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Dem Alltag entrückt. Ein gemütlicher Ort zum Lesen beflügelt die Fantasie. Foto: Imago

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Buchhotels: Ein Platz für mein Buch

Immer mehr Hotels kümmern sich um Gäste, die gern und viel lesen wollen. Es gibt Buchhotels, in denen Schlafen und Essen zur Nebensache wird und Hotels, die Autoren einladen.

Zeit für ein gutes Buch haben viele Menschen nur im Urlaub. Schon bei der Anreise im Flugzeug oder im Zug bleiben ein paar Stunden, um zu lesen. Oder der Lieblingsschmöker wandert in Italien mit in die Strandtasche. Auch am Abend nach dem Sightseeing-Trip durch London hat der ein oder andere noch Muße für ein paar gute Seiten. Für echte Leseratten rückt das Buch in den Ferien sogar in den Mittelpunkt: Es gibt Buchhotels, in denen Schlafen und Essen zur Nebensache wird und Hotels, die Autoren einladen. Da kann der Gast gleich auf Tuchfühlung gehen mit dem Schreiber. Immer öfter entwickeln sich aber ganze Städte und Dörfer zu Literaturzentren für Urlaubsgäste: Was mit dem Bücherdorf Hay on Wye in Wales begann, findet seine Fortsetzung zum Beispiel in Norwegen oder Wien, das sich zum literarischen Zentrum aufschwingt.

Eine gut sortierte Bibliothek, Lesesessel- und lampen, Hörbücher, MP3- Player, Zeitungen und Zeitschriften. Nein, das ist nicht die Ausstattung der Stadtbücherei um die Ecke, sondern das Anforderungsprofil für die sogenannten Bibliotels. Mehr als 150 Hotels gehören mittlerweile zu der in Österreich gegründeten Marke, die dem Urlauber literarisches Vergnügen verspricht. Die Häuser sind in unterschiedliche Kategorien eingeteilt: Statt Sterne gibt es zwischen zwei und fünf Büchern. In der höchsten Kategorie landen nur Hoteliers, die mindestens 1500 Werke bereit halten. Die meisten Mitglieder sitzen in Österreich, der Rest in Italien, Deutschland, Frankreich und Griechenland. Bald sollen weitere in der Schweiz folgen.

Fünf Bücher hat zum Beispiel das Insel-Hotel in Lindau bekommen, das auch einen Literaturschmaus anbietet und seine Gäste im Goethe- oder im Daniel Defoe-Zimmer einquartiert. Auf vier bringt es immerhin das Mas La Colline in der Region Rhône-Alpes (Frankreich). Es glänzt mit Lesenischen und neben zahlreichen Werken „frankophiler Autoren der Belletristik“ auch mit einer stattlichen Comic-Auswahl. Mit von der Partie ist auch das Hotel Haus Duden, in dem der Begründer der deutschen Rechtschreibung geboren wurde.

Die Bibliotels sind allerdings nicht die einzigen, die um lesebegeisterte Gäste werben: Im Gutshotel Groß Breesen in Mecklenburg-Vorpommern stapeln sich angeblich 300000 Exemplare bis unter die Decke. Auch auf diese Weise kann man sich Stammgäste schaffen. In Iserlohn hat eine findige Geschäftsfrau ihre Buchhandlung gleich ins Literaturhotel Franzosenhohl umgewandelt. Die Kunden hätten immer wieder den Wunsch geäußert, einmal eine Nacht in der Buchhandlung zum Durchschmökern verbringen zu dürfen. Im Hotel mit seinen knapp 3000 Büchern haben sie jetzt ausgiebig Gelegenheit. Außerdem stehen auch noch Schreibworkshops und Autorenlesungen auf dem Urlaubsplan.

Ganz neu auf dem Markt sind die Reading Hotels & Ressorts. Die Mitgliedsbetriebe wollen Autorenlesungen und Buchpräsentationen abhalten und Lese-Reisen anbieten.

Die Mutter des literarischen Urlaubs stammt übrigens aus Wales. Hay on Wye heißt das Dorf mit 1500 Einwohnern an der Grenze zu England, in dem drei Dutzend Antiquariate Bibliophile aus aller Welt anlocken. Der Buchhändler Richard Booth eröffnete 1961 seinen Laden und rief die Idee vom Bücherdorf aus. 16 Jahre später setzte er eine, für damalige Verhältnisse, bemerkenswerte Marketing-Aktion oben drauf, indem er das Örtchen zum Königreich ausrief und ihm endgültig zum Durchbruch verhalf. Vom 27. Mai bis zum 6. Juni findet in diesem Jahr das „Hay Festival of Literature & Arts“ statt.

Auch auf diesem Feld gibt es bereits Nachahmer: Das norwegische Örtchen Fjaerland hat mit 300 sogar noch weniger Einwohner als das Vorbild, brüstet sich allerdings mit 250000 Second-Handbüchern, die in zwölf kleinen Läden angeboten werden. Ganz bewusst wollten die Fjaerländer dadurch vor einigen Jahren den Tourismus ankurbeln. Zumindest was die Sommermonate betrifft, hat es funktioniert. Dann braucht das Dorf Unterstützung von Gastarbeitern und Literaturstudenten und nimmt sogar Urlauber auf, die für Kost und Logis beim Verkauf helfen. Von Dezember bis April bleiben die Läden allerdings geschlossen.

Auch anderswo können Urlauber der Literatur frönen. Im italienischen Farnese kann man einwöchige Kurse besuchen, in denen man angeblich das Rüstzeug fürs Romanschreiben erhält, Plots entwirft und Figuren und Dialoge entwickelt.

Der Veranstalter Vamos-Reisen bietet zweimal jährlich Kinderliteraturwochen an, wenngleich eher die Kreativität im Vordergrund steht. Es handelt sich um Workshops, die von Kinderbuchillustratorinnen geleitet werden. Es wird viel gemalt, die Kleinen sollen aber ein Gespür für Bücher entwickeln.

Wem Buchhotels oder literarische Reiseangebote aus dem Katalog zu künstlich sind, der sollte nach Österreich blicken. Die Stadt Wien ist ein Muss für Bibliophile: 38 Bibliotheken gibt es in der österreichischen Hauptstadt, dazu Literaturhäuser, Leseräume, wie jener der Gesellschaft für Literatur, ein Bücherschiff, philosophische Leserunden in Cafés und Kneipen, Literaturführungen, eine Buchmesse und als Höhepunkt im Herbst die Aktion „Eine Stadt. Ein Buch“, bei der jährlich 100 000 Exemplare eines bestimmten Werkes verschenkt werden.

Aber auch die anderen österreichischen Bundesländer müssen sich nicht verstecken. Zwischen August und Oktober macht die Aktion „StadtLesen“ in jeder Landeshauptstadt Station: Jeweils für vier Tage bauen die Initiatoren auf zentralem Platz Dutzende Sitzsäcke und Sofas auf und geben dort 2000 Bücher aus.

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