zum Hauptinhalt
Brückenblick. Bei Bénodet mündet der Odet in den Atlantischen Ozean. Ein fantastisches Revier für Boote aller Art.

©  Hella Kaiser

Bretagne: Wo Emile Zola spazieren ging

In der Nachsaison entfaltet das bretonische Seebad Bénodet seinen ursprünglichen Charme. Wem es zu kühl wird auf dem Küstenwanderweg, der taucht beim Thalasso in warmes Meerwasser.

Die Auswahl an Ansichtskarten ist riesig in Bénodet. Etliche zeigen das charmante Seebad an der Mündung des Odet-Flusses in leuchtenden Farben, andere fangen die sanfte Schönheit der bretonischen Riviera ein. Auf vielen Karten wird jedoch mit hämischer Ironie das Wetter aufs Korn genommen. Schließlich ist es oft ein wenig feucht im Finistère, dem westlichsten Zipfel der Bretagne. Eine Postkarte zeigt zum Beispiel, wie Anhänger der Freikörperkultur ihrer Passion in der Bretagne frönen: Da stehen zwei „Naturistes“ als Comicfiguren barfuß am Strand, doch sie tragen Regencapes und haben über sich noch einen Riesenschirm aufgespannt.

An diesem Septembertag ist für alle jeglicher Schutz überflüssig. Nur ein paar unschuldige weiße Wölkchen stehen am knallblauen Himmel. „Es gibt auch graue Tage bei uns“, gibt Christian Pennanech, Bürgermeister von Bénodet, freimütig zu. „Aber die gehen rasch vorüber, das Wetter wechselt schnell, und immer wieder kommt die Sonne durch.“ Vor allem im Hochsommer sei es äußerst angenehm, brütende Hitze gebe es nie.

„Mit seinem Klima, seinen Feigenbäumen und seinem klaren Himmel erinnert es an die Côte d’Azur“, schwärmte der Dichter Guillaume Apollinaire im 19. Jahrhundert. Vielleicht verbringen deshalb viele Franzosen aus dem Süden hier ihre Ferien. Von Mitte Juli bis Ende August sind die vier feinsandigen Strandbuchten von Bénodet pickepackevoll. Wer nicht reserviert hat, bekommt abends keinen Tisch in den Restaurants. In der übrigen Zeit hingegen verströmt das kleine Seebad jenen besonderen Charme, der Maler, Schriftsteller und später Prominente magisch anzog.

Emile Zola schrieb hier 1884 sein Werk „La joie de vivre“ (Die Freude am Leben), knapp zehn Jahre später verliebte sich die Schauspielerin Sarah Bernhardt in den Ort und mietete sich gleich die komplette zweite Etage im Grand Hotel. Außen sieht die einst noble Herberge am Hafen noch genauso aus wie auf alten Schwarz-Weiß-Fotos. Innen allerdings wurde sämtliche Patina entfernt, gediegenes Mobiliar durch zweckmäßiges ersetzt. Jegliches Ambiente, perdu.

Natürlich ist die neue Zeit nicht spurlos vorübergegangen an dem kleinen Ort mit seinen 3250 Einwohnern. „Wir haben 25000 Zweitwohnsitze und Ferienwohnungen“, sagt der Bürgermeister. Aber weil die überwiegend in der zweiten und dritten Reihe existierten, wirke der Ort auch außerhalb der Saison nie tot. „Im Herzen von Bénodet gibt’s keine verrammelten Fensterläden, Geschäfte und Restaurants sind das ganze Jahr über geöffnet.“ Das liegt vor allem am 17 Kilometer entfernten Quimper, der Hauptstadt des Finistère.

Bei Tisch muss man sich überraschen lassen

„Wie die Pariser zu ihrem Paris-Plage in Le Touquet im Norden fahren, so kommen die Bewohner von Quimper nach Bénodet an die Küste“, sagt Christian Pennanech. Die Promenade am Meer und der aussichtsreiche Küstenwanderweg seien immer attraktiv. Sogar, wenn es draußen unwirtlich ist. „Zur Regenzeit im November laufen Einsame starr vor Glück, Paare, nass und eng umschlungen, ganze Familien durchs saftige Gras, überspringen Rinnsale aus reiner Freude, aus reinem Wohlbehagen, mit dem Regen vereint zu sein“, staunte der Schriftsteller Gérard Le Gouic.

Die allenthalben angebotenen Meeresfrüchte schmecken auch, wenn sie nicht auf den luftigen Terrassen serviert werden. In jedem Fall kommt neben den überbordenden Platten etliches Werkzeug auf den Tisch: Gäbelchen, um das Fleisch aus den Krabben zu pulen, lange Nadeln, um die Schnecken aus ihren Gehäusen zu stochern, dazu Zangen zum Knacken der Beine großer Langusten.

Wer die fruits de mers partout nicht mag, bestellt sich Fisch – oder Crêpes. Im Lokal La Mouette Rieuse stehen mehr als 30 herzhafte Varianten und dazu noch 15 süße auf der Speisekarte. Was genau steckt jeweils drin? Um das bei der Bestellung herauszufinden, muss der Gast Französisch können. Nirgends macht man sich die Mühe, englische oder gar deutsche Übersetzungen der Gerichte hinzuzuschreiben. Dabei hatte der Bürgermeister stolz erzählt, dass jährlich mehr Engländer und auch Deutsche nach Bénodet kommen. Die müssen sich bei Tisch eben überraschen lassen.

Auch bei den Anwendungen im Thalasso-Zentrum des Ortes, wo originales Meerwasser in Pool und Wannen fließt, hält sich keiner mit englischen oder gar deutschen Vokabeln auf. Was macht’s? Bei der Wassergymnastik braucht jeder nur nachzuahmen, was die Trainerin am Beckenrand vorturnt. Und die Rückenmassage unter unaufhörlich fließendem, warmem Meerwasser, das aus mehreren Brauseköpfen rieselt, ist am besten schweigend zu genießen. Wer einen halben Thalasso-Tag gebucht hat, darf zum Abschluss noch in einer Sprudelwanne liegen. Sehr gesund soll das alles sein. In jedem Fall ist es so entspannend, dass der Mensch aufpassen muss, im warmen Wasser nicht einzuschlafen.

Immer ist jemand dabei, der Dudelsack spielt

Quimper. Die Place du Beurre lädt zum Verweilen ein.
Quimper. Die Place du Beurre lädt zum Verweilen ein.

© Hella Kaiser

Stolz trotzt das Finistère allen drohenden Globalisierungstendenzen. „Wir leben hier sehr traditionell“, erzählt Sarah Bélasky, Tourismusdirektorin von Bénodet. So steht unter jedem französischen Ortsnamen auch die bretonische Bezeichnung. 1985 wurden die zweisprachigen Namensschilder auf Druck der Bevölkerung eingeführt. Doch nur noch etwa 150 000 Menschen sprechen das keltische Idiom, das Flüchtlinge aus Großbritannien einst hierher mitbrachten. Nur in wenigen, meist privaten Schulen wird es gelehrt, und die Unesco stuft Bretonisch als „ernsthaft gefährdete Sprache“ ein.

Umso wichtiger nehmen die Einheimischen ihre Pardons, wie die vielen Feste und Prozessionen der Gegend heißen. Dann werden die bunten Trachten hervorgeholt und die wunderbar sentimental klingenden, bretonischen Lieder gesungen. Immer ist jemand dabei, der hingebungsvoll Dudelsack spielt. Und selten dauert’s länger als fünf Minuten, bis sich Paare zum Tanzen finden.

Auch der Bol, jene große, henkellose Tasse, die anderswo in Frankreich aus der Mode gekommen ist, wird hier in Mengen feilgeboten. Traditionell wird der jeweilige Vornamen draufgepinselt. „Jeder Bretone besitzt einen Bol“, sagt Sarah, „die meisten bekommen ihn als Kind.“ Natürlich habe sie auch einen. Und selbstverständlich auch einen blau- oder rot-weiß geringelten Pullover. Kaum eine Modeboutique in der Region, die diese typischen Bekleidungsstücke nicht im Sortiment hat.

Quimpers Altstadt mit ihren rustikalen Fachwerkhäusern, manche stammen noch aus dem 14. Jahrhundert, eignet sich vorzüglich für einen Ausflug. Verlaufen kann man sich nicht, weil die spitzen hohen Türme der Kathedrale Saint Corentin von überall her zu sehen sind. Passiert man die Place du Beurre muss man allerdings standhaft sein. Wie das duftet! Gleich sieben Crêperien locken rundherum. Schnell weg und schnurstracks in das Museum der Schönen Künste, das die bedeutendste Sammlung bretonischer Malerei birgt.

Auf vielen Bildern spielt, wen wundert’s, das Wetter eine Rolle. Auf einem Gemälde von Jean-Julien Lemordant etwa spazieren Menschen ein wenig schief und mit flatternden Kleidern am Strand entlang. „Dans le vent“ (Im Wind) hat er es 1907 betitelt.

Die Kathedrale Saint Corentin, die mit ihren hohen spitzen Türmen die Stadt Quimper überragt, ist eine der drei ältesten gotischen Kathedralen der Bretagne.
Die Kathedrale Saint Corentin, die mit ihren hohen spitzen Türmen die Stadt Quimper überragt, ist eine der drei ältesten gotischen Kathedralen der Bretagne.

© Hella Kaiser

Spiegelglatt liegt an diesem Nachmittag das Meer vor Concarneau. Auch hier gibt es Strände, doch die meisten Touristen schlendern gleich in die „Ville Close“. So heißt die Altstadt, weil sie sich inmitten einer trutzigen Festungsanlage befindet. Kanonen und Schießscharten zeugen von der Vergangenheit. Innen wird kaum noch gewohnt, sondern ausschließlich konsumiert. Läden, Cafés, Bistros. Da liegt Schönes neben billigem Tand, Erlesenes neben Massenware, Kunst neben Imitat. Bäckereien konkurrieren mit Eisläden um Kunden. „Concarneau muss man gesehen haben“, findet Sarah Bélasky.

Aber möchte man hier einen ganzen Urlaub verbringen? Schon sehnen wir uns zurück ins unaufgeregte Bénodet. In die Oase der Villa Ker Moor, ein mehr als 100 Jahre altes Hotel. Etwas zurückgesetzt von der Promenade liegt es in einem verwunschenen Park mit hochgewachsenen knorrigen Schirmakazien. Für die Hausgäste werden mittags und abends die Menüs im gediegenen Speisesaal aufgetragen. Gourmets können hier glücklich werden.

Wie in Polynesien

Der Blick aufs Meer weckt Sehnsüchte, hinauszufahren. Täglich starten Fährschiffchen zum Archipel der Glénan-Inseln. Sieben winzige Eilande sind es. Bis auf eins gehören sie den Vögeln, die hier ihre Schutzräume haben. Auch der Kormoran, der 20 Meter tief tauchen kann und vier Kilo Fisch am Tag vertilgt, wie die Schiffsbegleiterin – natürlich ausschließlich auf Französisch – durchs Mikrofon erzählt. Auf der Insel Saint Nicolas darf man aussteigen und kann das flache Eiland mit seinen weißen Puderzuckerstränden zu Fuß umrunden. Drumherum leuchtet das türkisfarbene Meer. „Das ist wie in Polynesien“, sagt ein Mann versonnen zu seiner Begleiterin. Früher, so wird erzählt, versteckten sich Piraten auf diesen Inseln. Und manch ein Schiff versank, nachdem es einen der tückischen Felsen unter Wasser gerammt hatte. „Das passiert heute nicht mehr“, sagt Kapitän Jerôme Keck, „es gibt ja detaillierte Navigationskarten.“

Vor zehn Jahren hat der Pariser seinen einstigen Job als Lkw-Fahrer aufgegeben, um sich in der Bretagne als Schiffsführer zu verdingen. Aber, wird diese Arbeit im immer gleichen Revier nicht langweilig? „Nein“, sagt er zufrieden, „kein Tag gleicht dem anderen, weil das Wetter oft wechselt und immer eine andere Atmosphäre herrscht.“ – „Möchten Sie nicht irgendwann zurück nach Paris, Monsieur?“ – „Jamais, niemals“, sagt er im Brustton tiefster Überzeugung.

Hervé Lucard käme sowieso nicht auf die Idee, von hier fortzuziehen. Er wurde in Bénodet geboren. Seit vielen Jahren bedient er die Fußgängerfähre des Ortes hinüber zum anderen Ufer des Odet-Flusses nach Saint Marine. Wenige Minuten nur dauert die Tour auf die andere Seite. 40 Passagiere kann Hervé befördern und im Sommer muss er höllisch aufpassen. „So viele Boote fahren hier herum, und manche halten sich einfach nicht an die Regeln.“ Meist sind es Segelschiffe. Der Ort ist stolz darauf, 750 Bootsliegeplätze anbieten zu können. Davon befinden sich 500 an Piers und 250 an Bojen.

Bis 1972 verkehrte eine viel größere Fähre in der Flussmündung. Sie konnte auch Autos mitnehmen. Doch die fahren längst über die Cornouaille-Brücke, die beide Ufer des Odet in beeindruckender Höhe überspannt. Ein gigantisches Monstrum aus Beton, das die Unesco, sollte man sie ums Gütesiegel für die traumhaft gelegene (Wasser-)Landschaft bitten, sicher monieren würde. „Aber der Blick von oben ist wunderbar“, sagt Sarah Bélasky, die ihn täglich auf dem Weg zur Arbeit genießt.

In der Tat. Unten dümpeln rote, weiße oder gelbe Boote im grünblauen Wasser, aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Hochgewachsene Pinien säumen die Ufer, in grauem Granit steht die Kirche von Bénodet, pittoresk erhebt sich der schlanke Leuchtturm. Die Szenerie findet sich auf vielen Aquarellen und Gemälden zeitgenössischer Maler wieder. Denn natürlich kommen die Künstler immer noch mit Pinseln und Farben in das Seebad. Tradition verpflichtet.

Zur Startseite