbeeindruckt, ich staune. Es ist ein echtes Staunen, ich bin sogar sprachlos. Denke: Es führen wirklich viele Wege zum Ziel. Wobei: An diesem Tag kommen wir nicht mehr in Rurrenabaque an. Der Bus bleibt wenig später im Schlamm stecken. Macht nichts, wir ziehen und schieben gemeinsam. Janina Martens

Nur Herzlose können sich der Magie von Pyramiden entziehen.
Nur Herzlose können sich der Magie von Pyramiden entziehen.

© Moritz Honert

Kosmos Kairo
Es war 2005, ich war fertig mit dem Studium und sicher, einen schweren Fehler begangen zu haben. Was hatte ich mir nur gedacht? Neun Monate allein mit dem Rucksack um die Welt ... Doch was hieß Rucksack? Damit ging es ja schon los. Den hatte die Lufthansa irgendwo zwischen Berlin und Kairo verloren, und so saß ich ohne Gepäck, erfüllt von Panik und Reue in diesem Abbruchhotel am Tahrir-Platz und war schon am ersten Abend den Tränen nahe.

Naja, irgendwann brachte ein Taxifahrer das Gepäck vorbei, und meine Reise, die mich durch die arabische Welt, Asien, Mittel- und Nordamerika führte, stellte sich dann doch noch als sehr schöne Erfahrung heraus. Eines der bewegendsten Erlebnisse hatte ich gleich zu Beginn, als ich die Pyramiden von Gizeh besuchte. Ich bin wahrlich kein spiritueller Mensch, aber im Schatten dieser gewaltigen Bauwerke, überkam auch mich ein Gefühl für die Unbegreiflichkeit des Kosmos.

Ganze Tage habe ich damals dort zugebracht. Wenn ich heute, 15 Jahre später, die Fotos betrachte, durchfährt mich noch die Demut jener Stunden. Und die bleibende Erkenntnis: Manches Große ist nur zu haben, wenn man sich durchbeißt. Das Foto liegt mit rund 1500 anderen, bis heute unsortierten Bildern auf einer externen Festplatte in meiner Schreibtischschublade. Moritz Honert

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