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Architektur: Schräg kommt an

Auch Städte ohne historische Attraktionen wollen Touristen – und setzen auf moderne Architektur.

Schlösser, Burgen, denkmalgeschützte Innenstädte – das sind die klassischen touristischen Attraktionen. Hat eine Stadt nicht das Glück, über genügend historische Ziele zu verfügen, schafft sie neue Attraktionen. Paradebeispiel ist das 1997 eröffnete Guggenheim-Museum in Bilbao, dessen vom Stararchitekten Frank O. Gehry entworfene spektakuläre Hülle bis heute Millionen von Besuchern aus aller Welt anzieht. „Je teurer und verrückter, desto mehr steht ein Einzelobjekt noch vor seiner Vollendung im Fokus, wie etwa die Elbphilharmonie in Hamburg. Die Folge ist, dass die politisch Verantwortlichen überall aufschreien: ,Das brauchen wir auch‘ “, sagt Felizitas Romeiß-Stracke.

Die Professorin an der Architektur-Fakultät der TU München hält von solchen ins Auge fallenden Einzelbauten berühmter Architekten wenig: „So ein Gebäude ist meist egoistisch und ignoriert seine Umgebung. Ein Solitär kann nichts ausrichten, wenn er in ein Viertel ohne besondere Qualität platziert wird.“ Romeiß-Stracke geht vor allem mit dem Herforder Kunstmuseum MARTa von Frank O. Gehry hart ins Gericht: „Herford kennt doch keine Sau!“

Als positives Beispiel betrachtet sie das kürzlich eröffnete Meeresmuseum Ozeaneum im von Backstein geprägten Stralsund, dessen Proportionen nicht die benachbarten Bauten erdrückten. Stefan Behnisch, Architekt des Ozeaneums, erinnert an die Probleme zu Beginn der Planung in der Weltkulturerbestadt: „Viele wollten anfangs Backsteinspeicher. Doch die von uns realisierte Form, mit der wir an Kieselsteine aus dem Wasser erinnern, ist trotz des großen Kontrastes positiv aufgenommen worden. In Kleinstädten ist man offener für zeitgenössische Architektur. In Berlin oder Stuttgart hätten wir unsere Vorstellungen nicht durchsetzen können.“

Einen ganz anderen Weg geht die österreichische Tourismusregion Voralberg. Dort hat man in den vergangenen zehn Jahren beim Um- und Neubau von Hotels und Restaurants einzigartige Gebäude geschaffen, die den traditionellen Baustil der Region mit zeitgenössischen Kunstrichtungen kombinieren und in die Berglandschaft einpassen. „Holz spielt als Material eine zentrale Rolle. Es verkörpert einen wichtigen Industriezweig der Region und symbolisiert für den Gast hohe Qualität, die ihn hier erwartet. Alle Tourismusbetriebe, die in Architektur investiert haben, sprechen von deutlichen Umsatzzuwächsen“, sagt Brigitte Plemel, stellvertretende Direktorin bei Voralberg Tourismus.

Eine gewachsene Landschaft, deren Reiz durch die Architektur unterstrichen wird – davon kann man im 120 000 Einwohner zählenden Bremerhaven nicht sprechen. In die von Industrie geprägte Hafenstadt verirrte sich bis vor kurzem kaum ein Gast. Das soll sich nun ändern. Das gerade in Bremerhaven eröffnete Klimahaus, hinter dessen futuristischer Gebäudehülle Besucher eine einzigartige Reise durch die Klimazonen der Welt unternehmen können, ist Teil einer von der öffentlichen Hand mit mehr als 100 Millionen Euro finanzierten Umstrukturierung einer 16 Hektar großen Fläche am Hafen. „Die US-Armee ist weg, die Hochseefischerei liegt darnieder, die Werften sind zusammengebrochen, wir hatten 25 Prozent Arbeitslosigkeit. Da redet man nicht mehr über Architektur, sondern wie man Arbeitsplätze schafft“, sagt Jürgen Adelmann, Geschäftsführer der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung. Er fügt hinzu: „Entscheidend ist, was den Menschen gefällt. Das Klimahaus wird positiv aufgenommen, das zählt.“ (siehe Seite R 4)

Zum Konzept gehört ein 23-stöckiges Hotel, von dessen Spitze Besucher gegen Eintritt ihren Blick über die Nordsee schweifen lassen können, das Deutsche Auswandererhaus an der einstigen Stätte der Migration von Deutschen vor 100 Jahren, ein neues Einkaufszentrum sowie die weitgehende Einbeziehung des Hafengeländes, das früher nicht zugänglich war. „Wir haben fast alles fertig, jetzt müssen nur noch die Touristen kommen und auch hier übernachten“, sagt Adelmann, der stolz auf die Senkung der Arbeitslosigkeit auf heute 15 Prozent durch die bereits in Betrieb befindlichen Attraktionen verweist.

Sind Touristen überhaupt an Architektur interessiert? Romeiß-Stracke schätzt nach Auswertung verschiedener Studien, dass jeder dritte Urlauber durch gute Architektur ansprechbar ist. Als Beispiel dient ihr die Entwicklung im Harz. Während in Niedersachsen die Übernachtungszahlen immer weiter zurückgehen, steigen sie in Sachsen-Anhalt stetig an. „Die Leute stimmen mit den Füßen ab. Im Westen herrscht noch der Charme der 70er Jahre, der Standard ist oft niedrig und die Häuser sind gesichtslos. Im Osten wurde gerade in den Fachwerkstädten viel Geld investiert, dort kann man moderne regionale Baukultur ohne Kitsch erleben“, sagt Romeiß-Stracke. Übernachten an historischen Orten wie Bauernhäusern mit Reetdach, Bürgerhäusern, Mühlen oder Leuchttürmen, das sei gefragt.

„Ein neues Museum, ein Fünf-Sterne- Hotel und ein Wellness-Tempel“ – so lautet dagegen nach ihren Erfahrungen das Rezept vieler Tourismusmanager in Bayern gegen rückläufige Übernachtungszahlen. Romeiß-Stracke: „Das gibt es doch schon überall. Viel wichtiger als einzelne Highlights ist ein geschlossenes bauliches Ambiente, das sich von dem unterscheidet, was man von zu Hause kennt – und wo sich Gäste wohlfühlen.“

Joachim Göres

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