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Wie soll es weitergehen? Ratlos lehnt sich diese Frau an eine der in Nepal zahlreichen heidnischen Götterfiguren.

© imago/Xinhua

Nach dem großen Erdbeben: Nepal wartet auf Besucher

Seit dem Erdbeben meiden Touristen Kathmandu. Dabei ist der größte Teil der Stadt heil geblieben.

„Es fühlt sich komisch an, hier zu sitzen und Kaffee zu trinken“, sagt die 28-jährige Stefanie Wenzel. Mit ihrer Freundin sitzt die Frankfurterin in einem normalerweise gut besuchten Café in Thamel, dem Touristenviertel von Kathmandu. Doch jetzt, kurz nach den beiden Erdbeben, sind außer den beiden nur drei andere Gäste dort. Auf der Theke steht eine Spendenbox für betroffene Dörfer.

Die größte Zerstörung haben die Erdbeben in den Dörfern nahe der Epizentren nördlich der nepalesischen Hauptstadt angerichtet. In der Stadt selbst hat es vor allem die historischen Stätten, marode Altstadthäuser und jene Gebäude, bei denen Bauvorschriften missachtet wurden, getroffen. Der größte Teil der Stadt ist jedoch heil geblieben. „Wir haben uns sehr gewundert, denn wir hatten gehört, Kathmandu sei völlig zerstört“, sagt Stefanie Wenzel. „Aber es fühlt sich doch alles seltsam normal an.“ Wenzel war mit ihrer Freundin aus Israel auf der Trekkingroute zum Everest Basecamp unterwegs, als sich die beiden Erdbeben ereigneten. Glücklicherweise durchquerten sie beide Male gerade ein Waldstück, wo sie sicher waren.

Die Frankfurterin ist hin und hergerissen, ob sie noch bleiben und Freiwilligenarbeit leisten soll. Viele der Touristen, die jetzt noch in Nepal sind, haben sich kleinen lokalen Initiativen angeschlossen und bringen Hilfsgüter in zerstörte Dörfer. „Aber meine Mutter war schon beim Arzt, weil sie sich solche Sorgen macht“, sagt Stefanie Wenzel. Nun schaut sie doch nach Rückflügen.

Touristenviertel Thamel. Nun sind die Einheimischen hier unter sich.
Touristenviertel Thamel. Nun sind die Einheimischen hier unter sich.

© Nicole Graaf

Nur zwei Kunden im Laden

Das Touristenviertel von Kathmandu, das sonst vor Rucksacktouristen, Hippies, Rikschas, fliegenden Händlern und falschen Sadhus nur so brodelt, liegt verlassen da. Ein Souvenirladen reiht sich hier an den anderen, dazwischen Restaurants, Cafés, Buchläden und Geschäfte für Trekkingbedarf. Viele der kleinen Läden haben geschlossen und ihre Rolltüren heruntergelassen.

Laxman Raj Upretee’s Trekkingshop ist einer der wenigen, die geöffnet sind. Er verkauft Schlafsäcke, Daunenjacken, Schuhe und Nützliches für Wanderer. Normalerweise bummeln jetzt zur besten Trekkingsaison täglich Hunderte Touristen aus aller Welt an seinem Laden vorüber.

Trotz der großen Konkurrenz macht er dann gute Geschäfte. „Heute waren nur zwei Kunden im Laden“, sagt Upretee. Gekauft haben sie nichts. Er will das Geschäft trotzdem offenhalten, Waren morgens auslegen und abends wegpacken. Arbeit lenke von den Sorgen ab. „Wir müssen jetzt abwarten“, sagt er und lächelt verhalten, eine typisch nepalesische Art, mit schwierigen Situationen umzugehen. Er hofft, dass die Touristen bald wiederkommen, wenn die Erde nun ruhig bleibt.

"Die Leute haben Angst"

Das hofft auch Dem Pun. Dem 38-jährigen gehört die „Buddha-Bar“, ein beliebter Treffpunkt für Rucksacktouristen, in einer Seitengasse der Haupteinkaufsstraße von Thamel. Der zu den Seiten offene Raum ist liebevoll mit buddhistischen Bildern und bunten Lampen gestaltet. Die mit traditionellen Futons ausgelegten Sitzecken sind fast verwaist. Nur in einer sitzen zwei Männer mit Dreadlocks und eine Frau im weiten Blumenkleid. Sie rauchen Wasserpfeifen. Selbst die sonst in Thamel allgegenwärtigen Hippies haben nach dem Erdbeben die Flucht ergriffen.

Dem Pun, Barbesitzer
Dem Pun, Barbesitzer

© Nicole Graaf

Pun hatte seinen Angestellten zwei Wochen freigegeben, denn sie wollten nach Hause fahren, um nach ihren Familien zu sehen. Nachdem ihre Dörfer komplett zerstört sind, brauchen sie ihre Jobs in der Touristenbar jetzt mehr denn je.

Neben der Bar betreibt Pun eine kleine Lodge für Ökotourismus in der Nähe seiner Heimatstadt Pokhara. Seine Gäste kommen für Yogaseminare oder zum Wandern, aber auch dort ist derzeit niemand, sagt Pun. „Wir hatten viele Buchungen, aber alle haben abgesagt.“ Dabei ist Pokhara nicht vom Erdbeben betroffen. „Die Leute haben einfach Angst“, sagt Pun. Selbst seine bereits gebuchten Gäste für die zweite Hauptsaison im Herbst wollen nicht mehr kommen. Fast allen örtlichen Reiseveranstaltern geht es derzeit so. Für sie bedeuten die Absagen einen Totalausfall. Denn die Gäste bezahlen erst bei Ankunft.

Nepal ist immer noch eine Reise wert

Der Tourismus macht etwa zehn Prozent des nepalesischen Bruttoinlandsprodukts aus und ist neben der Landwirtschaft und dem Geld, das Nepalesen im Ausland verdienen, der größte Wirtschaftszweig. Wenn das Geschäft mit den Urlaubern wegbricht, werden noch mehr junge Nepalesen gezwungen sein, nach Malaysia oder in die Golfstaaten zu gehen und dort unter menschenverachtenden Bedingungen auf dem Bau oder in Fabriken zu schuften.

„Zumindest die Bergsteiger und Kletterer sollten sich nicht abschrecken lassen. Sie suchen doch schließlich das Abenteuer“, sagt die 40-jährige Anusha Subramanian, selbst Hobby-Bergsteigerin aus Mumbai. „Sie könnten zum Beispiel eine gesponserte Wanderung organisieren und damit Geld für die Betroffenen hier sammeln.“

Subramanian hatte im April noch das Everest Base Camp besucht. Gleich nach dem ersten Erdbeben kam die Journalistin mit einem Freund zurück, um zu berichten und zu helfen. Nun schreibt sie gegen ihre indischen Medienkollegen an. „Sie haben es dargestellt, als stünde hier kein einziges Haus mehr“, sagt ihr Freund Tanveer Wani – ein Vorwurf, den man sicher auch den internationalen Medien machen kann.

Dabei sind die Nationalparks im Süden, Buddhas Geburtsort Lumbini und die exotischen Routen nach Mustang und Dolpo überhaupt nicht betroffen. Auch Rafting, Paragliding und Dschungelsafaris sind weiterhin möglich. Subramanian und Wani versuchen nun, Bekannte und Kollegen davon zu überzeugen, dass Nepal immer noch eine Reise wert ist. „Wenn die Touristen zurückkommen, wäre das die größte Hilfe für Nepal“, sagt Wani.

Stefanie Wenzel ist trotz allem begeistert von dem Land, und sie ist sicher, dass sie wiederkommen möchte. „Ich fahre jetzt wirklich nur wegen meiner Familie nach Hause“, sagt sie.

Tipps: keine Gäste in der Buddha-Bar

ALLGEMEINES

Trotz des Erdbebens besteht weiterhin die Möglichkeit, Nepal zu besuchen. Der Airport in Kathmandu operiert normal und wird von internationalen Linienmaschinen angeflogen.

KATHMANDU

Die große Stupa in Boudhanath ist heil geblieben. Auch in dem von den Newar und Tibetern geprägten Viertel drumherum gibt es kaum Schäden an Häusern. Hier finden sich zahlreiche buddhistische Klöster, die für Besucher offen- stehen. Mehrere Gartenrestaurants warten auf Gäste. Die heilige Verbrennungsstelle der Hindus von Pashupatinath ist weitgehend intakt geblieben und kann besucht werden.

IM SÜDEN

Der Chitwan Nationalpark liegt im Süden nahe der indischen Grenze, weit entfernt vom Epizentrum des Bebens. Dschungelsafaris sind dort weiterhin möglich. Ebenfalls im Süden liegt Lumbini, der Geburtsort Buddhas. Auch dieser Ort ist verschont geblieben. Veranstalter bieten nach wie vor Rafting an.

Nicole Graaf

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