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Bergwaldprojekt: Buchen buchen

Im Rahmen des "Bergwaldprojekts“ gehen Freiwillige in ihrem Urlaub für Unterkunft und Verpflegung den Forstwirten zur Hand.

Der Revierförster von Rothenfels lächelt zur Begrüßung – und warnt: „Waldarbeit ist Knochenarbeit.“ Martin Volkmann- Gebhardt weiß, wovon er spricht, obwohl er in seiner adretten Dienstkleidung nicht gerade so aussieht, als müsste er sich noch täglich die Hände schmutzig machen. Wir hingegen wissen fast nichts. Die Hälfte von uns 18 Freiwilligen war bislang höchstens zum Spazierengehen im Wald. Aber jetzt, ausgerüstet mit Lochspaten, Fluchtstäben und Pflanzsäcken, steht unser Grüppchen frühmorgens mitten im Stadtwald, bereit für den Beginn eines einwöchigen Arbeitseinsatzes.

Der Wunsch, möglichst viel draußen zu sein, nette Menschen zu treffen und gemeinsam etwas Sinnvolles zu tun, hat uns Waldarbeiter auf Zeit – vom Studenten bis zur Vorruheständlerin – aus ganz Deutschland und der Schweiz in den Spessart geführt. Die 64-jährige Jutta aus Münster zum Beispiel ist dabei, weil sie sich im Urlaub engagieren will, Ima aus Göttingen hofft, nach ihrem gerade abgeschlossenen Politikstudium mit solider Handarbeit den Kopf wieder frei zu bekommen. Und Holger aus Hamburg, 39 Jahre alt und als IT-Administrator voll im Beruf eingespannt, tauscht zum Ausgleich regelmäßig den Computer gegen Säge und Spaten.

Unser Einsatzort im Stadtwald bietet einen eher ernüchternden Anblick – ein Trümmerfeld aus Baumstümpfen und abgebrochenen Ästen, die wie Mikadostäbe durcheinandergewirbelt wurden. Wo Orkan „Kyrill“ zu Beginn vergangenen Jahres gewütet und Hunderte von Fichten umgelegt hat, sollen nun 7500 neue Bäumchen in die Erde gesetzt werden. Allerdings heimische Laubbäumen anstelle des flach wurzelnden Nadelbaumes. Ein naturnaher Mischwald, so die Hoffnung, wird den durch den Klimawandel verursachten zunehmenden Wetterextremen besser standhalten. Der Waldumbau gehört zu den derzeit dringendsten Anliegen der Forstwirtschaft.

Schon ist ein Teil dabei, Eichenpfähle zu entladen und rund um das Gelände zu verteilen – erste Vorarbeiten für den Zaun, der später die Bäume vor Reh und Wildschwein schützen soll. Mit Werkzeugen wie Wiedehopf und Gertel – vorher nie gehört, geschweige denn gesehen oder in der Hand gehabt – wird zunächst das gröbste Geäst entfernt, dann werden Löcher mit dem Vorlocheisen in den Boden gedrückt, um anschließend die Pfähle darin einzuschlagen. Man hört es eifrig klopfen, hämmern und knallen, wenn die schwere Ramme niedergeht. Ganz schön schweißtreibend ist die Arbeit. Recht hatte der Förster: Knochenarbeit.

Frühstück! Endlich, die erste Pause. Um ein kräftig qualmendes Lagerfeuer hocken wir wie Pfadfinder auf herumliegenden Baumfragmenten. Käse, Brot und Äpfel kommen zur Stärkung aus der großen Proviantkiste, heißer Tee aus der Thermoskanne. Zum Nachtisch spendieren die Schweizer Helfer von ihrem unerschöpflichen Vorrat an Schokolade – süßer Trost gegen die frühe Erschöpfung und den wüsten Anblick ringsumher.

Die 7500 spindeldünnen, knapp 50 Zentimeter langen Stämmchen sind bündelweise am Wegesrand deponiert. Gepflanzt werden sie mitten hinein in das Chaos aus Stümpfen, Wurzellöchern, Strünken und Ästen. Etwas verloren steht die erste Buche da. Das zarte Pflänzchen ist kaum zu erkennen. Dafür wurde es aber mit besonderer Sorgfalt ausgesucht, in das säuberlich ausgehobene Pflanzloch gesteckt, mit Erde bedeckt, festgetreten, fotografiert und mit guten Wünschen bedacht. Möge sie wachsen und gedeihen.

Mühsam gräbt man sich so durch, selten geht das Pflanzen einfach von der Hand. Entweder man bekommt den Spaten nicht in die Erde, oder das Blatt bleibt darin stecken. Ich werde immer langsamer und lahmer. Fluche auf den Spaten, die Bäume, die Kälte, meinen Rücken, die Knie. Und den Förster. Lange vor Feierabend tun alle Glieder weh, schmerzt sogar jeder einzelne Finger. Knochenarbeit! Die Sehnsucht nach einem heißen Bad zu Hause wächst, doch stattdessen erwarten uns karge Mehrbettzimmer mit Gemeinschaftsdusche auf dem Flur – Komfortverzicht gehört hier zum Konzept.

Schlafen wie ein Stein – hier passiert es tatsächlich. Wie aus einem traumlosen Koma erwacht man erst, als es an die Tür klopft: sechs Uhr, Zeit zum Aufstehen. Das geht nur in Zeitlupe, aber es geht. Die Strategie für die weiteren Tage: Schongang einlegen. Weiter geht es mit dem Pflanzen. Esche, Buche, Ahorn in möglichst geraden Reihen, immer im Wechsel, immer im gleichen Abstand. Das wirkt ganz furchtbar deutsch. „Aber das machen wir nicht, weil es hübsch aussieht, sondern weil es später die Pflege erleichtert“, erklärt Armin Sachs, Forstingenieur und Projektleiter im Bergwaldprojekt. Erst ganz allmählich wird aus diesen schnurgeraden Reihen ein kleiner Wald wachsen, bis in 30 oder 40 Jahren das Muster kaum mehr erkennbar sein wird, weil in der Zwischenzeit etliche Bäume auf der Strecke geblieben sind. „In 120 oder 140 Jahren, wenn das Holz erntereif ist, werden von den 7500 Stämmchen gerade mal 70 große Bäume übrig sein“, sagt Armin. Schade, wir werden es nicht mehr erleben.

Nach einer Woche ist ein Großteil der Bäume gepflanzt, der Zaun fast fertig. Den Rest werden professionelle Waldarbeiter erledigen. Ein neuer kleiner Wald ist entstanden, mit viel Mühe und viel Engagement. Auch wenn er nur ein ganz winziger Ersatz für die 60 Millionen Bäume ist, die allein „Kyrill“ auf dem Gewissen hat: Hier hat jeder einen ganz persönlichen Beitrag geleistet und obendrein eine Menge über den Wald gelernt. Das wirkt noch lange nach. In zehn Jahren werde ich sie mal besuchen, unsere Buchen.

Uta Bangert

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