zum Hauptinhalt
Alec Soth (1969 in Minnesota, USA, geboren), wurde vor allem durch seine großangelegten Fotoprojekte aus dem amerikanischen Mittleren Westen bekannt.

© Carrie Elizabeth Thompson

Ausstellung von Alec Soth: "Die Windschutzscheibe ist wie eine Linse"

Alec Soth fährt mit Auto und Kamera durch die USA. Resultate der spannenden Road Trips zeigt bis zum 5. Juni eine Ausstellung in der Berliner Galerie Loock.

Sie müssen den Road Trip wirklich mögen! Für Ihre Buch- und Ausstellungsprojekte wie „NIAGARA“, „Sleeping by the Mississippi“, zuletzt „Broken Manual“ über Aussteiger und jetzt „Songbook“ reisen Sie immer wieder durchs eigene Land.

Ich geniere mich ein bisschen, weil es so ein Klischee ist. Aber für mich funktioniert der Road Trip so gut! Er hat was sehr Amerikanisches. Das hängt natürlich mit unserer Autokultur zusammen, aber auch mit dem Individualismus, den wir so schätzen: der einsame Cowboy…

Sie fahren herum, und wenn Sie was Interessantes sehen, halten Sie an?

„Songbook“ ging aus einer eigenen Zeitschrift hervor, die ich mit einem Freund, dem Autor Brad Zellar im Eigenverlag herausgebracht habe; jede Nummer war einem anderen Bundesstaat gewidmet. Für diesen „Dispatch“ haben wir erst eine Reiseroute geplant, und dann jede Stadt entlang der Route recherchiert: historische Ereignisse, interessante Persönlichkeiten, Nachrichtengeschichten, Institutionen, Vereine... Wenn wir in einen Ort kamen, wussten wir immer schon, wo wir hin wollten. Ich bin nie der ziellose Wanderer gewesen. Das kann ich nicht: mich ins Auto setzen, aufs Geratewohl losfahren und mich amüsieren. Das ist mir zu offen. Ich brauche Landkarte und Stadtplan, eine gewisse Struktur, Vorwissen.

Und Sie cruisen mit einem alten Straßenkreuzer durch die Lande?

Es ist ein bisschen peinlich, aber ich fahre einen Minivan, einen Honda Odyssey. Der ist einfach praktisch, unterwegs genauso wie zu Hause. Ich habe ja Kinder.

Sie haben mal gesagt, dass das Auto einer Fotoausrüstung ähnelt.

Und wie! Die Windschutzscheibe ist ja wie eine Linse: Die Welt ist da draußen und Sie sind auf der anderen Seite. Nicht, dass ich besonders stolz darauf bin, aber meine Interaktion mit der Welt findet zum großen Teil hinter einer Abschirmung statt, ob es der Bildschirm meines Computers ist, die Windschutzscheibe oder meine Kamera – ich interagiere mit der Welt mit einer Art Puffer, so fange ich sie ein.

"Ich habe ein anderes Verständnis von Schönheit"

In Corsicana, Texas traf Alec Soth Bree von den Liberty Cheer All-Stars. Auf seinen Road Trips hat er viele Vereine besucht.
In Corsicana, Texas traf Alec Soth Bree von den Liberty Cheer All-Stars. Auf seinen Road Trips hat er viele Vereine besucht.

© Alec Soth

Sie fotografieren oft etwas, was die meisten Leute nicht als schön bezeichnen würden, trotzdem haben Ihre Bilder etwas sehr Schönes.

Naja, ich habe ein anderes Verständnis von Schönheit. Das Allerschönste für mich ist Verletzlichkeit. Das ist auch das Lustigste. Es hat ja einen Grund, dass wir lachen, wenn jemand stolpert, da steckt etwas Menschliches und Verletzliches drin in dem Moment. Ich glaube, dass Schönheit in der Kunst oft von dieser Art menschlicher Verletzlichkeit ist, gleichzeitig lustig und traurig.

Und warum haben Sie für „Songbook“ in Schwarz-Weiß fotografiert?

Anfangs war es eine praktische Entscheidung. Bei der ersten Geschichte für unseren „Dispatch“ habe ich noch Farbe benutzt, aber gemerkt, dass das unpraktisch ist, das Licht stimmte nicht, ich hätte darauf warten müssen, dass es sich ändert. Deshalb funktioniert Pressefotografie oft so gut in Schwarz-Weiß: Wenn zum Bespiel der Himmel zu blau ist, macht das nichts. Aus demselben Grund habe ich angefangen, mit Blitz zu arbeiten, weil man damit in jeder Situation fotografieren kann. Außerdem gefiel mir der Bezug zur Pressefotografie des legendären Weegee: mit großem Blitz, sehr frontal, sehr aggressiv, sehr noir.

Erleben Sie das Land so dunkel?

Zum größten Teil ja. Ich liebe Amerika. Aber manchmal ist es wirklich verrückt – düster und lustig. Es gibt viel Humor in „Songbook“, aber es ist ein schwarzer Humor. Es geht oft um Einsamkeit, die ich sehr stark empfinde in Amerika.

Deswegen übernachten Sie in Motels?

Ja. Für mich ist das eine schöne Art von Einsamkeit, als würde man einen Song von Roy Orbison hören. Ich halte immer noch an einem romantischen Bild des Motels fest, auch wenn es sich, seit ich so viel unterwegs bin, etwas abgenutzt hat. Ich reise immer sehr sparsam, dieses Projekt mussten wir ja selbst finanzieren.

Machen Sie für Ihre Projekte lieber eine große Reise oder viele kleine?

Der ideale Trip dauert zwei Wochen, so lange kann man sich die Intensität des Sehens bewahren. Danach setzt Ermattung ein. Aber man muss auch lang genug unterwegs sein, um richtig drin zu sein.

Und wenn Sie nach Hause kommen?

Das ist wie ein emotionaler Jetlag. Ich führe ein sehr konventionelles Leben, bin verheiratet, habe zwei Kinder. In die Welt muss ich erst wieder zurückfinden. Das hat immer etwas von einer Bruchlandung.

Die Bilder aus „Songbook“ sind bis zum 5. Juni in der Berliner Galerie Loock (Potsdamer Straße 63) zu sehen. Dort und in Kunstbuchhandlungen gibt es auch das im Mack Verlag erschienene Buch (circa 60 Euro).

Die Fragen an Alec Soth stellte Susanne Kippenberger.

Zur Startseite