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Weithin sichtbar. Das Sacro Convento der Franziskaner und die Basilica di San Francesco in Assisi, in deren Krypta die Gebeine des heiligen Franz ruhen, sind an die Hänge des Monte Subasio gebaut.

© Galardini, picture alliance

Die kleine Schwester der Toskana: Apostel brauchen kein Telefon

Umbrien ist reich an Kirchen und Klöstern. Manche sind nun Hotels. Die Küche ist zu gut, um ein Asket zu werden.

Nur eine Straße führt nach Gubbio. Zweispurig schlängelt sie sich durch friedliche Landschaft: Hügel, an die sich uralte Dörfer klammern, Olivenhaine, Rebstöcke. Immer mal wieder wird in der Gegend der Wunsch nach einer Schnellstraße geäußert. Weil er bislang unerhört blieb, ist Gubbio ruhiger geblieben als Assisi und Perugia, die beiden touristischen Magnete Umbriens – obwohl die hier gedrehte Fernsehserie „Don Matteo“, in der Terence Hill einen durchtriebenen Geistlichen spielt, das Besucheraufkommen aus dem Inland deutlich erhöht hat.

Auf der Piazza Grande, die sich wie eine Bühne auf einem Plateau am Hang erstreckt, sitzen Einheimische und Urlauber auf Bänken in der warmen Sonne des Spätnachmittags. Die geradezu hypnotische Ruhe, die man in Umbrien an vielen Orten spürt, ist selbst in der mittelalterlichen Metropole noch fassbar. Fast ist es, als könnte nur die Erde selbst die Landschaft erschüttern, die sich im Lauf vieler Jahrhunderte kaum verändert hat.

„Erdbeben“, sagt der Stadtführer. „Man weiß, sie kommen. Deshalb muss man vorsorgen.“ Er deutet auf einen massiven Holzbalken, der im Vorbau des Doms ein Stück Mauerwerk stützt. In den uralten Straßenzügen der Altstadt Gubbios, die seit dem 15. Jahrhundert im Wesentlichen erhalten geblieben ist, stecken überall Erdbebenhaken: eiserne Klauen, die den Stein halten sollen, wenn die Fundamente knirschen.

Die Unruhe der Erde hinderte die Bewohner der Region nie, mit ihren Bauten himmelwärts zu streben. Mit dem Palazzo dei Consoli ragt in Gubbio ein von einem 60 Meter hohen Glockenturm gekrönter Wolkenkratzer aus dem 14. Jahrhundert in den Himmel. In der ältesten Stadt Umbriens muss er dennoch quasi als Neubau gelten. Schon in vorrömischer Zeit war der steile Hang von den Umbrern besiedelt. Von ihnen ist außer dem Namen, der heute die ganze, von Land umschlossene Region im Herzen Italiens bezeichnet, und sieben bronzenen Tafeln nichts geblieben. In die Tafeln sind teils in etruskischen, teils in lateinischen Buchstaben Texte graviert, die ein Regelwerk für Zeremonien darstellen – von religiösen Opfern bis zu rituellen Reinigungen. Sie bewahrt heute der hohe Palazzo, der im Mittelalter Sitz der Stadtregierung war.

900 000 Menschen leben in der Region Umbrien, deren Hauptstadt Perugia mit 170 000 Einwohnern auch ihre größte ist. Außerhalb dieser Universitätsstadt geht es fast überall ruhig, fast verschlafen zu. Das bedeutet nicht, dass sich hinter manch schlichter Fassade nicht Erstaunliches verbirgt. An einer Hauswand im 500-Seelen-Dorf Solomeo ist ein Zitat von Dostojewski zu lesen: „Das Schöne wird uns retten.“ Innen hat Brunello Cucinelli im Elternhaus seiner Frau seinen Firmensitz. Seit 1975 stellt er Kaschmirpullover her. Anfangs mit nur fünf Mitarbeitern.

Mit guten Sprachkenntnissen und verstellter Stimme ließ er seine Firma bei Telefonaten ins Ausland bereits groß klingen, als sie noch in ein Zimmer passte. Längst ist ein Unternehmen mit Geschäften in Paris und Peking daraus geworden. Der teure Kaschmir stammt zwar von Ziegen in der Mongolei und Nordindien, doch erst in Italien verwandelt er sich dank der Mitarbeit von 500 Familienbetrieben in Strickwaren mit dem Label „Made in Italy“. Dass der heute 59-jährige Bauernsohn es zu einem stattlichen Vermögen gebracht hat, ist auch Solomeo nicht schlecht bekommen. Nach und nach restaurierte Cucinelli das mittelalterliche Zentrum und baute 2008 im Dorf ein Theater mit 250 Plätzen. Die Aussicht von der Terrasse davor ist geblieben, wie sie war: Hügel und Felder, Zypressen und Olivenbäume verbinden sich zu einem Bild ewiger Schönheit.

Die Grenzen zwischen Kirche und Küche sind fließend

Obwohl die Wälder kleiner geworden sind, ist Umbrien noch immer auffällig grün und fast überall hügelig. Dass die alten Städtchen an Hängen kleben, liegt auch daran, dass Ebenen wie die um Assisi und zu Füßen Gubbios einst Sumpfgebiete waren. Erst machten sich Römer, später Benediktinermönche daran, sie trockenzulegen. Hier werden noch heute Weizen, Kichererbsen und Linsen angebaut, auch selten gewordene Hülsenfrüchte wie die Fagiolina-Bohne und Linsen aus der Hochebene um Castelluccio.

Urlaubern erleichtern Aufzüge oder sogar, wie in Perugia, Rolltreppen das Erklimmen der alten Städte. Es liegt nicht allein an der Verfügbarkeit moderner Technologie, sondern auch daran, dass sich die Lebensqualität deutlich gesteigert hat, seit Franz von Assisi 1206 auf der Flucht vor dem strengen Vater barfüßig nach Gubbio kam und die Stadt nebenbei vor einem gefräßigen Wolf rettete. Wölfe kommen im ländlichen Umbrien durchaus noch vor, Völlerei ist heute aber vor allem unter Menschen verbreitet. Und so ist es nach einem nicht ganz leichten Mittagessen aus Crostini, Schinken und Salami als Vorspeise, gefolgt von Risotto mit Kürbis und der so köstlich gewürzten Bratwurst Salsicce sowie einem Braten vom hiesigen Chianina-Rind an Rosmarinkartoffeln durchaus angeraten, Steigungen aus eigener Kraft zu nehmen.

Dies wäre nicht Italien, würde zwischen all den Kunstschätzen nicht fabelhaft mit Zutaten aus der Region gekocht. Außer im Fall des berühmten Franz, der dem Weltlichen konsequent entsagte, schlossen Leben in Kloster oder Kirche und der Genuss einander hier nie aus. Nicht umsonst brachte es der Orvieto Classico zum Lieblingswein der Päpste.

Mittlerweile sind die Grenzen zwischen Kirche und Küche gänzlich verschwommen. Zwar gibt das Straßenbild Assisis keinerlei Hinweise auf sinkende Priesterzahlen – an wenigen Orten nur sieht man so viele Ordens- und Messgewänder –, doch haben viele Klöster Umbriens ihre Bestimmung aufgegeben und sind Restaurant, Hotels oder beides.

Das gut 20 Kilometer von Assisi gelegene Relais San Biagio Antico Monastero ist mit zwölf nach den Aposteln benannten Zimmern ohne Telefon und Fernseher, mit nur spärlichem Mobilfunknetz und dezentem Komfort heute eine Herberge von klösterlicher Ruhe. Hier braut Giovanni Rodolfo nach Rezepten von Trappistenmönchen Bier. „Es ist eine schöne Art, die Ressourcen des Anwesens zu nutzen“, erklärt er bescheiden. Das Wasser Umbriens sei von ganz besonderer Qualität – nicht umsonst wird das Quellwasser des nahen Städtchens Nocera Umbra im ganzen Land verkauft – , das Malz stamme vom eigenen Land.

Fünf Sorten füllt er in elegante Sektflaschen ab, immerhin 250 000 Stück pro Jahr. Rodolfo, der früher bei Heineken arbeitete, passt mit langem grauen Bart und blitzenden Augen hervorragend in die Rolle des solitären Braumeisters. Seit 2008 stellt er in einem Wirtschaftsgebäude des Klosters seine Biere her, die klangvolle Namen tragen: Verbum heißt das Weizenbier, Gaudens das Pils, Monasta ein mit Honig und Lorbeer aromatisiertes Gebräu, Aurum ein goldenes Ale und Amber ein dunkles, malziges Bier.

In Assisi spürt man den Geist des heiligen Franziskus

1333 gegründet, war das in tiefer Stille in den Hügeln gelegene Kloster einst Rastort von Pilgern auf dem Weg ins Heilige Land. Schon um 1800 verließen die letzten Mönche das einsame Kloster. Doch erst kurz vor der Jahrtausendwende wurde es restauriert. Heute ist die Geschichte Geschäftsidee: Die weiblichen Angestellten tragen kleidsame ärmellose, bodenlange Kutten, die große Schleifen auf Taille bringen. Die entweihte Kapelle ist Spielort für Konzerte, an Silvester wird hier zu klassischer Musik festlich getafelt.

In Assisi ist die Religion mehr als nur Leitmotiv stilvoller Hoteldesigns. Hier wird ernsthaft gepilgert. In der Basilica Santa Maria degli Angeli, die zu den größten Kirchen der Welt zählt, werden mehrere Messen am Tag gelesen. Zum Hochamt um 11 Uhr erscheinen gleich fünf Priester. Klarissinnen und Franziskaner durchstreifen die Altstadt auf den Spuren des Franz von Assisi und der Heiligen Klara. Die Geschäfte der Stadt, in denen statt Schuhen, Handtaschen oder Teigwaren unterschiedlich geschmackvolle Olivenschalen, Lesezeichen und Geschirrtücher mit dem Aufdruck der Grabkirche des Heiligen verkauft werden, beweisen, dass auch die weltlich gekleideten Reisenden spirituelle Motive treiben.

Der unangepasste Heilige wurde um 1181 als Sohn eines wohlhabenden Tuchhändlers in Assisi geboren, entschied sich nach jugendlichen Ausschweifungen für ein Leben in Askese, scheute keine Provokation – so zog er sich vor Gericht und Bischof nackt aus, um seinen Standpunkt klarer herauszuarbeiten –, gründete den Franziskanerorden und starb 1226. Seine Zeitgenossin und Kollegin Klara ist in der Basilika Santa Chiara in der Unterstadt bestattet. „Sch“, haucht eine Klarissin ins Mikrofon, und wenn Stille herrscht, mahnt sie leise: „No photos“.

Die Basilica di San Francesco ist als Grabort des Heiligen das wichtigste Ziel der Pilger und somit der bedeutendste Wirtschaftsfaktor Assisis. Die Fresken der zweistöckigen Kirche erzählen vom Leben des Heiligen und von seiner Heimat. In der Unterkirche sieht man, wie Franz nach einem Erdbeben ein Mädchen rettete. Eine Platte im Boden der Oberkirche erinnert an den 26. September 1997, als um 11.42 Uhr die Erde bebte und vier Kirchenbesucher von einstürzenden Gewölbedecken erschlagen wurden.

Siebzig Prozent der Stadt waren zerstört. Die Basilica hatte schweren Schaden genommen, die Fresken Giottos waren nahezu pulverisiert. Wie zum Trost nahm die Unesco Assisi nach dem Beben in die Liste des Weltkulturerbes auf. Die Restaurierung der Kirche dauerte neun Jahre und kostete mehr als zwölf Millionen Euro. In Handarbeit wurde das Gewölbe aus 30 000 Ziegeln wiederhergestellt. Heute gilt Assisi als die erdbebensicherste Stadt Italiens.

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