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Reise: An der Theke des Lebens

Die Münchstettners, ein bayerisches Paar, machen Urlaub in den USA. Irgendwo zwischen Disneyland und Las Vegas.

Die Münchstettners, ein bayerisches Paar, machen Urlaub in den USA. Irgendwo zwischen Disneyland und Las Vegas. In der Nähe von Bagdad, einem Fliegenschiss auf der Landkarte, kommt es zum Showdown. Er jagt den Mietwagen gegen einen Telefonmast, sie reißt ihm die stinkende Zigarre aus dem Mund und wirft sie aus dem Fenster. Dann steigt sie aus und trottet von dannen, die Landstraße entlang.

So beginnt „Out of Rosenheim“, in der englischsprachigen Fassung „Bagdad Café“, ein Film des Münchners Percy Adlon über eine Bayerin, die sich plötzlich allein in der Mojave-Wüste wiederfindet, über ein kleines Café und deren Besitzerin, über die Freundschaft der beiden ungleichen Frauen. Und über die seltsamen Menschen, die an diesem abgelegen Ort vor sich hin leben. „Out of Rosenheim“ war 1987 ein Kinoerfolg auf beiden Seiten des Atlantiks – das ist selten genug.

Die Straße, über die Jasmin Münchstettner, gespielt von Marianne Sägebrecht, stöckelt, ist die legendäre Route 66. Die historische Route 66, um genau zu sein, denn der Verkehr gen Westen schiebt sich längst über eine parallel verlaufende Autobahn, die Interstate 40. Schnurgerade zieht sich Route 66 durch eine karge Ebene. Der fauchende Wind wirbelt Staub auf. Im Sommer klettert das Thermometer auf 50 Grad und mehr, in Winternächten sinkt es auf klirrende Minusgrade.

Das Bagdad Café aus dem Film steht in der Nähe von Newberry Springs, einem Ort am Rand der Mojave-Wüste. Von außen sieht es noch so aus, wie Percy Adlon es vor 25 Jahren vorgefunden haben muss; ein windschiefes Holzhaus, rostrot, mit weit überstehendem, asymmetrischem Schindeldach. Das Interieur aber hat sich verändert: Die längliche Theke ist mintgrün statt nussbraun, Leichtmetallstühle mit Sitzflächen aus Kunstleder, hellblau die einen, purpurrot die anderen, haben die Barhocker aus dem Film ersetzt. An den Wänden Werbeplakate aus den 50er Jahren, der Dekade, als die Welt für Amerika noch in Ordnung war. Der Nebenraum ist dem Film gewidmet, mit Fotos vom Set, von den Schauspielern und dem Regisseur. Dazwischen Visitenkarten von Besuchern aus aller Welt.

Es ist morgens, kurz vor acht. Drei vierschrötige Männer sitzen schweigend an der Theke. Gilbert, der Kellner, bringt Kaffee, dünn wie in den USA üblich – im Film ist das ein Running Gag, ein immer wiederkehrender Witz. Dazu Eier mit Speck und Kartoffeln. Gilbert hat graue, millimeterkurze Haare und steckt in einem fleckigen T-Shirt. Gilbert hat lange bei seiner Mutter gelebt. Nach deren Tod wusste er nicht wohin. „Bis Andrée mir einen Wohnwagen hinterm Bagdad Café als neue Bleibe besorgt hat. Dann habe ich angefangen, hier zu arbeiten. Und seitdem bin ich hier.“

Vier Jahre ist das her, und Andrée, Gilbert deutet auf eine Frau mit blonder Helmfrisur, ist wie eine Mutter zu ihm. Nicht nur für ihn. Auch für Shaggy und Jamaica, die in der Küche ihren Dienst verrichten. Shaggy ist ein Schlacks mit langen Haaren und verkehrt herum aufgesetztem Käppi – ein Engländer, das sagt er jedenfalls selbst, wenn er denn mal redet. Jamaica ist ein Schwarzer mit Rastalocken, ursprünglich von der Karibikinsel St. Croix – und ähnlich verschlossen. Gestrandete wie Gilbert und wie Jasmin Münchstettner im Film.

Andrée schüttelt missbilligend den Kopf: „Gestrandet würde ich nicht sagen, sie erfinden sich neu.“ Andrée Pruett trägt quittengelbe Turnschuhe zum lilafarbenen Fleece-Anzug. Ihr gehört das Bagdad-Café. Wie sie hierher gekommen ist ... Andrée holt tief Luft, das hat mit einer Idee zu tun, wie sie nur Männer haben können, in diesem Fall: ihr Mann. „Er wollte hier draußen Strauße züchten. Ist nicht so gelaufen. Ein Makler hat uns das Café gezeigt. Ich sagte nur: ,Verschwende keinen Gedanken daran, Harold‘...“

Damals hieß das Restaurant Sidewinder Café und wechselte im Jahrestakt den Besitzer. Andrée hat es umbenannt. Neben Burgern und Sandwiches bietet sie Souvenirs an, T-Shirts, Tassen, Stifte mit dem Schriftzug „world-famous Bagdad Café“ und dem Emblem der Route 66.

Mittags im Bagdad Café. Viel ist nicht los. Ein paar Einheimische verzehren ihr Mittagessen. Am Resopaltisch direkt neben dem Eingang sitzt Brad, ein kleiner Mann mit akkurat gestutztem Vollbart. Vor sich auf dem Tisch hat er einen Stapel Flugblätter. „Wir holen ihr Altmetall und ihr Altglas ab – gratis.“ Die Zettel will Brad im Bagdad Café auslegen.

Brad ist Künstler, mit seinem Lebenspartner Jay Allen formt er aus Schrott Tiere, Engel, Autos. Vor zwei Wochen sind sie angekommen. Sie schlafen in ihrem Auto und arbeiten in einem Container, der – Gott weiß warum und wie lange schon – hinterm Bagdad Café steht. Andrée Pruett hat ihn den beiden Männern überlassen.

Und dann ist da ein altes Motel, ein Schmuckstück, wenn man es mit den richtigen Augen betrachtet, mit Brads Augen. Brad und Jay Allen haben große Pläne: Aus dem Motel soll eine Galerie werden, und um das Bagdad Café eine Künstlerkolonie entstehen, wie in vielen Geisterstädten in Kalifornien und Arizona. Natürlich, räumt Brad ein, braucht man ein bisschen Fantasie, sich eine Galerie an diesem Ort vorzustellen. Viel Fantasie sogar: Das Dach ist eingestürzt, und auch sonst stehen nur noch ein paar Außenwände.

Nachmittags im Bagdad Café. Ein Touristenbus ist vorgefahren, voller Franzosen. Gilbert hastet zur Musikbox und wählt zwei Songs aus dem Film aus, „Calling You“ und „Brenda Brenda“ – die Gäste sollen stilecht begrüßt werden, à la „Out of Rosenheim“. Jamaica legt seine Schürze ab. Mit Andrée und Gilbert verkauft er Souvenirs. In der Hochsaison im Frühjahr und Herbst machen pro Tag bis zu 20 Busse hier Station. Auf dem Weg von Las Vegas oder dem Grand Canyon nach Los Angeles gibt es sonst nichts.

Eine halbe Stunde später sind zwei Dutzend T-Shirts verkauft, jede Menge Hamburger verzehrt, mit und ohne Pommes, etliche Liter Kaffee getrunken. Im Bagdad Café kehrt wieder Ruhe ein. Zwei Einheimische kleben an der Theke, Eric und Brian. Beide sind Farmer, beide bauen Pistazien an. Für die Steinfrüchte ist die Gegend um Newberry Springs bekannt. Jedes Jahr, kurz nach der Novemberernte, findet ein Festival statt, nun schon seit 15 Jahren. Und der kleine Ort in der Mojave-Wüste schmückt sich mit dem Beinamen „pistachio capital of the world“.

„Dass Pistazien hier so gut gedeihen, liegt am sonnigen Wetter“, presst Eric hervor, „das ist wirklich unschlagbar.“ „Besser als an der Küste“, ergänzt Brian. „Fahr’ ich eh nicht hin“, antwortet Eric. Eric und Brian sind Stammgäste im Bagdad Café, sie kommen täglich nach der Arbeit. Wegen des guten Essens, sagt Brian. Und wegen Andrée Pruett. „Sie ist eine nette Lady“, schwärmen die beiden.

Andrée tänzelt herbei, in der Hand eine Klarsichtmappe. Ein Drehbuch. Ihr Drehbuch. Eigentlich ist sie ist aus Hollywood ... Andrée lässt das magische Wort nachhallen. Ihr Sohn Harold Jr. war Schauspieler, ein Teeniestar, sie hat ihn gemanagt, bis zu seinem Tod. Der goldene Schuss, eine Überdosis Heroin. Ein paar Monate später starb ihr Mann. Dann 9/11, die Anschläge auf World Trade Center und Pentagon und der folgende Absturz der amerikanischen Wirtschaft. Drei Schicksalsschläge binnen wenigen Monaten. Mehr als einmal hat Andrée Pruett darüber nachgedacht, das Bagdad Café aufzugeben. „Aber dieser Ort“, sagt sie, „hat etwas Magisches. Und die Wüste macht einen stark.“

Andrée schlägt das Drehbuch auf. Es handelt von „einer schillernden Dame“ und dem Bagdad Café. „Und vom Auf und Ab des Lebens.“ Mit ihrem Drehbuch hat sich Andrée Pruett ein Denkmal gesetzt – warum auch nicht. Und sie hat es gleich in verschiedene Sprachen übersetzen lassen – irgendwo auf der Welt wird sich schon ein Produzent finden, der ihre Geschichte auf die Leinwand bringt. Okay, traditionellen Sehgewohnheiten läuft das Skript zuwider: zu viele Personen, zu wenig Handlung. Aber, kontert Andrée, so ist es nun mal in der Wüste: Menschen kommen und gehen, und das Leben verstreicht ereignisarm.

Abends ist die Belegschaft des Bagdad Café unter sich, nur Brad und Jay Allen, die beiden Künstler, habe sich dazugesellt. Im Film ziehen Brenda und Jasmin im Restaurant eine Kleinkunstshow auf, zur Unterhaltung der Trucker, die hier jeden Tag vorbeikommen. Ein Geheimtipp am Rande der Straße. „Etwas Ähnliches müsste doch auch hier, im echten Bagdad Café möglich sein“, begeistert sich Jay Allen. Andrée nickt. Ein richtiges Happy End, wie im Film – das wär’s.

Fortsetzung von Seite R1

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