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Der Stock Kangri.

© Franzisket

Indien-Blog (9): Ladakh - Das Land der hohen Pässe

1500 Kilometer will Christina Franzisket gemeinsam mit einer Freundin durch Indien reisen, um den Mythos des Ganges zu ergründen. In ihrem Blog berichtet sie von ihren Abenteuern. Diesmal erkundet sie Lakdah.

Langsam schiebt sich die Sonne über die Bergriesen, 4000, 5000, 6000 Meter hoch. Einige Strahlen berühren bereits das Tal. Es ist halb sechs in der Früh, Susanne und ich sind eingemummelt in unsere Schlafsäcke und schauen aus dem offenen Fenster. Es ist kalt, nur ein paar Grad über null. Wir haben die Nacht im buddhistischen Kloster Tiksey, in Ladakh auf etwa 3500 Meter Höhe verbracht.

Heute Morgen möchten wir bei der Gebetszeremonie der Mönche zusehen. Das Kloster ruht auf einem Hügel über dem Tal von Tiksey, das getränkt durch den Indus, der hier fließt, einen grünen Fleck in die karge Berglandschaft malt. Der Himmel strahlt in gewaltigem Blau, die Luft ist glasklar. Und es ist still. Nichts ist zu hören, außer das Rauschen des Windes in unseren Ohren. Wir warten vor dem Jokhang, dem Gebetsraum, bis wir von einem Mönch (?) in roter Robe hinein gebeten werden.

Einer der Novizen im Kloster Tiksey.
Einer der Novizen im Kloster Tiksey.

© Franzisket

Es ist dunkel, wir nehmen auf einem Teppich an der Seite Platz. Der Raum ist geschmückt mit farbenfrohen Stoffen, auf einem Altar steht das Bild des Dalai Lama. Vor uns sitzen Novizen, Mönchsschüler, im Schneidersitz.

Die jüngsten sind höchstens sechs Jahre alt. Sie murmeln ihre Mantras herunter, wippen dabei mit dem Oberkörper hin, her, vor und zurück. Es gibt Buttertee in kleinen Holzschalen, gemixt mit Zampa – Gerstenmehl. Während der Zeremonie hören wir sie schmatzen. Auch wir bekommen Buttertee. Er schmeckt nach Salz und Fett, fremd, nicht gewöhnungsfähig, aber wir trinken brav aus.

Zwei Stunden sitzen wir im Schneidersitz und lauschen den Gebeten. Als ich aufstehe, freuen sich meine Beine über die wieder einsetzende Durchblutung. Wir klettern die Stiegen des Klosters auf und ab und betreten kleine Tempel, in denen goldene Figuren von Buddha und Tara stehen. Eine der Buddhastatuen ist so riesig, dass sie nur in zwei Räumen genug platz findet.

Nach dem Frühstück geht es schier endlose Treppen hinab ins Tal und dann durch die Felder. Links und rechts weiden Esel, Kühe und Ochsen, frei, ohne Gatter. Der Indus spaltet sich in diesem Tal in unzählige kleine Bäche. Wir treffen Schulkinder auf dem Weg nach Hause. Als wir Bonbons verschenken, kommen immer mehr Kinder dazu. So sind schnell auch unsere Reserven an Keksen und Äpfeln vergeben.

Auf einer Mauer trocknen Kuhfladen. Die Ladakhis verfeuern sie im Winter, denn der ist kalt und lang und es gibt nur wenig Holz. Bis zu minus dreißig Grad Celsius sind dann nicht ungewöhnlich.

Der Kuhfladenvorrat wird bis zum Winter aufgestockt.
Der Kuhfladenvorrat wird bis zum Winter aufgestockt.

© Franzisket

Wir nehmen den Bus zurück nach Leh, Hauptstadt der Provinz Ladakh. Auf dem Weg fahren wir an völlig zerstörten Häusern vorbei. Im August gab es in einer Nacht einen starken Regenguss, eine Schlammlawine löste sich in den Bergen und ergoss sich ins Tal. Sie riss alles mit sich: Häuser, Menschen, Autos. Viele wurden im Schlaf überrascht und starben, andere verloren ihren gesamten Besitz. Der kleine Ort Choglamsar gleicht einem Trümmerfeld. Aus einem Fenster im ersten Stock ragt noch immer ein Autowrack.

Ich treffe meine Freundin Lobsang. Ich kenne sie von meiner letzten Reise. Sie erzählt ihre Erlebnisse aus der Nacht, als der Schlamm kam: „Ich wurde geweckt, weil es durch unser Dach herein regnete. Wir rückten die Betten zur Seite und versuchten weiter zu schlafen, dann stand mein Mann auf und sah aus dem Fenster. Plötzlich schrie er, dass Schlamm von den Bergen kommt. Wir müssen weg, sagte er.“ Lobsang weckte ihren fünfjährigen Sohn und die Familie flüchtete - barfuss. „Wir standen bis zur Hüfte im Schlamm“, erzählt sie. Verzweifelt versuchten sie die Berge hoch zu laufen. Etwas schnitt ihr in den Fuß. „Ich dachte, ich schaffe es nicht.“

Die folgenden Tage verbrachten sie, wie hunderte andere, auf den Berghängen. „Wir hatten Angst, dass noch mehr von oben kommt.“ Der Schlamm stand einen Meter hoch im Lobsangs Haus, sie konnten nichts retten. „Den Winter werden wir bei Freunden verbringen“, sagt sie.

Die Aussicht vom Klostert auf das Industal.
Die Aussicht vom Klostert auf das Industal.

© Franzisket

Viele Einheimische haben die Lähmung überwunden und räumen auf. Überall stehen Bagger und Menschen mit Schaufeln. Sie sind in Eile: wenn der Winter kommt, ist es zu spät. Es wird noch Jahre dauern, bis alle sichtbaren Schäden beseitigt sind. Die, deren Häuser unbewohnbar sind, müssen im Winter bei Freunden oder Familie unterkommen. Draußen überlebt hier niemand den Winter. Die Regierung hat jeder betroffenen Familie umgerechnet etwa zwanzig Euro für den Wiederaufbau zukommen lassen. Die zerstörten Militäranlagen hingegen sind bereits komplett fertig und strahlen in neuem Glanz.

Christina Franzisket

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