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Bodenmais: Schweinshaxe mit Superstar

Bodenmais im Bayerischen Wald stand lange für geruhsamen Urlaub. Zu beschaulich, findet der junge Bürgermeister und organisiert Events im Ort.

Der Kellner hat Stress. Wie soll er zehn Schweinshaxen an Tisch 7 gleichzeitig servieren? Dort, wo die Honoratioren sitzen und niemand auf sein Essen warten will? Zum Glück hilft ihm ein Kollege. „Die“, deutet einer der Herren auf die größte Portion, „bekommt mein Gegenüber.“ Der Betreffende schaut auf, nickt und macht sich umgehend über die goldbraun gegrillte Haxe her. Das wäre hier im „Dorfstadl“ in Bodenmais nichts Ungewöhnliches, wenn, ja wenn der Betreffende nicht Daniel Küblböck hieße und vor gut einer Stunde den Marktplatz des Städtchens in ein Hexenkesselchen verwandelt hätte. 2600 Fans grölten nach Kräften, als der 24-Jährige sein „Born in Bavaria“ gegen die Wände des 955 Meter hohen Silberbergs schmetterte. Küblböck, der Entertainer im Westentaschenformat, ist so etwas wie ein Werbeträger von Bodenmais geworden.

„Die Haxe hat sich der Künstler zum Abendessen gewünscht“, sagt Michael Adam schmunzelnd und findet, dass das „eine prima Werbung für unsere Gastronomie ist“. Michael Adam weiß, wovon er spricht. Er ist der Bürgermeister von Bodenmais, gerade ein paar Monate älter als Küblböck und mit 25 Jahren Deutschlands wohl jüngster Rathauschef. Seine Wahl im Mai 2008 war eine politische Sensation. Michael Adam, notierte die „Süddeutsche Zeitung“ süffisant, sei alles, was man in dieser Region nicht sein sollte: jung, evangelisch, schwul und SPD-Mitglied. Aber was soll’s? Hauptsache, der Jungpolitiker produziert Schlagzeilen, trommelt für den kleinen Kurort und füllt die klamme Gemeindekasse. Erfolg stellt sich ein: Im vergangenen Sommer lag der Zuwachs an Gästen bei fast 25 Prozent.

Damit tritt Michael Adams in die Fußstapfen seines Vorvorgängers. Als es im Silberberg Ende der 1950er kein Silber mehr zu schürfen gab und Bodenmais der wirtschaftliche Kollaps drohte, fuhr der damalige Bürgermeister Siegfried Weikl gemeinsam mit einer Trachtenkapelle nach West-Berlin und rührte dort lautstark die Werbetrommel. Mit Erfolg. Die Insulaner schlossen das 3500-Seelen-Städtchen ins Herz und kamen in Scharen. Bodenmais – wie der Bayerische Wald überhaupt – stand für preiswerten, erholsamen Urlaub. Ein komfortables Bett mit Frühstück, Mittag- und Abendessen kostete damals 50 D-Mark. Pro Woche, versteht sich ...

Bodenmais, Zwiesel, Frauenau, Regen und Bischofsmais, sie alle zählen nicht zur Champions League der alpinen Wintersportadressen. Wer im Bayerischen Wald Urlaub macht, legt weder Wert auf schwarze Pisten noch auf ausgeflippte Unterhaltung beim Après-Ski. Von den Auftritten eines mit Erfolg bei „Deutschland sucht den Superstar“ gescheiterten Küblböck natürlich mal abgesehen. „Unsere Gäste reisen mit Familie an, suchen den Einklang mit der Natur, gönnen sich eine beschauliche Auszeit von der Hektik des Alltags oder wollen ohne Zwang und Stress einfach nur aktiv sein.“ Susanne Wagner, Touristikmanagerin des Landkreises Regen ist offenbar zufrieden mit dem, was die Region Urlaubern zu bieten hat. Besonders in Wintern wie diesem. Wo alle Loipen gespurt und auch Abfahrten am Großen Arber nicht ohne Reiz sind.

Für das bunt zusammengewürfelte Touristengrüppchen, das sich am Eingang des Ski-Landesleistungszentrums Hohenzollern eingefunden hat, ist Skilanglauf im Winter das Schönste. Nach großem Hallo und ein paar Aufwärmrunden in der Loipe geht es dann auch noch zum Schießstand der Anlage. Die Erfolge deutscher Athleten beim Biathlon motivieren halt. „Kaliber 22“, sagt Max, hält eine Patrone hoch und drückt jedem Teilnehmer ein Biathlongewehr in die Hand. „Schon einmal geschossen?“, fragt der Betreuer in die Runde. Nö, höchstens auf dem Rummelplatz. „Okay, dann hinlegen, die Beine grätschen, Becken drehen, den Lauf der Waffe zwischen Zeige- und Mittelfinger, durchladen, konzentrieren, das Ziel anvisieren und ... Schuss.“ Aber hallo! Anfängerglück: fünf Schuss, drei Treffer. Und das auf 50 Meter Distanz. „Sehr schön“, lobt Max, „doch leider die falsche Scheibe.“

Einen Schneeballwurf weiter rollt der Arber den Abfahrtsläufern den weißen Teppich aus. Mit 1456 Metern ist der Berg sozusagen „das Höchste am Bayerischen Wald“. Eine Gondelbahn, zwei Sechser-Sessel- und drei Schlepplifte befördern hier Skifahrer und Boarder zum Gipfel (Liftkarte: 26 Euro/Tag). Ja, und man pflegt die Pisten und damit die Gäste. Ganz entspanntes Abfahren ist hier Trumpf. Zum Teil sind die Pisten auch mit Flutlicht ausgestattet, Schneekanonen sind hingegen derzeit überhaupt kein Thema. Alles perfekt – allein der Rausch der Geschwindigkeit will sich nicht recht für die einstellen, die es brauchen. Auch das Gesamtpistennetz von 15 Kilometern erscheint etwas kurz. „Dafür“, argumentiert Susanne Wagner, „schmälern weder Föhn noch Lawinen den Brettlspaß.“ Und für Genießer ist die mehr als sieben Kilometer lange Abfahrt nach Bodenmais besonders zum Ausklang des Skitages immer ein besonderes Vergnügen.

Doch nicht nur Wildnis, Winter und Woid – wie die Einheimischen ihren Wald nennen – sind die Aushängeschilder der Region. Geschichte zum Anfassen bietet zum Beispiel Bayerisch Eisenstein. Jahrzehntelang verlief die Grenze zwischen Ost und West, zwischen Kommunismus und Kapitalismus durch den Bahnhof des kleinen Bergarbeiterortes. Heute ist er eine Art Begegnungsstätte, in der man sich über die Gegensätze von früher informieren kann. Außerdem wird hier Deftiges (unglaublich preiswert) aus der böhmischen Küche geboten. Und im Eisenbahnmuseum kommen nicht nur „Pufferküsser“ ins Schwärmen.

Viele Besucher lassen es sich auch nicht nehmen, wenigstens einen Ausflug über die Grenze hinaus zu machen. Rund eineinhalb Autostunden südlich von Bayerisch Eisenstein lockt vor allem Ceský Krumlov (Böhmisch Krumau) mit mittelalterlichem Bauspektakel. Das gewaltige Schloss ist der zweitgrößte historische Bau Tschechiens nach der Prager Burg. Und der historische Kern der Stadt am Ufer der Moldau darf sich sogar im Glanz der Unesco-Weltkulturliste sonnen.

Wieder auf bayerischem Boden sind Passau und Regensburg kulturhistorische Schwergewichte. Während sich Passau am Zusammenfluss von Inn, Donau und Ilz eher als Erbe italienischer Paläste und römischer Kastelle versteht, präsentiert sich die Unesco-Weltkulturerbestadt Regensburg als Melange aus gotischen Stadthäusern, barocken Kirchen und der fürstlichen Pracht der von Thurn und Taxis.

In Regensburg studiert übrigens der forsche Jungbürgermeister Michael Adam Politologie und Volkswirtschaftslehre. Ob er, wie – nicht nur – die lokalen Medien munkeln, demnächst in Berlin auf der Karriereleiter nach oben klettern wird? Seinen Weggefährten in Bodenmais erscheint das derzeit wenig wahrscheinlich. Schließlich ist er Mitglied der SPD. Und der erste Anlauf in Richtung Berlin hat bei der jüngsten Bundestagswahl nicht geklappt. Michael Adam versteht es allerdings, mit Niederlagen sportlich umzugehen. Außerdem gibt’s in Bodenmais noch genug zu tun.

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