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Reise: Die bunten Nächte an der Corniche

Die Clubs und Bars von Beirut sind legendär. Die wahren Schätze des Libanon aber stehen in Byblos und Baalbek.

So könnte ein LSD-Rausch ablaufen: Riesige Ingwerknollen, überdimensionale Blumenkohlröschen und Pilze von bedrohlichen Ausmaßen erscheinen in geheimnisvollem Halbdunkel. Hier scheinbar ein Prophet mit gekrümmtem Rücken, dort ein Dämon – alles wie schockgefroren und viel zu groß geraten. Nur der schiefe Turm von Pisa, der seitlich aus einer Nische ragt, ist kleiner als das Original. Die Grotte von Jeita ist wahrlich eine bizarre Wunderwelt aus Stalaktiten und Stalagmiten – und eine Sehenswürdigkeit, die kaum einer im Libanon vermutet. Der Zedernstaat hat sich mehr oder weniger leise auf der touristischen Landkarte zurückgemeldet. Und Libanon ist mehr als Beirut, das man in diesen Tagen erleben und dabei auch die Gelegenheit beim Schopfe packen muss, die zahlreichen anderen Sehenswürdigkeiten des Landes zu erkunden.

Als der Amerikaner William Thompson bei einem Jagdausflug 1836 einen Schuss abgab und ein Echo vernahm, wurde die wundersame Grotte von Jeita per Zufall entdeckt und schließlich von 1873 an systematisch erforscht. Im 20. Jahrhundert bohrte man schließlich einen 117 Meter langen Tunnel, um sie für Besucher zu öffnen.

Zuerst gleiten wir im Elektroboot durch die untere, mit Wasser gefüllte Tropfsteinhöhle. Die Felsen reichen so tief herunter, dass wir die Köpfe einziehen müssen. Dann öffnet sich plötzlich ein Raum, hoch und feierlich wie eine Kathedrale. Die Schulklassen und Gruppen junger, iranischer Frauen, die draußen noch munter schwatzten, verstummen. Andächtig lauschen alle den Tropfen, die in regelmäßigen Abständen ins Wasser platschen. Danach schweben wir in der Gondel zur oberen Grotte, um zu Fuß in die 750 Meter lange Höhle zu gehen, die sich in zahlreichen Windungen durch das Karstgebirge schlängelt und jeden Besucher in ihren Bann zieht. Kein Wunder, dass Jeita mit 430 000 Gästen meistbesuchte Touristenattraktion im Land der Zedern ist. Dabei wurde die Höhle 20 Kilometer nördlich von Beirut während des Bürgerkriegs als Waffenlager missbraucht und arg zugerichtet.

Ihren jetzigen vorbildlichen Zustand verdankt sie General-Manager Nabil Haddad. Der Maschinenbauer, der in Niedersachsen promovierte, kehrte Mitte der 90er Jahre in seine Heimat zurück, um mit dem in Deutschland erworbenen Know-how die Grotte herzurichten. Er befreite sie nicht nur von Schutt und Müll, er ließ auch in Lübeck Elektroboote bauen und gab bei der Firma Doppelmayr eine Gondelbahn in Auftrag.

Noch immer haben die meisten Menschen außerhalb des Libanon Bilder von Krieg und Zerstörung im Kopf. „Die guten Nachrichten kommen eben kaum in die Medien“, klagt Elie Nammour von der Agentur Rida, die Exkursionen im Land organisiert. Dabei sei in den vergangenen Jahren ungeheuer viel passiert. Auch und vor allem in Beirut. Wo einst die Ruinen der von Kugeln und Granatsplittern durchsiebten Häuser standen, erhebt sich das neue Stadtviertel Solidère. Ockerfarbene Häuser mit filigranen Balkonen beschwören das alte Paris des Nahen Ostens, Luxusboutiquen locken zahlungskräftige arabische Touristen. Ein Stück weiter, zwischen Jachthafen und der legendären Strandpromenade Corniche, schießen zwanzig- oder dreißigstöckige Apartmenthäuser mit modernstem Komfort in den Himmel. „Unter 12 000 Dollar ist der Quadratmeter hier nicht zu haben“, weiß Elie. Auch die Hotellandschaft hat einen rasanten Aufschwung genommen. Internationale Ketten, von Mövenpick bis Four Seasons, haben hier mittlerweile ihre Ableger. Und das Intercontinental Phoenicia, einst Flaggschiff der Beiruter Hotellandschaft, wo Staatsmänner, Königsfamilien und Filmstars wohnten, kann heute wieder Berühmtheiten wie Catherine Deneuve und so manchen saudischen Prinzen begrüßen. Frisch renoviert beging es eben erst seinen 50. Geburtstag. Erlesener Marmor, kostbare Teppiche und prunkvolle Kristalllüster schmücken die Lobbybar, die Treffpunkt der begüterten Beiruter ist.

Viele Hoteliers glauben offensichtlich an das Reiseziel Beirut und locken mit zeitgenössischem Design jene an, für die die Stadt an der Levante Synonym für Lifestyle und ein aufregendes Nachtleben ist. Bei schönem Wetter sonnen sich Touristen auf der Aussichtsterrasse, schwimmen im Pool mit Blick auf Hafen und City und stimmen sich abends in der Bar ThreeSixty mit 360-Grad-Panorama auf das Nachtleben ein. Gleich gegenüber liegt das Ausgehviertel Gemmayzeh mit seinen Trendlokalen, wo sich die vergnügungssüchtigen Beiruter in protzigen Geländewagen oder Luxuskarossen den Weg durch die engen Straßen zu den einschlägigen Hotspots bahnen.

Wohin soll es gehen? In die Buddha-Bar? Oder die Sky-Bar mit ihrem grandiosen Blick über den Hafen? Allein in der Rue Gouraud reihen sich unzählige Clubs aneinander, einer angesagter als der andere. Überall wird gegessen, getrunken, Wasserpfeife geraucht, getanzt und ausgelassen gefeiert. Als gälte es, jede Minute auszukosten. Als könnte morgen schon wieder alles vorbei sein. Auch wenn sie manchmal fast etwas Zwanghaftes hat – die Lebenslust der Libanesen ist ansteckend.

Doch wäre es völlig verfehlt, das touristische Angebot des Landes auf Lifestyle, Shopping und Nachtleben zu reduzieren. Neben den schicken neuen Ausgehmeilen, der ausgezeichneten Küche und den edlen Tropfen, die die Weingüter in der Bekaa-Ebene keltern, gilt es hier vielmehr eine Kultur zu entdecken, die ihre Wurzeln in einer mehrere Jahrtausende alten Geschichte hat. Wo sonst stehen so viele Moscheen einträchtig neben christlichen Kirchen verschiedener Glaubensrichtungen? Wo sonst lassen sich freizügigst bekleidete, vielfach operierte Schönheiten neben tief verschleierten Musliminnen blicken, ohne dass sie aneinander Anstoß nehmen? Wenn das Miteinander von 18 Konfessionen im Alltag erstaunlich reibungslos funktioniert, dann deshalb, weil es hier Tradition hat und der Libanon schon immer Begegnungsstätte der unterschiedlichsten Zivilisationen war.

Davon können wir uns auf einem Ausflug nach Byblos überzeugen, das etwa 30 Kilometer nördlich von Beirut liegt. Kaum haben wir auf achtspurigen Schnellstraßen die unansehnlichen Vorstädte passiert, wo überdimensionale Werbetafeln und wild wuchernde Siedlungen den Blick auf die Küstenlandschaft verstellen, finden wir uns in einem malerischen Hafenstädtchen wieder. Die Bucht wird gesäumt von Bars und Fischrestaurants, davor schaukeln farbige Boote auf dem Wasser. Portofino? Mallorca?

Auf den ersten Blick sieht es aus wie irgendein idyllisches Fischerdorf im Mittelmeerraum. Dabei ist Byblos eine der ältesten bewohnten Städte der Welt. Die verschiedensten Völker haben hier ihre Spuren hinterlassen. „Perser, Amoriter, Phönizier, Griechen, Römer, Araber, christliche Kreuzritter, Mamelucken, Osmanen – alle waren hier“, erklärt Tona Kahlil, der im Winter als Skilehrer arbeitet und sich sonst als Guide betätigt. „Bevor Alexander der Große den Handelshafen eroberte, hinterließen ägyptische Händler den kunstvollen Sarkophag von König Ahiram.“ Wie wir uns später im Nationalmuseum von Beirut überzeugen können, lässt seine Inschrift ein erstmals fixiertes, auf Lauten basierendes Alphabet erkennen, das Vorbild für unser heutiges Schreibsystem wurde. Das eigneten sich wiederum die Griechen an, die die Stadt in Anlehnung an das Haupthandelsprodukt Papyrus auf den griechischen Namen Byblos tauften.

Noch viele andere archäologische Stätten zeugen von den Einflüssen, die den Libanon im Lauf der Jahrtausende geprägt haben. Absoluter Höhepunkt ist die Unesco-Welterbestätte Baalbek, die 85 Kilometer nordöstlich von Beirut zwischen Bekaa-Ebene und Antilibanon-Gebirge liegt. „Nicht in Rom, nein, hier, am Kreuzungspunkt der Handelswege von Damaskus zum Mittelmeer und von Nordsyrien nach Palästina bauten die Römer ihre größte Tempelanlage“, erklärt der Guide. 88 Meter lang und 48 Meter breit, zählte der Jupiter-Tempel einst 54 Säulen, jede für sich viele Tonnen schwer.

Weite Teile der damaligen Akropolis wurden durch Erdbeben, Krieg oder Plünderungen zerstört. Aber sechs Säulen des Tempels haben wundersamerweise die Zeit überdauert und behaupten sich heute als Wahrzeichen des Libanon. „Vieles gibt hier den Archäologen noch Rätsel auf“, räumt Toni Khalil ein. „Aber man muss bedenken, dass die Römer zwei Dinge hatten, die uns heute fehlen: Zeit und Glauben.“

Rund 300 Jahre habe es gedauert, bis das Werk um 249 nach Christus fertig wurde. „Die Erbauer hatten eine Vision – sich als unbezwingbare westliche Macht am Tor zu Asien zu präsentieren“, sagt Khalil. Kein Wunder, dass auch Kaiser Wilhelm II. bei seinem Besuch 1898 so beeindruckt war, dass er gleich nach seiner Rückkehr nach Deutschland neue Ausgrabungsexpeditionen zusammenstellen ließ.

Inzwischen ist die ehemalige Heliopolis Schauplatz für das alljährlich stattfindende Internationale Sommerfestival. Gibt es eine schönere Kulisse für die Musik von Plácido Domingo, Sting oder den New Yorker Philharmonikern als diese jahrtausendealte Begegnungsstätte von Orient und Okzident?

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