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Dichterwahrheit. „Herr, wen du lieb hast, den läßt du fallen in dieses Land.“ Ludwig Ganghofers Worte scheinen für die Ewigkeit zu gelten. Foto: picture-alliance / Sueddeutsche

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Berchtesgadener Alpen: Am Watzmann tanzen die Schmetterlinge

Das Berchtesgadener Land lockt Wanderer. Zu Recht. Man muss nicht auf den Gipfel, um zu schwärmen.

Im Kurpark von Berchtesgaden sind Dichterworte in einen Gedenkstein gemeißelt. „Herr, wen du lieb hast, den läßt du fallen in dieses Land“, schwärmte Ludwig Ganghofer von seiner Lieblingsgegend. Rund 150 Jahre ist das her, doch die Worte scheinen gültig für die Ewigkeit. Denn, kann man sich an diesem Juli-Sonnabend Schöneres vorstellen? Der Himmel spannt sich lichtblau über das Berchtesgadener Land. Grandiose Berge ringsherum, der höchste, die Mittelspitze des Watzmann-Massivs, ist noch immer weiß behelmt.

Auf sattgrünen, blumengesprenkelten Almen weiden glückliche Kühe. Und Berchtesgaden, das Städtchen im Tal, ist schmuck wie in einem Heimatfilm der fünfziger Jahre. Die Moderne ist weitgehend ausgesperrt, Tradition hat Platz. In einer Werkstatt ist zu sehen, wie eine „zehnköpfige Knappenkapelle“ geschnitzt wird. Im Garten des Hofbräuhauses fließt Bier in Halbliterkrüge, eine Blaskapelle schmettert Volkstümliches. Stämmige Pferde ziehen einen geschmückten Bierwagen über den Marktplatz.

Wer kein Bier mag, nimmt Platz beim Löwenbrunnen. Zahlreiche Tische und Stühle stehen vorm Eiscafé La Fontana, serviert werden bunte Eiskreationen, gern mit einer Extraportion Sahne. Neben „La Fontana“ gibt es ein gediegenes Geschäft mit dem Namen „Der schöne Tisch“. Die Berchtesgadener, so ahnt man, machen sich’s nett in ihren Wohnzimmern. Und haben Dirndl und Krachlederne im Schrank. Mehrere Trachtengeschäfte finden sich, auch ein Laden für Filzhüte, mit oder ohne Gamsbart. Der Einzelhandel blüht. Leider schließen alle Läden sonnabends schon gegen 13 Uhr. Und an den übrigen Wochentagen abends Schlag sechs.

Wer spät von der Wandertour zurückkehrt, kann eben nicht mehr shoppen. Und zum Wandern kommen doch die meisten nach Berchtesgaden. Ältere und junge. Der nächstgelegene Gipfel, der 950 Meter hohe Obersalzberg, ist Synonym für dunkelbraune Geschichte. Aber dort gibt es nicht nur das ausgezeichnete Dokumentationszentrum zur Geschichte des „Hitlerbergs“ und der NS-Diktatur, sondern auch gepflegte Pfade mit herrlichen Ausblicken. Eine putzige hellrote Gondelbahn führt hinauf.

Seit 1950 schweben vier Gondelpaare von Berchtesgaden aus auf und nieder. „In eine Gondel passen entweder vier Erwachsene und ein Kleinkind oder drei Erwachsene und zwei Kinder“, heißt es auf einem Schild. Eine luftige Angelegenheit. „Es ist eine der wenigen Pendelbahnen, die es noch gibt in Deutschland“, sagt Gondelwart Alfred Unterreiner. „Ist sie auch sicher?“ „Natürlich“, sagt er lächelnd. „Zwei Mal im Jahr schaut der Tüv nach, und der ist gnadenlos.“ So schaukelt man gemütlich nach oben.

Eine Stunde dauert die Runde auf dem Carl-Linde-Weg, angelegt im Jahre 1895. Und wer zu lange auf einer der nostalgischen Holzbänke verweilt, dem fehlt die Zeit, um noch zum „Windbeutelbaron“ zu wandern. Die Alternative ist der Sonneck-Gasthof, gleich neben der Gondelstation. Sympathisch ist das urige Lokal auch, weil sie dort ein großes Herz für Kinder haben. Die können einen Räuberteller ordern. Das geht so: „Bestell dir einen leeren Teller und such dir das Beste von deinen Eltern aus. Preis: null Euro.“ Tja, die Bayern machen vieles richtig.

Bloß nicht schlappmachen jetzt

"Verwenden Sie das Wasser so, als wäre keins da", sagt der Hüttenwirt Bruno Verst.
"Verwenden Sie das Wasser so, als wäre keins da", sagt der Hüttenwirt Bruno Verst.

© Kaiser

Unten nimmt einen der freundliche Gondelwart wieder in Empfang. „Hatten’s a schönen Aufenthalt?“ Unbedingt, aber nun hurtig, hurtig ins „Haus der Berge“. Das ist das neue Informationszentrum für den 210 Quadratkilometer großen Alpen-Nationalpark Berchtesgaden.

Gondelwart Unterreiner schaut jetzt ein wenig grimmig. „Das Nationalparkzentrum ist ein Blechhaufen“, schimpft er. Der passe nicht zu Berchtesgaden. Und deshalb geht Unterreiner auch nicht hin. Wenig später räumt Ulrich Brendl, Biologe in der Nationalparkverwaltung, ein: „Angesichts der ersten Entwürfe hat die Bevölkerung tief Luft geholt.“ Aber man wollte ein Niedrigenergiehaus – „und mit Giebeldach funktioniert das nicht“. So ist ein 19 Millionen Euro teurer Bau aus Wetterstahl, Lärchenholz und viel Glas entstanden. An einer Wand sind große Steine aufgeschichtet. Eine graue, nackte Mauer. „Nicht mehr lange“, beruhigt Brendl, „dort siedeln sich bald ganz von selbst Pflanzen an, dann wird es eine lebendige, grüne Wand.“

Im Glas des Gebäudes spiegeln sich die Berge. Und innen sind’s viele, viele Meter zwischen Fußboden und Dach. „Der Bau ist niedriger als der ,Berchtesgadner Hof‘, der zuvor hier gestanden hat“, sagt Brendl. Die Amerikaner hatten ihn umgebaut und als „Armed Forces Recreation Center“ genutzt. „Da war jede Menge Asbest drin“, weiß der Biologe. Der Abriss habe 1,2 Millionen Euro verschlungen. „Alles musste auf den Sondermüll.“

Das „Haus der Berge“ lehrt viel über Flora und Fauna des Alpenraums. Aber am beeindruckendsten ist der Film in Cinemascope, der die Landschaft im Wandel der Jahreszeiten zeigt. Projiziert wird er auf die zugeklappten Lamellen vor einer riesigen Glaswand. Als der Film zu Ende ist, öffnen sich die Lamellen, und draußen wartet sie, diese traumhafte Natur.

Oben thront die, der Sage nach, versteinerte Watzmannfamilie: der König, seine Frau und dazwischen ihre fünf Kinder. Bis zum höchsten Punkt, der Mittelspitze mit 2713 Metern, schaffen es nur Profis. Einer wie der Slowene Valentin Stanic, der Erste, der den Gipfel im Jahre 1800 bezwang. Das lassen Ungeübte lieber bleiben. Aber fünf Stunden strammer Aufstieg bis zum knapp 2000 Meter hoch gelegenen Watzmannhaus sollten zu schaffen sein.

In der Wimbachklamm, am Eingang zum Nationalpark, starten wir. Auf schmalen Pfaden und Stegen geht es viele Meter hoch über eiskaltem, gurgelndem Wasser. Und dann? Nur noch bergauf. An Lärchen und Zirben, gelben Trollblumen und blauen Glockenblüten vorbei. Schritt für Schritt. Das anfangs muntere Plappern der Wandergruppe wird leiser. Puh, Trinkpause, bitte. „Wir sind gleich auf der Mitterkaseralm, da rasten wir“, sagt Bergführer Toni Grassl. 1403 Meter sind geschafft. Wirtin Irmi Leidolt, natürlich im Dirndl, holt Getränke herbei. Ein großes Schild hat sie gemalt: „Heid gibt’s an Marmorkuacha.“ Er sieht verlockend aus.

Nichts da, Toni Grassl mahnt zum Aufbruch. Gut zwei Stunden oder genauer, 600 Höhenmeter liegen noch vor uns. Die Gruppe, vorhin noch dicht beisammen, hat ihre Formation verloren. Die Erste sieht den Letzten schon lange nicht mehr. Bloß nicht schlappmachen jetzt. Endlich, drei, vier steile Stücke noch, dann sind wir am Ziel. Das Watzmannhaus, vom Deutschen Alpenverein Sektion München als Berghütte erbaut, wirkt wie eine rettende Burg. 220 Wanderer können hier übernachten, in Vierbettzimmern oder in Matratzenlagern.

Wer bleiben will, muss vorher reservieren. „Leider sagen nicht alle Gäste ab, wenn sie nicht kommen“, bedauert Hüttenwirt Bruno Verst. Ein Ärgernis, denn so bleiben manchmal Betten frei, die man hätte vergeben können. Damit er nicht jedem Gast die Konditionen erklären muss, hat Verst Schilder gemalt. Auf einem steht: „Verwenden Sie das Wasser so, als wäre keins da.“ Da ist es stimmig, dass keine Duschen vorhanden sind. Waschräume tun’s auch. „Besonders die Kinder wissen nichts vom nachhaltigen Umgang mit der Natur“, moniert Verst. „Was lernen die eigentlich in der Schule?“

Nur wenige wagen sich in die gewaltige Ostwand

Der Blick von der Terrasse ist unbezahlbar. Berge vorn, Berge rechts, Berge links. Auf der Brüstung stolziert eine vorwitzige Dohle, zwei Schmetterlinge tanzen im rotgoldenen Licht der untergehenden Sonne. „Abendessen?“, fragt Bruno Verst. Am liebsten sofort. Leberkäs, Schnitzel, Eintopf – jetzt darf es deftig sein. „Das Schlachtvieh stammt zum größten Teil von Bauern aus dem Berchtesgadener Land oder von Bauern mit dem Motto ,offene Stalltüre’“, informiert die Speisekarte.

Als das Watzmannhaus vor 125 Jahren eröffnete, fürchteten manche, die Bleibe könne zum Wilderernest werden. Damals hatte es 25 Schlafplätze. 1904 wurde es erweitert, 1911 noch einmal. Bis 1960 wurde alles mit dem Muli transportiert. Seither gibt es eine Seilbahn dafür. Sogar eine Personengondel auf den Watzmann wurde einst diskutiert, doch Naturschützer konnten den Bau verhindern.

Wer hinauf will, muss zu Fuß gehen. Vom Watzmannhaus zum Hocheck und dann zum höchsten Punkt, der Mittelspitze. „Wenn man sieht, wer da oben rumläuft, wundert man sich, dass nicht mehr passiert“, sagt Thomas Gesell, Hüttenbeauftragter der Sektion München. „Und manche brechen erst vormittags auf und wollen die schwierige Watzmannüberschreitung machen“, ergänzt Verst und schüttelt den Kopf. Dafür müsse man doch im Morgengrauen los.

Sieben Stunden muss man mindestens bis zum Abstieg rechnen. „Eine knackige Tour“, sagen Experten und erwähnen „hundertprozentige Trittsicherheit, schmale Grate, Seilsicherungen“. Nur wenige wagen sich in die gewaltige Ostwand des Watzmann. „Seit dem Erstbezwinger gab es da mehr als hundert Tote“, weiß Gesell. „An der Eiger-Nordwand, die als so gefährlich gilt, sind nur fünfzig Menschen abgestürzt.“ Der Watzmann, so klingt’s, werde nicht ernst genug genommen.

Unseren Respekt hat er. Anderntags steigen wir wieder ab. Ein Spaziergang ist das nicht, über die Kührointalm bis zum Königssee. Wer will, sinkt noch erschöpft in eins der zahlreichen Ausflugsboote. Mitten im See stoppt das Schiff, der Bootsbegleiter greift zur Trompete – und ja doch, das Echo kommt mehrfach zurück. Das Wasser, so tief, so malerisch die Kapelle St. Bartholomä mit ihren roten Kuppelchen. Wir aber schauen lieber auf den Watzmann. Er ist von vielen Seiten schön. Aber wir sind ihm ganz nah gewesen.

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