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Hoppla, jetzt komm’ ich. Wie seinen 216 Artgenossen im Reservat wird auch diesem selbstbewussten Dickhäuter kein Leid geschehen. Wildhüter bewachen Majete rund um die Uhr.

© Helge Bendl

Safari in Malawi: Da ist was im Busch

Wilderer plünderten vor Jahren Malawis schönstes Reservat. Die Aktion Arche Noah holte viele Tiere zurück. Inzwischen haben mehr als 5000 Tiere im Majete Schutzgebiet wieder eine Heimat gefunden.

In Deckung gehen, still sitzen, abwarten. Alles ist gutgegangen bis jetzt, aber jede schnelle Bewegung könnte bedeuten, dass zum Schluss doch noch alles misslingt. Geduckt und reglos kauern wir im Majete Wildlife Reserve von Malawi auf der Pritsche des Geländewagens. Verpfiffen von den Lärmvögeln in den Akazien, die uns, die Amateure der Tarnung, natürlich längst entdeckt haben und nun ihr Möglichstes tun, den ganzen Wald mit penetrantem Quäken zu warnen. Eine lange halbe Stunde passiert – nichts. Gerne würde man einmal kurz den Rücken strecken oder zumindest die Fliege erschlagen, die einem penetrant um die Nase kreist. Stattdessen hocken wir wie versteinert und wagen nicht, uns zu rühren: Überraschungen mag kein Lebewesen im Busch. Schon gar nicht die Tiere, die gerade aus ihrer Betäubung erwachen.

Shire sieht die neue Heimat zuerst. Ihr linkes Ohr zuckt, ihre Lider öffnen sich für einen Wimpernschlag. Noch ein Blinzeln, dann ist die Löwin plötzlich munter: Sie richtet sich auf, leckt ihre Pranken, schaut sich um. Neben ihr wird nun Sapitwa wach, ein muskulöser Kerl, an dessen Wangen schon eine imposante hellbraune Mähne wächst. Schließlich bewegt sich auch Chimwala, das andere Männchen. Vor den Raubkatzen liegt die Versuchung: eine tote Antilope, heute Morgen geschossen für diesen entscheidenden Augenblick. Jetzt sind die Tiere nicht mehr eingesperrt in ihrem Quarantänegehege. Werden sie ein Rudel bilden? Oder werden sie sich trennen? „Fresst“, murmelt Tierarzt André Uys beschwörend, er kann sich nicht mehr beherrschen, „fresst, verdammt noch mal.“ Bernsteinfarbene Augen suchen die Umgebung ab, bleiben am Auto hängen, fokussieren die Menschen. Nur Löwen schauen einen so an, mit einem Blick wie ein Dolchstoß.

Sapitwa steht auf, schnuppert, macht ein paar ungelenke Schritte. Er ist bei der Antilope: Es ist frische Beute, ein großes Impalamännchen, und er hat Hunger. Die anderen Löwen folgen ihm. Knochen knacken, Schnauzen färben sich rot. „Geschafft“, seufzt der Veterinär. Alle Anspannung fällt von André Uys ab, mit einem Grinsen quittiert er den Erfolg. Der Südafrikaner hat in seiner Karriere schon viele hundert Löwen betäubt und wieder aufgeweckt. Trotzdem hat er sich stundenlang im Bett herumgewälzt in der vergangenen Nacht, weil er nicht einschlafen konnte.

Wer Fell oder Fleisch wollte, hat sich bedient

Shire, Sapitwa und Chimwala, eingeflogen aus verschiedenen Wildreservaten in Südafrika, sind schließlich nicht irgendwelche Raubkatzen. Die aufwendige Umsiedlung ins Majete Wildlife Reserve ist das letzte Puzzleteil einer Aktion Arche Noah. Nun hat Malawi, das von Wilderern geplünderte Land im Südosten Afrikas, nach vielen Jahrzehnten wieder ein Schutzgebiet, in dem die „Big Five“ zu Hause sind – Elefant und Nashorn, Büffel, Leopard und Löwe.

„Majete wurde 1955 gegründet. Damals muss es ein echtes Juwel gewesen sein. Besucher aus der ganzen Welt kamen nach Malawi, um hier auf Safari zu gehen“, erzählt Parkmanager Patricio Ndadzela. Durch den lichten Miombowald, über die kleinen Savannen und durch das dornige Dickicht am Fluss Shire hüpften viele tausend Antilopen. Die Wildhüter zählten mehr als 200 Elefanten und kannten die Reviere der seltenen Spitzmaulnashörner. Das Reservat war berühmt für große Büffelherden. Hyänen, Leoparden und Löwen streiften durch den Busch und machten reiche Beute. Voll Wehmut blättert Patricio Ndadzela in den Unterlagen seiner Vorgänger. „Da! Wildhunde! Sogar die gab es in Majete.“

Abenteuerlich. Eine Hängebrücke führt zur Mkulumadzi Lodge im Wildlife Reserve.
Abenteuerlich. Eine Hängebrücke führt zur Mkulumadzi Lodge im Wildlife Reserve.

© Helge Bendl

Doch dann wurde Malawi seines Juwels beraubt. In den 1980er und 90er Jahren plünderten Wilderer das Reservat. Die Elfenbeinjäger waren organisiert, hatten Sturmgewehre und ausreichend Geld in der Tasche, um Helfer in den Dörfern der Umgebung für die Drecksarbeit bezahlen zu können und Behörden in der Hauptstadt fürs Wegsehen. „Ein ungleicher Kampf: Die Wildhüter waren schlecht ausgebildet, demoralisiert und miserabel ausgerüstet: Mit simplen Gewehren aus dem Zweiten Weltkrieg hatten sie keine Chance gegen die Kalaschnikows der Wilderer“, sagt Anthony Hall-Martin, einer der bekanntesten Ökologen Afrikas und Mitbegründer der Naturschutzorganisation African Parks. „Erst waren die Elefanten und die Nashörner dran. Am Ende wurde auf alles geschossen, was sich bewegte: Wer ein Fell wollte oder Fleisch, hat sich bedient.“

Die Einnahmen des Reservats gingen zurück, weil die Touristen wegblieben. Es gab nur noch Grün zu sehen im Busch: Im Jahr 2003 zählte man auf den 700 Quadratkilometern von Majete noch 23 Antilopen sowie einige wenige Krokodile und Flusspferde. „Das hätte das Ende von Majete sein können. Stattdessen war es der Neuanfang“, sinniert Parkmanager Patricio Ndadzela.

Raubkatzen werden wieder ein Gleichgewicht herstellen

Betäubte Löwen beißen nicht.
Betäubte Löwen beißen nicht.

© Helge Bendl

Malawis Regierung holte die Experten von African Parks ins Land und übertrug der Organisation das Management des Reservats. Sponsoren haben seither mehr als zwölf Millionen Dollar gespendet, um Majete wieder in ein echtes Schutzgebiet zu verwandeln. Erst wurde ein Elektrozaun errichtet, den Wildhüter rund um die Uhr bewachen. Sanfter Druck (und das Versprechen, keine Ermittlungen einzuleiten) führten dazu, dass die Bewohner der Dörfer in der Umgebung des Parks fast 500 Gewehre ablieferten, mit denen sie früher im Reservat illegal auf die Jagd gegangen waren.

2000 selbst gebastelte Fallen aus Draht und 300 schwere Fangeisen aus Metall wurden konfisziert. Viele der 120 festen Angestellten kommen aus der Umgebung – das Reservat bringt Geld in die Region. Schulen werden unterstützt und Dorfkliniken gebaut. Gewildert wird kaum noch. Obwohl es wieder reichlich Beute gäbe.

„African Parks hat mehr als 2500 Tiere aus anderen Reservaten umgesiedelt. Die Elefanten kamen aus Malawi, viele Tiere waren aber auch Geschenke aus Sambia und Südafrika“, sagt Patricio Ndadzela. Beispiele gefällig? Er betet die Zahlen der afrikanischen Aktion Arche Noah mit einem Lächeln herunter. „217 Elefanten. 306 Büffel. 174 Zebras. 352 Rappenantilopen. 402 Wasserböcke. 59 Nyalas. 77 Elenantilopen. 737 Impalas. Acht Spitzmaulnashörner. Sechs Leoparden. Und jetzt zum Schluss die drei Löwen.“ Inzwischen gibt es in Majete mehr als 5000 Säugetiere, weil die sich in den vergangenen zehn Jahren munter vermehrt haben. Jetzt werden die Raubkatzen wieder ein Gleichgewicht herstellen.

Brüllende Neuigkeiten

Hier im Süden Malawis, wo der Fluss Shire über Stromschnellen und Kaskaden tosend dem Sambesi entgegenstürzt, gab es schon vor 150 Jahren derart viele Tiere, dass ein schottischer Entdecker und Missionar zur Flinte griff, um seinen Proviant aufzustocken. David Livingstone suchte verzweifelt nach einer mit Dampfschiffen befahrbaren Route ins Herz Afrikas. Am Sambesi hatte er bereits umkehren müssen. Dann stand er dort, wo sich der kleine Fluss Mkulumadzi in den Shire ergießt, und musste erneut sein Scheitern eingestehen – die Kapichira-Wasserfälle waren unbezwingbar.

„Es donnerte und goss in Strömen, aber wir errichteten kein Camp“, notierte er enttäuscht. Heute schlafen Touristen an exakt dieser Stelle komfortabler: Im Schatten wilder Mangobäume liegen die acht Luxuschalets der Mkulumadzi Lodge. Betreiber Robin Pope Safaris bezahlt für seine Konzession Gebühren an die Verwaltung des Majete Wildlife Reserve und hat auch 50 000 Dollar für die Umsiedlung der Raubkatzen gespendet. „Der Busch braucht die Löwen“, sagt Guide Samuel Chihana. „Und wir brauchen sie für unsere Gäste.“

Am folgenden Morgen um fünf Uhr sitzen wir wieder im Geländewagen. Eine Herde Elefanten zieht zum Shire: Kühe und ihre Jungen baden gemeinsam, die mächtigen Bullen halten sich abseits. Ein einsamer Büffel schaut scheinbar melancholisch zu. Dann geht es hinein in den Busch, denn der Guide hat frische Pfotenabdrücke erspäht. Kreuz und quer sind die Katzen anscheinend gelaufen, ziellos hin und her. Doch dann führt die Spur zu einem Wasserloch. Versteckt zwischen zwei Felsen genießen die Löwen die Morgensonne. „Nicht schlecht“, sagt Samuel Chihana, „sie können und wollen jagen.“ Nebenan liegt ein getöteter Riedbock.

Ein Sender am Halsband übermittelt den Wildhütern regelmäßig die Position der Löwen. Allem Anschein nach leben sie sich gut ein, bleiben zusammen. Einige Zeit nach unserer Abreise schickt der Campmanager von Mkulumadzi eine E-Mail. In der Betreffzeile steht: „Brüllende Neuigkeiten!“ Angehängt sind Bilder von Shire, Sapitwa und Chimwala. Und zwei Löwenbabys.

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