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Kein Halten mehr gibt es für Thailänder chinesischer Herkunft, wenn in Bangkoks Chinatown das Neujahrsfest bevorsteht: Opfergaben und Geschenke müssen her, sonst winkt im neuen Jahr kein Erfolg.

© imago

Thailand: Glück und Gold

Trotz innenpolitischer Krise: Thailänder chinesischer Abstammung in Bangkok fiebern dem „Jahr des Pferdes“ entgegen – und bereiten sich sorgsam vor.

Than Ya Thon, die Gemüse- und Fischfrau mit dem großen Amulett auf der Brust, hatte Erfolg in den zurückliegenden Monaten. Viel Erfolg. Und sie wird schon bald dafür sorgen, dass das so bleibt. Wenn Ende Januar das gute Jahr der Schlange zu Ende geht, wird sie viele Orangen – Symbol für Glück und Gold – auf die Wunschbäume vor dem Leng-Buai-Schrein werfen. Es ist der älteste Tempel in Bangkoks quirligem Chinesenviertel zwischen dem Fluss der Könige und dem Markt der Diebe.

Frau Thon, die einen Thai-Namen trägt, aber so chinesisch ist wie ihre Großmutter, die auch nach achtzig Jahren in der neuen Heimat nur Kantonesisch spricht, weiß, dass sie gut zielen muss mit den Orangen. Nur dann werden ihre Wünsche zum Auftakt des Pferdejahres nachhaltig in Erfüllung gehen. So war es auch im vergangenen Jahr. Kaum hatte die Schlange vom Drachen die Herrschaft im chinesischen Horoskop übernommen, konnte Frau Thon erstmals ganze Wagenladungen mit eingelegten Gurken an die Köche der feinen Hotels flussabwärts verkaufen und obendrein fast eine Tonne Trockenfisch an die Landsleute im Gassengewirr von Chinatown.

Alles war also gut im Zeichen der Schlange, die den Chinesen als klug und kraftvoll gilt. So schätzt sich auch Frau Thon ein. Und deswegen war es „ihr“ Jahr, das da am 10. Februar begonnen hatte. Aber Schlangen, das weiß man auch im Westen, sind nicht nur listig, sie sind auch unberechenbar. Noch kann also manches passieren bis zum 31. Januar, wenn das alte Jahr sich häutet und das schnelle Pferd die Regentschaft übernimmt und das Tempo bestimmt.

Das Pferd steht für Lebenslust

Frau Ya Thon, deren Familie schon in der dritten Generation am Menamfluss mit Delikatessen handelt, wird also auf der Hut sein in den letzten Tagen der Schlange. Und dann wird sie sich, mehr als ohnehin schon, einstellen auf Freiheit und Lebenslust, Perspektiven, die ihr sehr entgegenkommen. Genau dafür steht das Pferd, ebenso für Tatendrang, Talent und Temperament. Und weil die Astrologen schon jetzt raten, mit der eigenen Energie hauszuhalten und den erworbenen Gewinn vernünftig anzulegen, wird sich Frau Thon schon bald ein neues Armband aus Gold kaufen, bei Herrn Lee auf der Yaowarat Road, einer der Hauptstraßen Chinatowns.

Than Ya Thon handelt mit Delikatessen.
Than Ya Thon handelt mit Delikatessen.

© Bernd Schiller

Ein Glitzerladen reiht sich dort an den nächsten, und auf der anderen Straßenseite haben Pfandleiher so lebhaften Zulauf wie die Goldhändler in Herrn Lees Nachbarschaft. Gehen die Geschäfte gut, wird der Gewinn gern in breiten Hals- und Armreifen angelegt; läuft es mal nicht so gut, wird ein Teil davon versetzt.

Seit mehr als 200 Jahren leben Chinesen in diesem Teil Bangkoks, fast eine halbe Million an der Zahl. Es ist entsprechend eng in den Gassen von Chinatown: Tuk-Tuks, die stinkenden und lärmenden Dreiradtaxis, die zu Bangkok gehören wie die goldenen Tempel rund um den Königspalast, und Händler auf schweren Motorrädern, beladen mit Körben voller Bambussprossen, getrockneter Fischmägen oder pinkfarbener Teigtaschen, drängen sich durchs Gewimmel. Von einem Fahrzeug an die Seite gedrückt zu werden, ist heute wohl die größte Gefahr in Chinatown.

Kung Hei Fat Choi: „Dein Reichtum sei gesegnet“

Großreinemachen gehört auch im Tempel zu den Vorbereitungen aufs Fest.
Großreinemachen gehört auch im Tempel zu den Vorbereitungen aufs Fest.

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Das war vor fünfzig und erst recht vor hundert Jahren reichlich anders. Von Opiumhöhlen, Spielhöllen und Bordellen berichten die Reisenden von damals in ihren Büchern. Und noch immer, so erzählen es sogar die Chinesen im Viertel, allerdings hinter vorgehaltener Hand, muss man nur nach einer Rong Chaa fragen, möglichst mit abgesenkter Stimme. Der Begriff meint nichts anderes als eine „Teehalle“, aber dahinter verbirgt sich zuweilen, was noch vor ein paar Jahren mit grünen Lampions, nicht mit roten, eindeutig auf sich aufmerksam machte: ein Freudenhaus, in dem man womöglich auch pokern oder auf andere Art das Glück herausfordern kann.

Than Ya Thon, die erfolgreiche Händlerin, verlässt sich lieber auf die Vorhersagen der weisen Männer im Tempel. Das Jahr des Pferdes wird, so haben sie es prophezeit, auch das Geldverdienen begünstigen. Außerdem, sehr wichtig für Chinesen, verspricht das Pferdejahr gute Perspektiven für das Glück in der Liebe. Da gönnt Frau Thon es ihrem Mann doch nur zu gern, dass er sich bei Yong Sim, dem Apotheker an der nächsten Ecke, etwas Hirschhornpulver kauft, zur liebevollen Anregung sozusagen.

Vor allem aber weiß Frau Ya Thon, was sie ihren Ahnen schuldig ist. Sie wird rotes und goldenes Geld der „Anderwelt“-Bank kaufen, vielleicht noch einen Rolls Royce aus Pappe und eine Villa aus vergoldetem Papier. Dann wird sie zum Drachen-Lotus-Schrein gehen, sie wird echtes Geld spenden im Labyrinth dieses Tempels, in dem neben Buddha auch Konfuzius und Laotse wohnen; die Chinesen sind da flexibel, in der alten Heimat wie in ganz Südostasien, wo sie noch immer vielfach den Handel kontrollieren.

Und schließlich wird die ebenso schlaue wie traditionsbewusste Frau Thon die Quittungen für ihre Opfergaben zusammen mit dem Anderwelt-Geld, der „Luxuslimousine“ und der Papiervilla in einem der Kamine im Hinterhof verbrennen. Mit dem Rauch wird das geteilte Glück seinen Weg zu den Ahnen finden, so wie es sich gehört.

Bambuszweige am Staubsauger

Während die Thais im ganzen Land ihr Neujahrsfest, Songkran genannt oder auch Wasserfest, erst von Mitte April an feiern und sich dabei fröhlich in aller Öffentlichkeit gegenseitig nassspritzen, zelebrieren die Chinesen ihre alten Bräuche vorwiegend im Tempel und zu Hause. Bei Familie Thon werden die alten Bräuche nicht anders ablaufen als bei ihren Nachbarn: Frau Thon wird früh beginnen, die Wohnung intensiv zu putzen. Sie wird dabei Bambuszweige ans Rohr des Staubsaugers binden, als Erinnerung an den Brauch der Alten, das Haus vor dem Neumond mit Besen aus glücksbringendem Bambus zu reinigen.

Herr Thon hingegen wird seine Schulden im Wettbüro und beim Zigarettenhändler begleichen; so geht jeder auf seine Art „sauber“ ins neue Jahr. Man wird kleine rote Umschläge, die ein paar Baht enthalten, an die Kinder und die Freunde verteilen: Lai See, „glückliches Geld“. Und man wird sich gegenseitig Kung Hei Fat Choi wünschen, wie es Sitte ist, wo Chinesen wohnen: „Dein Reichtum sei gesegnet.“

Anders als in Hongkong oder in Schanghai sind jedoch selbst im chinesisch geprägten Teil der Neun-Millionen-Metropole Bangkok nicht alle Geschäfte geschlossen. Für ein, zwei Tage mag es ruhiger zugehen auf der Yaowarat und in den angrenzenden schmalen Straßen. Aber schon gleich nach den ersten, den wichtigsten Tagen des sich über zwei Wochen erstreckenden Neujahrsfestes wird wieder alles gehandelt, was zum Alltag der Thai-Chinesen gehört und was Touristen staunend oder mit wohligem Schauer betrachten: eingelegte Hühnerfüße, getrocknete Vogelnester, blinkende Hausaltäre in allen Ecken, Geisterhäuser, die die Söhne des Himmels von den Thais übernommen haben, Gewürze, kostbarer Tee aus Yunnan, der Südprovinz in China, die nach Meinung der Chinesen den besten Tee der Welt liefert, alles wird gehandelt auf der Talat Mai und der Soi Sampeng und erst recht auf dem Nakhon Kasem, dem ehemaligen Diebesmarkt am Rande Chinatowns

Längst ist dieser Basar, auf dem man früher mit etwas Glück kaufen konnte, was einem am Vortag geklaut worden war, ein „normaler“ Schnäppchenmarkt geworden, gut für gebrauchte Handys und Plastikschrott aus China, für billige Seide aus Thailand und lachende Buddhas in allen Größen. Hin und wieder, erst recht auf dem Wege zum Nakhon Kasem, verlockt ein grüner Lampion über einer Tür zu einem verstohlenen Blick in eine Hinterhofkneipe. Aber meistens versteckt sich nur eine schäbige Garküche hinter der einst vielsagenden Laterne. Oder doch eine „Teehalle“...?

Bernd Schiller

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