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Reise: Die Hymne der Diamanten

Südafrika hat faszinierende Schätze – und Probleme. Die WM 2010, so hoffen manche, wird helfen / Schienenkreuzfahrt (Teil 2)

Auf einer Freiluftterrasse des weitläufigen Einkaufszentrums Victoria & Alfred Waterfront Mall in Kapstadt steht ein dunkelhäutiger alter Mann und raucht. „Da oben auf dem Hügel bin ich groß geworden“, sagt er. „Bis sie mich vertrieben haben. Wissen Sie, was Apartheid bedeutet?“ Viele Fragen bewegen ihn. „Warum lernen die Menschen nicht, dass Gewalt nichts bringt?“, fragt er. „Warum macht Macht einen Neureichen nur noch korrupter?“ Kein Name fällt hier so oft wie der von Nelson Mandela. Wer zum ersten Mal in Kapstadt ist, wird überrascht sein, wie nah die Insel Robben Island wirkt, auf der Südafrikas berühmtester Held von 1963 bis 1990 ununterbrochen gefangen gehalten wurde. Man bekommt eine Ahnung davon, wie er durch die Präsenz dieses Anblicks in den Herzen seiner Anhänger gewachsen ist. Und wie schwierig es trotz allem immer noch sein muss, die Spätfolgen zu überwinden.

Leider ist der Tag in Kapstadt zu kurz, um ins Philosophieren zu geraten. Am nächsten Morgen beginnt die rund 6000 Kilometer lange Fahrt mit Rovos Rail durch fünf Länder bis Daressalam. Die Zeit reicht immerhin für einen Ausflug mit der steilen Seilbahn hoch auf den Tafelberg, das Wahrzeichen des Kaps der Guten Hoffnung, um den herum die Wolken tanzen, in Sekundenschnelle die Sicht verhüllen und wieder freigeben.

Abends lernt sich die Reisegruppe beim Sektpicknick auf dem Signal Hill kennen, um den Sonnenuntergang mit seinen pastellfarbenen Wolkenformationen zu genießen. Obwohl Kapstadt eine eher kleine Stadt ist, wirkt sie auf dem Rückweg wie ein mit Diamanten besetzter Lichterteppich. Unterwegs zum Hotel geht es vorbei am noch sehr unfertig wirkenden künftigen WM-Stadion. Im Laufe der Eisenbahnfahrt durch das Land wird in Gesprächen mit Südafrikanern deutlich, wie groß die auf die WM gerichteten Hoffnungen sind. Immer wieder werden frühere Sportereignisse zitiert, die das Wunder eines Gemeinschaftserlebnisses vollbrachten, das vorübergehend Schwarze und Weiße ohne Vorbehalte vereinigte.

Angesichts der vielen Sicherheitshinweise fühlt man sich ein bisschen komisch, wenn man allein an Gruppen schwarzer Jugendlicher vorbeigeht, und gleichzeitig schämt man sich für dieses Misstrauen. Sobald die Bahnreise mit Rovos Rail beginnt, braucht man sich selber um Sicherheitsfragen allerdings nicht mehr zu kümmern.

Es regnet, als die Gäste gegenüber vom Kapstadter Bahnhof in die Rovos-Welt eintauchen. Vor der stilvoll mit Polstermöbeln eingerichteten Lounge warten Hostessen mit Tabletts voller kühler Getränke und Mini-Sandwiches. Drinnen spielt ein Streichensemble „The Lion sleeps tonight“. Manche Gäste kennen sich schon von früheren Touren, viele sind weit gereist, mit dem „Jadekaiser“ durch China, mit dem „Diamant“ durch Namibia oder mit dem „Zarengold“ durch Sibirien. Ein bisschen wirken sie so, als warteten sie auf neue Zugreisen wie ihre Kinder und Enkel auf die neuen Harry-Potter-Folgen gewartet haben.

Einzeln werden die Gäste aufgerufen und von den Hostessen durch den Kapstadter Bahnhof zum Zug geleitet. Alle Rollläden sind runtergelassen. Erst als der Zug aus dem Bahnhof rausfährt, werden die Fenster geöffnet. Schränke und Safes werden eingeräumt, die Hostessen geben Erläuterungen der Suiten, die zwar von innen, nicht aber von außen abschließbar sind, wenn man beispielsweise zum Speisewagen geht. „Keine Sorge“, sagen sie. „Dafür sind die Waggontüren immer verschlossen.“

Für den Reisenden aus Europa ist das zunächst ein seltsames Gefühl: Im Zug ist man gewissermaßen unter sich, in einer geschlossenen Gesellschaft. Obwohl man die Mitreisenden noch gar nicht kennt, soll man ihnen schon vertrauen. Die potenziellen Gefahren von draußen, die Menschen auf den Bahnhöfen, werden hingegegen kategorisch ausgeschlossen. Immer wieder wird man auf den Kontrast zwischen alter Kultur und der aktuellen gefühlten Bedrohung durch Gewalt gestoßen. Ein Vortrag im Salonwagen über Südafrika endet mit der Hymne, die zu Zeiten der Apartheid aus einem Kirchenlied hervorgegangen ist. Dass die WM diesem Land hilft, einen Teil der Probleme zu überwinden, hoffen am Ende auch solche Reisende, die sich vorher weder mit Südafrika noch mit Fußball intensiv beschäftigt haben.

Die Sicherheit im Zug geht freilich bis ins Detail. Im Schrank liegt eine schnorchelartige Plastikbrille, die man zum Schutz der Augen aufsetzen soll, wenn man während der Fahrt aus dem offenen Fenster guckt. Draußen fliegen erste zartrosa Kirschblüten vorbei, leuchtend orangefarbene Blumen, Kakteen.

Am späten Nachmittag stoppt der Zug in Matijesfontein, einem 1100 Meter hoch gelegenen viktorianischen Museumsdorf. Graue Wolken hängen tief über dem gelben Licht der Gaslaternen, trotz der warmen 22 Grad herrscht winterliche Stimmung, Noch hat der Frühling nicht begonnen.

Ein Komiker macht bei der Dorfrundfahrt in einem antiken roten Doppeldeckerbus Witze, anschließend gibt es eine Führung durch das geschichtsträchtige Lord-Milner-Hotel. Im Pub wird Klavier gespielt und gesungen wie in einem alten Film. Am besten ist das Bahnhofsmuseum, in dem alles aufgehoben wird, was in diesem Dorf aus viktorianischer Zeit noch übrig ist, inklusive einer alten Apotheke und einer Kapelle. Im Eisenbahnmuseum fotografieren die Gäste alte Dampfloks, bevor ihr Zug sie zurückpfeift. Zum ersten Dinner gibt es Birnen-Roquefort-Törtchen und Rindersteak mit Rotweinsauce.

Am nächsten Nachmittag führt ein Ausflug nach Kimberley, dem Diamantenstädtchen, das zuerst „New Rush“ hieß, „Neuer Rausch“, weil hier 1871 ein Diamantenschlot entdeckt wurde. Rund um das „Big Hole“, in dem die Schatzsucher damals gegraben haben, gibt es Erläuterungen über die vereinigten Diamantenminen von De Beers Consolidated Diamond Mine. Noch heute bestimmt die Firma den Weltvorrat an Diamanten, und jedes Jahr treffen sich Topmanager aus New York, Hongkong, Amsterdam und Zürich hier zur Generalversammlung.

Im Informationszentrum gibt es eine Ausstellung zur Geschichte von Kimberley und außerdem die Möglichkeit, sich gleich mit teurem Diamantschmuck einzudecken. Als preiswerte Alternative werden aber auch Halbedelsteine angeboten. Die Diamanten entstanden vor 53 Millionen Jahren ungefähr 200 Kilometer unter der Erde. Der Farmer De Beers, auf dessen Grundstück sich das alles abspielte, zog später fort und kaufte anderswo ein Grundstück, auf dem ebenfalls Diamanten gefunden wurden.

Auch der hübsche Privatbahnhof von Capital Park nahe Pretoria ist ausgestattet mit Stilmöbeln und alten Landkarten. Südafrikaner mieten ihn gern, um Feste zu feiern, bei denen die Braut auf der Dampflok einfährt. Hausherr Rohan Vos, groß, grauhaarig, eine elegante Erscheinung, begrüßt die Passagiere mit Handschlag und führt sie durch sein Reich. Im hinteren Teil sind alte Lokomotiven aufgereiht, die alle die Namen von den Kindern und Hunden des Besitzers tragen. Vorn werden alte Waggons restauriert. Was er vorher gemacht hat? „Ich hatte Grundbesitz“, sagt er, und dass er mit Autoteilen gehandelt habe. Und nein, er habe als Junge keine Spielzeugeisenbahn besessen, sagt er. „Sonst gäbe es dies alles wahrscheinlich nicht.“ Nach dem Lunch, Kap-Hummerschwänze und Austern, geht es zur Stadtrundfahrt nach Pretoria, der Hauptstadt Südafrikas.

Am nächsten Morgen hält der Zug früh in Zeerust. Nach dem Frühstück versammeln sich die Passagiere mit kleinem Handgepäck auf dem Bahnsteig. Mit dem Bus soll es weitergehen auf Safari zum Madikwe Wildresevat. Wer den Bahnhof vor der geplanten Abfahrt verlassen will, wird höflich, aber bestimmt aufgehalten. „Sorry, wir können Sie da jetzt noch nicht rauslassen, weil wir keine Sicherheit draußen haben.“

Nächste Folge: Auf Safari

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