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Magnet aus Stein. Die Mauer bei Badaling, nicht weit von Peking entfernt, ist fester Bestandteil jeder China-Rundreise. Foto: AFP

© AFP

China: Gedrängel und Graffiti an der Chinesischen Mauer

Vollmondpartys, Fastfoodverpackungen, Vernachlässigung: Die Chinesische Mauer ist bedroht und stellt die Behörden vor ein Problem: Wie können Sie das Weltkulturerbe schützen?

Die Technoparty bei Vollmond vor malerischer Kulisse war zumindest für die Teilnehmer ein voller Erfolg. Unzählige leere Gin- und Whiskyflaschen sowie zerfledderte Fastfoodverpackungen zeugen davon: Sie verschandeln den Weg auf der Chinesischen Mauer in Badaling, etwa 60 Kilometer von Peking entfernt. Seit Jahren leidet die majestätische Schönheit des Jahrtausend-Bauwerks unter dem Vandalismus ihrer Besucher und Vernachlässigung. Die Behörden stehen vor einem Problem: Wie können sie das Unesco-Weltkulturerbe schützen, das jährlich von rund zehn Millionen Touristen besucht wird?

Über der Mauer geht die Sonne auf. Sie taucht das eindrucksvolle Gemäuer, das sich über die Hügel schlängelt, in ein mildes Licht und bringt die quietschgrünen Zelte auf einem Aussichtsturm zum Leuchten – trotz der herbstlichen Kühle wollten es sich die Camper nicht nehmen lassen, die Nacht auf der Mauer zuzubringen. „Immer wieder finden wir zwischen den Steinen der Mauer Haken, wo Touristen Zelte aufgeschlagen haben“, seufzt der ehemalige Konservator des Mauerabschnitts von Shanhaiguan, Wang Xuenong. Er zuckt die Achseln: „Was sollen wir machen, ausdrücklich verboten ist es nicht, auf der Mauer zu schlafen.“ William Lindesay dagegen ist hellauf empört. Seit fast einem Vierteljahrhundert setzt sich der Brite für die Erhaltung der Mauer ein – dass auf dem Weltkulturerbe gezeltet wird, findet er schlicht „nicht hinnehmbar“. „Die Leute nehmen keinerlei Rücksicht, sie erleichtern sich überall, lassen überall ihren Müll liegen“, sagt er. Er erzählt von ganzen Gruppen, die ihre Zelte auf der Mauer aufschlagen und nach ihrem Kurzaufenthalt alle Überreste hinter sich lassen. Andere Touristen müssten sich unbedingt mit Graffiti verewigen: In Badaling müsse er schon einige Kilometer laufen, „um einen Stein zu finden, in den nichts eingeritzt ist“, sagt Lindesay.

Vor 23 Jahren war das noch anders. Als Lindesay 1987 die Mauer besuchte, verliebte er sich sofort in das gigantische Bauwerk. Damals war die Volksrepublik noch weitgehend abgeschottet, nur wenige Ausländer kamen zur Mauer: „Damals wanderte ich einen Teil der Überreste ab – 2500 Kilometer in 78 Tagen, neun Festnahmen eingeschlossen“, erinnert sich der 53-Jährige. „Die Mauer ist einfach unbeschreiblich“, schwärmt er, „sie ist mehr als ein Bauwerk, sie ist eine ganze Landschaft.“ Seitdem kümmert sich Lindesay um „seine“ Mauer: Ehrenamtliche Helfer seiner Organisation, Internationale Freunde der Großen Mauer, beteiligen sich unter anderem seit 1998 regelmäßig am Müllsammeln. Für sein Engagement wurde Lindesay inzwischen mit dem Orden des British Empire ausgezeichnet.

Mit dem Tourismus wächst die Zahl der Souvenirstände, Imbissbuden und Parkplätze. Die Mauer muss für alle möglichen „Events“ herhalten, von Motorradshows bis zu Modenschauen. Filmteams dient sie als Kulisse, Anwohner bauen sich Häuser aus den Steinen. Schon bevor sie als Tourismusattraktion entdeckt wurde, nahm die Mauer irreparablen Schaden, als sie für Feldwege, Straßen und Eisenbahnschienen durchbrochen wurde. An anderen Stellen wurden zu ihren Füßen Fabriken gebaut.

Auf einer Länge von 8800 Kilometern windet sich die Mauer durch elf Provinzen. Über anderthalb Jahrtausende wurde an ihr gebaut, vom 3. Jahrhundert vor Christus bis zur Ming-Dynastie (1368–1644).

„Sie zu verwalten, ist ein Ding der Unmöglichkeit, es gibt einfach zu viele Provinzen“, sagt Ex-Konservator Wang. „Keine Behörde ist für ihren Schutz verantwortlich.“ Die Regierung hat nun erste Maßnahmen ergriffen, um den Schaden zu begrenzen: Parkplätze und Fabriken in unmittelbarer Nähe der Mauer wurden zurückgebaut, Neubauten im Umkreis von einem halben Kilometer verboten.

Lindesay reichen diese Maßnahmen bei Weitem nicht. Nach seinen Angaben ist mehr als ein Drittel der Mauer bereits zerstört, der Rest „schon sehr beschädigt“. Er schüttelt traurig den Kopf: „Hier wird Geschichte vernichtet“, sagt er. (AFP)

Pascale Trouillaud

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