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Reisebücher & Reiseführer

Verblüffende Welt

Heutzutage kommt der Tourist fast überall hin. Doch an Ort und Stelle bekommt er oft nur einen oberflächlichen Eindruck, verharrt vor den Fassaden, bleibt unwissend. Reporter mit Zeit (und Geld) für Recherchen haben andere Möglichkeiten. Wie viel Spannendes sie zu berichten haben, ist einer Sammlung von 15 Geschichten für National Geographics zu entnehmen, die die Leser quer durch die Welt führen. „Moskau bei Nacht“ heißt zum Beispiel eine Story, die jene Clubs porträtiert, vor denen Bentleys und Lamborghinis parken. Drinnen treffen sich „die neuen Herren über Öl, Nickel und Erdgas“, in Begleitung von Frauen, „die so schön und stumm sind wie Gepardinnen an der Leine“. Am Jaroslawler Bahnhof hingegen gibt es keinerlei Glanz. Hier ist „die Nacht der Wodkazombies, Prostituierten und Jugendbanden“. Wodka hält die russische Seele zusammen. Der Maler German Winogradow gibt einem Landschaftsbild mit der Lötlampe ein verwittertes Aussehen. Zu Sowjetzeiten war er ein Oppositioneller. „Doch heute“, sagt er, „ist nichts mehr tabu.“

In China wird weniger getrunken, in China herrscht ein anderer Wahnsinn. In atemberaubender Geschwindigkeit werden neue Industriegebiete erschlossen und Produktionshallen errichtet, für die es weder Architekten noch Bauzeichner gibt. In Lishui dauert die Planung einer Fabrik nicht mal zwei Stunden. Bald wird der Ort aussehen wie Wenzhou, in dem heute ein Viertel aller in China verkauften Schuhe hergestellt werden und 70 Prozent aller weltweit verkauften Feuerzeuge. Wer eine gute Geschäftsidee hat, muss sich sputen, um damit Geld zu verdienen. Denn was gut ist, wird sofort kopiert – und billiger angeboten. Damit Massenproduktionen in China Profite abwerfen, gilt, etwa in Lishui, die Devise: „Jeder arbeitet für zwei; zwei Tage Arbeit werden in einem erledigt.“

Vom aufgeregt-modernen China ins archaische Afrika: Das Volk der Hadza im Buschland von Tansania lebt als Jäger und Sammler. Genau wie ihre Ahnen vor 10 000 Jahren. Das Jetzt gilt. Über das Morgen machen sie sich keine Gedanken.

Die gelungenen Reportagen sind mit brillanten, ungewöhnlichen Fotos illustriert. Da kann man der Welt auch als Leser sehr nahe kommen. Hella Kaiser

Erwin Brunner (Herausgeber): Das Fenster zur Welt. Die besten National Geographic-Reportagen. Malik im Piper Verlag, München 2011, 400 Seiten, 14,95 Euro

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